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Nach KommunalwahlAfD-Ergebnis besorgt Leverkusener aus eingewanderten Familien

6 min
Schon vor Ende der Auszählung zeichnete sich bei der Kommunalwahl ab: Die AfD wird stark. Was macht das mit Menschen aus eingewanderten oder geflüchteten Familien?

Schon vor Ende der Auszählung zeichnete sich bei der Kommunalwahl ab: Die AfD wird stark. Was macht das mit Menschen aus eingewanderten oder geflüchteten Familien?

Bei der Kommunalwahl in Leverkusen wurde die AfD drittstärkste Kraft. Was befürchten Menschen, die die Partei zu ihrem Feindbild erklärt hat?

Bei der Leverkusener Ratswahl am 14. September erreichte die AfD 15,3 Prozent und landete damit auf Platz drei direkt hinter CDU und SPD. Bisher hatte die als rechtsextrem eingestufte Partei drei Sitze im Rat, jetzt sind es elf. Wie blicken Leverkusenerinnen und Leverkusener mit familiärer oder eigener Migrationsgeschichte auf diese Entwicklung? Wir haben mit drei Menschen gesprochen, die durch die migrationsfeindliche Politik der AfD gefährdet sind.

Ioannis Sakellaridis, Bioladenbesitzer

Ioannis Sakellaridis macht sich Sorgen wegen der erstarkenden AfD. Er findet es „erschreckend“, dass so viele Wähler Migrantinnen und Migranten als Sündenbock für Deutschlands Missstände ansähen. „Kaputte Straßen, marode Schulen, der schlechte ÖPNV, die Zustände in der Pflege – das sind hausgemachte Probleme, um die wir uns jahrzehntelang nicht gekümmert haben“, sagt Sakellaridis. „Und auf einmal sind die Migranten schuld? Damit machen wir es uns zu einfach, und dagegen wehre ich mich vehement.“

Ich denke darüber nach auszuwandern
Ioannis Sakellaridis

Der gebürtige Grieche hat einen deutschen Pass und ist in Leverkusen und Köln aufgewachsen. „Und jetzt wird man in dem Land, wo man groß geworden ist, zur Schule gegangen ist und sich vollkommen integriert hat, wieder als Ausländer gesehen“, sagt der Bioladenbesitzer. „Ein als Deutsch angesehener Mensch kann nicht nachempfinden, was das mit einem macht.“ Wenn die AfD weiter erstarken sollte, erzählt Sakellaridis, dann „weiß ich nicht, was ich machen soll“. Das erste Mal in seinem Leben käme ihm der Gedanke an eine Auswanderung.

Ioannis Sakellaridis in seinem Schlebuscher Bioladen „Gut Unverpackt“: „Die liberalen Kunden geben mir Rückenwind“

Ioannis Sakellaridis in seinem Schlebuscher Bioladen „Gut Unverpackt“: „Die liberalen Kunden geben mir Rückenwind“

Mut macht dem Leverkusener seine „weltoffene“ Kundschaft im Bioladen. „Das gibt mir Rückenwind zu sagen: Ja, ich bin doch am richtigen Ort.“ Nichtsdestotrotz sei da ein „Unwohlsein“. Und zwar nicht nur in Bezug auf seine Herkunft. Sondern auch, weil Sakellaridis queer ist. „Auch als queerer Mensch lebt man in Deutschland nicht so sicher, wie viele denken“, sagt er.

Das gibt mir Rückenwind zu sagen: Ja, ich bin doch am richtigen Ort
Ioannis Sakellaridis über seine Kundschaft

Einmal sei er auf dem Nachhauseweg vom Kölner CSD „krankenhausreif geprügelt“ worden. Sakellaridis habe sich Sicherheitsmaßnahmen zurechtgelegt, um Konflikten oder potenziellen Gefahren aus dem Weg zu gehen. „Ich wechsele an unsicheren Orten die Straßenseite und denke schon zwei Mal darüber nach, ob ich bei Nacht die öffentlichen Verkehrsmittel nutze. Das beschränkt mich.“

Eine erstarkende AfD, ist sich der 37-Jährige sicher, werde die queere Community künftig noch stärker ins Visier nehmen. „Wo das hinführen kann, sehen wir in Ländern wie Ungarn, der Türkei oder den USA“, warnt Sakellaridis. „Dort werden Menschenrechte scheibchenweise abgesäbelt.“

Rupy David, Sprecherin der Grünen Leverkusen

Rupy David macht sich Sorgen, was die AfD nun im Rat anstellen könnte. Dass die Partei stärker werden würde, habe David sich schon gedacht. „Aber der Sprung war dann schon gewaltig.“ Die 36-Jährige sagt, die große Zustimmung für die AfD in der Leverkusener Bevölkerung beunruhige sie. „Ich laufe durch die Stadt und denke mir, jeder dritte oder vierte hier hat wahrscheinlich die AfD gewählt. Das ist für mich als nicht weiße Frau besonders beängstigend.“

Rupy David befürchtet, dass die AfD vieles im Rat blockieren könnte

Rupy David befürchtet, dass die AfD vieles im Rat blockieren könnte

Die Frage sei, wie der Leverkusener Rat mit Anträgen der AfD umgehen werde. Die Partei könne jetzt mehr Mitglieder in Ausschüsse und Aufsichtsräte schicken. Dadurch bekomme die AfD eine „viel größere Macht, Entscheidungen zu befeuern oder zu blockieren.“ David befürchtet, dass vor dem Hintergrund der aktuellen finanziellen Kürzungen vor allem das blockiert werde, was dringend gebraucht werde: Sprachkurse, Integrationsangebote, Hilfsangebote für Armutsbetroffene. So beginne ein Teufelskreis: „Menschen in prekären Lagen wählen wiederum eher populistische Parteien.“

Die AfD hat eine viel größere Macht. Die CDU ist jetzt in einer enormen Verantwortung
Rupy David, Sprecherin der Grünen, über die künftige Ratsarbeit mit einer erstarkten AfD-Fraktion

Rupy David hat trotz allem ein „großes Vertrauen“ in die Brandmauer der progressiven Parteien im Leverkusener Rat. „Und ich hoffe, dass die konservativen Parteien da mitziehen“, sagt sie. „Die CDU ist jetzt in einer enormen Verantwortung.“ Bisher sei die Brandmauer „vorbildlich“ gewesen. Aber sie aufrechtzuerhalten, werde immer schwieriger, je mehr die AfD-Fraktion wachse.

Mohamed Adib, Dialogbeauftragter der türkischen Gemeinden in Leverkusen und Monheim

Mohamed Adib sagt, er sei „nicht wirklich überrascht, aber dennoch enttäuscht“ über das Wahlergebnis der AfD in Leverkusen, einer Stadt, in der es so viele Menschen mit internationaler Familiengeschichte gebe. „Ich bin aber froh, dass die demokratischen Parteien immer noch die Mehrheit im Leverkusener Rat haben.“ Zu ihnen habe er einen guten Draht. „Und ich denke, dass wir sogar noch enger zusammenarbeiten müssen, um Vorstößen der AfD entgegenzustehen, die Menschen oder eine Religion in Misskredit stellen.“

Mohamed Adib ist froh, dass die demokratischen Parteien im Rat noch die Mehrheit stellen

Mohamed Adib ist froh, dass die demokratischen Parteien im Rat noch die Mehrheit stellen

Trotzdem ist auch Adib wachsam: Der politische Ton könne sich mit einer stärkeren AfD im Rat weiter verschärfen, insbesondere wenn es um die Themen Migration und Sozialpolitik gehe. Durch seine Arbeit, sagt Adib, sei er gut vernetzt.

Ich glaube an eine starke Demokratie. Ich sagte Besorgten immer wieder, dass wir nicht resignieren dürfen
Mohamed Adib

Der 55-Jährige ist Sprecher der islamischen Gemeinschaften im Rat der Religionen und Dialogbeauftragter der Mimar Sinan Moschee in Leverkusen. Im Rahmen dieser Tätigkeiten wenden sich Eingewanderte und ihre Nachkommen an ihn und teilten ihre Befürchtungen: „Mir begegnen Menschen, die Angst davor haben, Deutschland verlassen zu müssen“, sagt Adib. „Sie fragen sich, ob sie sich in ihrem Heimatland ein zweites Standbein aufbauen müssen.“

Doch Adib glaubt an eine „starke Demokratie“ in Deutschland. Deshalb antworte er Besorgten „immer wieder, dass wir nicht resignieren dürfen.“ Der Rat der Religionen in Leverkusen sorge für ein „bis dato sehr gutes Miteinander“ verschiedener Religionsgemeinschaften in der Stadt. „Ich befürchte nicht, dass sich das durch die AfD ändern wird.“

Zöhre Demirci, Bürgermeisterin (Grüne)

Zöhre Demirci ist es ein großes Anliegen, ihre Gedanken zum Wahlergebnis der AfD zu teilen. Sie sagt: „Das Ergebnis macht mir sehr viel Sorgen“. In der Community zugewanderter Familien spüre sie eine Angst: „Viele fürchten, dass ihre Kinder nicht dieselben Chancen bekommen wie andere.“ Und einige fragten sich, wie lange sie überhaupt noch in Deutschland bleiben könnten.

Wir dürfen Angst und Spaltung nicht gewinnen lassen
Zöhre Demirci, Bürgermeisterin

Demirici kam nach Deutschland, als sie 19 Jahre alt war. Ihr Vater wurde in der Türkei politisch verfolgt und so wanderte die Familie aus. Die Sprache zu lernen und sich im neuen Land zurechtzufinden, fiel der heutigen Leverkusener Bürgermeisterin anfangs sehr schwer. „Aber ich habe es geschafft, mich zu integrieren, und das tun viele“, sagt Demirci. Diese Seite von Migration müsse auch gesehen werden, anstatt alle Migrantinnen und Migranten über einen Kamm zu scheren und mit negativem Verhalten in Verbindung zu bringen.

Zöhre Demirci ist sehr besorgt über den Wahlerfolg der AfD, doch sie will gegen ein weiteres Erstarken der Partei kämpfen.

Zöhre Demirci ist sehr besorgt über den Wahlerfolg der AfD, doch sie will gegen ein weiteres Erstarken der Partei kämpfen.

„Ich wünsche mir Respekt und Offenheit“, sagt Demirci. „Aber stattdessen ist da oft ein Druck, dass wir unerwünscht sind.“ Deshalb sei das Wahlergebnis der AfD auch ein „Weckruf“ für die 45-Jährige. „Wir dürfen Angst und Spaltung nicht gewinnen lassen“, betont sie. „Wir müssen mit allen demokratischen Parteien reden und zeigen, dass Vielfalt unsere größte Stärke ist.“

Mut macht Demirci, dass der Rat auf insgesamt 72 Mitglieder gewachsen ist und nun auch einige kleine Parteien vertreten sind. Wie „laut“ die AfD werde, bleibe abzuwarten – „aber im Bundestag haben wir gesehen, dass ihre Politik zerstörerisch sein kann“. Was Leverkusen brauche, sei „Zusammenhalt und eine Politik, die alle bedient.“