SozialleistungenWie viele Kinder in Leverkusen von Armut betroffen sind

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Ein fünfjähriger Junge sitzt an einem roten Tisch und zählt sein gespartes Taschengeld.

Leverkusen liegt in Sachen Kinderarmut etwa im Bundesschnitt (Symbolfoto)

Armut betrifft auch in Leverkusen eine erschreckend hohe Zahl von Familien und Kindern.

Die Zahl ist erschreckend: Mehr als ein Fünftel der Kinder bis 15 Jahre in Leverkusen lebt in Familien, die Sozialleistungen beziehen. Das geht aus Zahlen des Leverkusener Netzwerks Kinderarmut hervor. Konkret bedeuten die rund 22 Prozent 5044 Kinder. „In einzelnen Stadtteilen erreicht dieser Anteil bis zu 50 Prozent der Gleichaltrigen“, heißt es vom Netzwerk. „Das bedeutet, hier lebt rund die Hälfte der Kinder dieses Alters mit ihren El­tern in einer materiellen Notlage.“ Und es würden mehr.

Mit 22 Prozent liegt die Stadt Leverkusen in Sachen Kinderarmut leicht über dem Bundesschnitt. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge sind deutschlandweit fast drei Millionen Kinder (mehr als jedes fünfte) und mehr als eineinhalb Millionen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren (jeder vierte) von Armut bedroht. Als „arm“ gelten diejenigen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens haben, heißt es von der Bundeszentrale für politische Bildung. Laut statistischem Bundesamt liegt dieses mittleren Einkommen bei 4105 Euro brutto, Stand April 2022.

Kinderarmut auch Thema in Leverkusen

„In unserer ehemals wohlhabenden Stadt fällt der Gedanke schwer, dass es Kinder und Jugendliche gibt, die von Armut betroffen sind. Und doch, wenn man genau hinschaut, gibt es dieses gesellschaftliche Problem ­–mitten unter uns“, heißt es vom Netzwerk Kinderarmut. 

Zahlen des Stadtverbandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Leverkusen zufolge haben bis Ende 2022  6037 Familien Bürgergeld erhalten, Eltern von 1820 Kindern bekämen einen Kinderzuschlag, also einen Zuschlag für Geringverdienende zusätzlich zum Kindergeld.

Die Stadt Leverkusen gibt auf Anfrage folgende Zahlen heraus: Stand Januar 2023 und auf Basis des Datenstandes der Bundesagentur für Arbeit haben in Leverkusen 3186 Familien mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren im Haushalt Bürgergeld bezogen. 1411 davon haben eins, 1046 zwei und 729 drei oder mehr Kinder. Das heißt, mindestens 5690 Kinder leben in Familien, die Bürgergeld beziehen.

Viele kommen aus Scham erst im Dunkeln zum Lebensmittelfahrrad

Die Dunkelziffer der Familien und der Kinder, die in Armut leben, ist wohl noch höher. Zumindest vermutet das Reiner Hilken vom Netzwerk Kinderarmut. Das liege einmal an dem in Deutschland noch herrschenden „Antragswirrwarr“ für betroffene Familien, wie er es nennt.

Was er meint: Eltern müssen Ansprüche für Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets und weitere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch derzeit bei verschiedenen Behörden geltend machen. Außerdem macht Hilken in seiner Arbeit Scham als weiteren Faktor aus. „Die Menschen versuchen, noch irgendwie über die Runden zu kommen.“ Erst wenn es gar nicht mehr anders gehe, beantragten viele Sozialleistungen. Beim Lebensmittelfahrrad, das das Netzwerk am Bunker aufstellt, habe er schon häufig Menschen gesehen, die im Dunkeln kämen.

Leverkusener DGB hofft auf Kindergrundsicherung

„Kinderarmut ist bitter und folgenschwer, da sie nicht nur Mangel im Hier und Jetzt bedeutet, sondern den Kindern Entwicklungs- und Zukunftschancen raubt. Nichts verursacht mehr Folgekosten und ist teurer, als Kinderarmut zuzulassen“, sagt auch Jens Scheumer, Stadtverbandsvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Leverkusen.

Große Hoffnungen setzt der DGB in die Kindergrundsicherung, die 2025 kommen soll und im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene festgeschrieben ist. Noch ist allerdings nicht ganz klar, wie die Kindergrundsicherung genau aussehen soll. Das Prinzip steht aber: Das „Antragswirrwarr“ soll abgeschafft werden.  Stattdessen soll es einen Grundbetrag und einen flexiblen Zusatzbetrag geben.

Netzwerk sieht Kindergrundsicherung als richtigen Schritt

Der Leverkusener DGB-Stadtverband macht eine Rechnung auf: Derzeit sind im Bürgergeld im Regelsatz von 348 Euro für ein Kind zwischen sechs und 13 Jahren 4,48 Euro täglich für Essen und Trinken vorgesehen, 8,89 Euro für Freizeitveranstaltungen. Für Bücher sind 2,83 Euro vorgesehen.

Viel zu wenig, findet der DGB: „Die Kinder müssen auf vieles verzichten, was für andere Kinder normal ist. Sie haben ein höheres Risiko ungesund aufzuwachsen und machen öfter einen schlechten oder gar keinen Schulabschluss. Sie haben nicht die gleichen Chancen, wie andere Kinder.“ Deshalb soll die Kindergrundsicherung nach Forderung des DGB auch höher liegen als der Regelsatz im Bürgergeld.

Auch Rainer Hilken sieht die Kindergrundsicherung als richtigen Schritt. Irgendwann, so hofft er, müssten er und sein Team überflüssig sein. Nämlich, wenn keine Kinder mehr in Leverkusen von Armut betroffen wären. Angesichts der aktuellen Zahlen ist das aber wohl nur eine kühne Hoffnung.

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