Mit Mama im GefängnisSo ist das Leben mit Kind im NRW-Strafvollzug

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Jenny B. und ihre Tochter Anna leben in der Mutter-Kind-Einrichtung des NRW-Strafvollzugs.

  • In der Mutter-Kind-Einrichtung der NRW-Justiz dürfen straffällige Frauen ihren Nachwuchs betreuen.
  • Für JVA-Verhältnisse führen die inhaftierten Frauen dort ein komfortables Leben.
  • Wie funktioniert das Konzept? Und wer bekommt dort einen der nur 16 Plätze, die zur Verfügung stehen? Ein Ortstermin.

Fröndenberg – Anna ist sechs Monate alt. Sie lächelt, als sie auf den Arm genommen wird, gleich soll das Mädchen seinen Mittagsschlaf machen, die Lieblingspuppe Annabell wartet schon im Bett. Der Tagesablauf von Anna ist klar geregelt. Ihre Mutter Jenny wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, jetzt leben beide in der „Mutter-Kind-Einrichtung“ des NRW-Strafvollzugs im westfälischen Fröndenberg. „Ich bin froh, dass ich Anna den ganzen Tag um mich habe“, sagt die 31-Jährige. „Wenn ich von meinem Baby getrennt würde, wäre die Inhaftierung für mich nicht auszuhalten.“

Leben wie eine ganz normale Mutter

Jenny B. wirkt wie eine ganz normale moderne Mutter. Sie hat Abitur gemacht und bei einer mittelständischen Firma in der Buchhaltung gearbeitet. Dort hatte sie Zugriff auf das Unternehmensvermögen und beging einen schweren Fehler: „Ich begann irgendwann, Geld für mich selbst abzuzweigen“, erzählt  Jenny B. „Das fiel komischerweise niemandem auf. Ich habe mir neue Möbel und ein Auto gekauft und Urlaub von dem Geld gemacht. Dafür habe ich jetzt die Quittung bekommen.“

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Nur das Schild am Eingang deutet auf eine Vollzugseinrichtung hin.

40.000 Euro hat Jenny B. im Laufe der Zeit unterschlagen. Weil sie die Tat ihrem Chef selbst gebeichtet hat und reumütig war, wurde die Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt. „Dann bin ich umgezogen und habe mich auch ordnungsgemäß umgemeldet“, berichte die Inhaftierte. „Aber ich hätte den Umzug auch dem Gericht melden müssen. Das war ein Verstoß gegen die Bewährungsauflagen. Deswegen bin ich jetzt hier.“

Ein für JVA-Verhältnisse komfortables Leben

Jenny B. lebt seit Mai in der Mutter-Kind-Einrichtung. Das Gebäude liegt direkt neben dem Vollzugskrankenhaus und diente vor 1990 als Wohnheim für Pflegekräfte und Mediziner. Die inhaftierten Frauen leben für JVA-Verhältnisse komfortabel. Statt in Zellen wohnen sie in kleinen Appartements mit Balkon. Vergitterte Fenster gibt es nicht. „Wir sind eine Einrichtung des offenen Vollzugs“, sagt Renate Tertel, die die Frauen als sozialpädagogische Fachberaterin unterstützt. Außer der Tafel mit dem Landeswappen deutet nichts darauf hin, dass die Bewohnerinnen nicht freiwillig dort sind.

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Der Spielplatz ist bestens ausgestattet und liebevoll dekoriert.

Im Strafvollzug von NRW sind rund 1000 Frauen inhaftiert. Viele haben Kinder, aber in der Mutter-Kind-Einrichtung stehen nur 16 Plätze im offenen Vollzug für die Mütter und 20 Plätze für die Kinder zur Verfügung. Die Kapazität ist gering, scheint aber ausreichend zu sein. „Wir haben niemanden auf der Warteliste. Die Anforderungen, um bei uns einen Platz zu bekommen, sind hoch“, erklärt Justizvollzugs-Amtsinspektorin Petra Döhrn.

Inhaftierte Mütter müssen erziehungsfähig sein

Ein großer Teil der inhaftieren Frauen in den NRW-Gefängnissen wurde wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Sie sind selbst drogenabhängig und haben den Konsum durch Straftaten finanziert. „Drogenabhängigkeit ist für uns ein Ausschlusskriterium“, sagt Petra Döhrn. Außerdem muss das zuständige Jugendamt der Unterbringung mit dem Kind zustimmen. Die Mütter müssen erziehungsfähig sein. „Auch das ist bei den inhaftierten Frauen leider nicht immer gegeben“, sagt Petra Döhrn. Gelegentlich wird bei den Müttern festgestellt, dass sie Hilfe bei der Erziehung benötigen. Professionelle Unterstützung wird im Rahmen einer Erziehungsberatung in der Mutter-Kind-Einrichtung angeboten.

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Renate Tertel, Dipolm-Sozialpädagogin in der Mutter-Kind-Einrichtung.

Die Option, in Fröndenberg untergebracht zu werden, hängt zudem vom Alter der Kinder und der verbleibenden Haftzeit ab. So darf die Reststrafe nicht länger als bis zur Einschulung des Kindes dauern. Bis dahin besuchen die Kleinen eine öffentliche Awo-Kita in der Nachbarschaft der Einrichtung.

Für die Kleinkinder wurde im Untergeschoss eine Spielzone mit vielen Spielzeugen und Bällebad eingerichtet. Dort sollen die Frauen unter professioneller Anleitung lernen, wie man sich mit Kindern beschäftigt und worauf man bei der Entwicklung achten muss. Im Garten befinden sich Wippen, Schaukeln und andere Spielgeräte. Nur die sichtbaren Außenlautsprecher und die Alarmknöpfe erinnern daran, dass es sich um einen Vollzugsbereich handelt.

Konflikte bleiben nicht aus

Das Zusammenleben der Frauen ist nicht immer konfliktfrei. Sie kommen aus verschiedenen Kulturen und gehören unterschiedlichen Religionen an. Jenny B. berichtet, dass es schon mal Krach wegen unterschiedlicher Vorstellung über die Kindererziehung gebe. Sie finde es nicht gut, den Kleinen Cola zu geben oder zu rauchen, wenn man ein Kind auf dem Arm habe. Auch die gemeinsame Nutzung der Küchen und des Fernsehraums führe manchmal zu Streit.

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Die Jugendämter zahlen für die Unterbringung in der Mutter-Kind-Einrichtung einen Tagessatz von 128,85 Euro. Die inhaftierten Frauen müssen keine Anstaltskleidung tragen. Auch die JVA-Bediensteten tragen keine Uniform. Viele Frauen können als Küchenhilfe im benachbarten Vollzugskrankenhaus arbeiten. Handys sind verboten. Von 14.30 bis 18 Uhr ist es erlaubt, die Einrichtung zu verlassen, doch Angehörige dürfen das Haus nicht betreten.

Schutz vor übergriffigen Partnern

Manchen Frauen kommt diese Abgrenzung sehr gelegen. Die Inhaftierung ist für sie bisweilen ein Schutz vor übergriffigen Partnern und Ehemännern. „Viele machen zum ersten Mal die Erfahrung, dass sie auch unabhängig von ihren Partnern leben können“, berichtet Renate Tertel. Oft komme es vor, dass junge Frauen von ihrer Herkunftsfamilie direkt in die Ehe wechseln würden. „Sie erleben die Haft als Chance, zu sich selbst zu finden“. Ein Prozess, der manchmal die Trennung vom Partner zur Folge hat.

Eine Vollzugsbeamtin als Ansprechpartnerin

Auch die festen Regeln in der Einrichtung sind für viele Frauen eine neue Erfahrung. Die Kinder müssen um 20 Uhr ins Bett, der Fernseher im Gemeinschaftsraum wird um 22.15 Uhr abgeschaltet. Die Vorgabe, sich mit dem Kind lange Zeit konkret zu befassen, führe zu neuen Erkenntnissen. „Zum Beispiel, dass die Kinder auch einschlafen, ohne dass der Fernseher läuft“, sagt Renate Tertel.

Viele Mütter hätten nie gelernt, selbst zu kochen und sich und ihre Kinder gesund zu ernähren. Jede Gefangene hat eine Vollzugsbeamtin als feste Ansprechpartnerin, vier der zehn JVA-Kräfte sind ausgebildete Erzieherinnen.

Eine Idee aus den 1980er Jahren

Die Idee, eine Mutter-Kind-Einrichtung zu eröffnen, ist in den 1980er Jahren entstanden. Damals gelangte die Politik zu der Überzeugung, dass man Frauen mit Kindern nicht grundsätzlich milder bestrafen und vor einem Gefängnisaufenthalt verschonen könne.

Die gemeinsame Unterbringung soll verhindern, dass die Kinder durch die frühe Trennung von ihrer Mutter Schaden nehmen. Petra Döhrn sagt: „Die Frauen bekommen hier die Chance, aus ihrem Leben noch was zu machen.“

Schlimme Zeit in der Untersuchungshaft

Jenny B. weiß die moderaten Umstände ihrer Strafverbüßung zu schätzen. Sie erinnert sich noch gut an die Zeit, als sie in Untersuchungshaft saß: „Im Frauengefängnis wurden Gras, Heroin und Handys gedealt. Mein Baby war bei meiner Mutter untergebracht. Ich habe die ganze Zeit nur geweint.“

Wenn es gut läuft, wird Jenny B. kommendes Jahr im April entlassen. Dann will sie Wirtschaftswissenschaften studieren. Und weiterhin ganz viel Zeit mit Anna verbringen.

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