Leverkusener FacharztWie Eltern ihren Kindern bei Ängsten helfen können

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Kinder Leverkusen Symbolbild

Kinder schaukeln im Rheindorfer Friedenspark (Symbolbild)

Leverkusen – Seit Beginn der Corona-Pandemie beobachtet Mani Sina, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Leverkusen, einen drastischen Anstieg von Belastungssymptomen an Kindern und Jugendlichen. „Rund 70 Prozent meiner Patentinnen und Patienten gibt an, die Corona-Pandemie und die daraus resultierenden drastischen Veränderungen des Alltags für sich als belastend wahrzunehmen“, sagt Sina, der seit 2010 mit eigener Praxis im Wiesdorfer Ärztehochhaus ansässig ist.

„Es kam zu Gewichtszunahmen von zwei bis drei Kilogramm, und die Anzahl der Kinder, die Sport treiben, sank deutlich.“ Diese und weitere Beobachtungen bestätigten auch Kollegen aus Leichlingen, Köln und Düsseldorf. Jugendliche, die vor der Pandemie sozial gut integriert waren, entwickelten in den letzten zwei Jahren Symptome wie Angststörungen, auffälliges Essverhalten, Depressionen, suizidale Gedanken und Schlafstörungen. Der Kontakt zu den Freunden wurde abgebrochen. Mitunter fand ein kompletter Rückzug aus dem sozialen Leben statt.

Anders sieht es bei Kindergartenkindern aus

„Vor der Pandemie kamen ein bis zwei Kinder pro Quartal, mit Suizidgedanken in die Praxis“, berichtet Sina weiter. „Heute sind es ein bis zwei pro Woche. Das macht die auffällige psychische Situation vieler Kinder und Jugendlicher deutlich.“

Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen

Kontakte | Hier wird Ihnen geholfen

Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter:

Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote.

Telefonseelsorge

Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon

Das Angebot des Vereins "Nummer gegen Kummer" richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Samstag nehmen die jungen Berater des Teams "Jugendliche beraten Jugendliche" die Gespräche an. nummergegenkummer.de

Muslimisches Seelsorge-Telefon

Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch. mutes.de

Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention

Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de

Beratung und Hilfe für Frauen

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen" ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung unterstützen werden Betroffene aller Nationalitäten rund um die Uhr anonym und kostenfrei unterstützt.

Psychische Gesundheit

Die Neurologen und Psychiater im Netz empfehlen ebenfalls, in akuten Situationen von Selbst- oder Fremdgefährdung sofort den Rettungsdienst unter 112 anzurufen. Darüber können sich von psychischen Krisen Betroffene unter der bundesweiten Nummer 116117 an den ärztlichen/psychiatrischen Bereitschaftsdienst wenden oder mit ihrem Hausarzt Kontakt aufnehmen. Außerdem gibt es in sehr vielen deutschen Kommunen psychologische Beratungsstellen. 

Bei Kindern im Kindergartenalter äußerten sich die Probleme etwas anderes. Hier gehe die Ausnahmesituation mit dem Verlust von bereits Erlerntem einher. Die Fähigkeit zu sprechen, ginge zurück. Kognitive Fähigkeiten wie die Entwicklung von Konfliktlösungsstrategien seien sowohl bei den jüngsten Kindern wie auch bei vielen Jugendlichen zum Problem geworden, sagt Sina.

Der Psychiater hat dafür eine Erklärung. Die Corona-Schutzmaßnahmen wie Lockdowns und der damit einhergehende Wegfall der Alltagsroutine, die den Kindern und Jugendlichen Sicherheit vermittelten, fielen von jetzt auf gleich weg. Persönliche soziale Interaktionen wurden erschwert oder unmöglich. Vertraute Personen, wie Familienmitglieder, Lehrkräfte, Trainerinnen und Trainer oder das Personal in Ganztagsschulen waren von jetzt auf gleich nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt erreichbar.

Gezwungen, zuhause zu bleiben

Plötzlich war die Wohnung oder das Haus der einzige Ort an dem gelernt, gearbeitet und gespielt wurde. Das galt auch für die Eltern der Kinder. Viele waren gezwungen, im Homeoffice zu arbeiten oder verloren die Arbeitsstelle. Manche Arbeitsbereiche wurden ganz auf Eis gelegt.

All diese Punkte, die bis zur Existenzbedrohung gingen, erhöhten im speziellen den emotionalen Druck auf die Erwachsenen. Das Nervenkostüm lässt nach. Konfliktsituationen sind programmiert – und so strahlen diese Probleme ungewollt auch auf die Kinder ab. Familien, die bedingt durch mehr Wohnraum über bessere Rückzugsmöglichkeiten verfügten, kamen oft besser durch die Pandemie als solche, die sehr beengt lebten.

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„Nehmen Eltern Veränderungen in der oben beschriebenen Art und Weise bei ihren Kindern wahr, ist das Wichtigste abzuklären, ob das Kind belastet reagiert, aber noch am Leben teilhaben kann oder ob es sich bereits um eine pathologische, also krankhafte Reaktion handelt“, erklärt der Facharzt. Das sollte unbedingt psychologisch abgeklärt werden.

Eltern sollten Angebote wahrnehmen

Den jüngsten Kindern stehen zum Beispiel Logopäden oder Ergotherapeuten zur Verfügung. Eltern sollten sich nicht scheuen, solche Angebote wahrzunehmen. Weitere Maßnahmen, um ein Minimum von Struktur wiederherzustellen, sind engmaschige Absprachen in der Familie. Die Aufgaben des täglichen Lebens sollten klar verteilt werden, so dass die Kinder wieder eine Routine entwickeln. Listen, die an einem zentralen Punkt aufgehängt werden, könnten helfen.

„Die Familien sollten sich Freiräume schaffen“, rät Sina auch. Eine Mittagspause, in der jeder in einem Raum für sich ist, kann helfen, für sich runterzufahren. Dazu lässt sich dann auch ein Schlafzimmer nutzen, wenn die Räume knapp werden. „Auch die Rückführung in den Normalbetrieb der Schulen sollte behutsam angegangen werden“, fährt der Kinderpsychiater fort.

Schule wie noch vor zweieinhalb Jahren kennen zwei Schulgenerationen kaum. Es war eine schwere Zeit, die bei vielen Kindern Lernlücken hinterlassen haben. Ihnen könnte mit Ferienangeboten geholfen werden. Nicht wochenlang, vielleicht ein bis zwei Stunden pro Woche, in denen sie das aufarbeiten können, was unklar geblieben ist.

Bei allem, was für die Kinder getan wird, ist die engmaschige Kommunikation zwischen den Eltern, den Kindern und allen andere Beteiligten von großer Bedeutung, um den verunsicherten Kindern und Jugendlichen wieder einen strukturierten Alltag zu geben.

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