Prozess gegen MesserangreiferDornseifer-Mitarbeiterin sagt in Gummersbach unter Tränen aus

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Der Angeklagte im Rollstuhl.

Der Angeklagte wurde im Rollstuhl in den Gerichtssaal gebracht.

Ein Polizist sagte im Zeugenstand des Amtsgericht Gummersbach zu der Schussabgabe: „Und alle weiteren Schüsse wären in den Kopf gegangen.“

Die Schüsse der Polizei in der Gummersbacher Fußgängerzone auf einen Messerangreifer sorgten im November auch überregional für Aufsehen. Besonders deswegen, weil eine Augenzeugin Minuten danach ein Video ins Netz gestellt hatte. Jetzt war das Video des Geschehens auch Gegenstand beim Prozessauftakt am Gummersbacher Amtsgericht.

Der Verteidiger kritisiert die Kölner Staatsanwaltschaft

Während Rechtsanwalt Udo Klemt den Standpunkt vertrat, dass der Einsatz gegen seinen Mandanten wegen „zu viel Gewalt“ schiefgelaufen sei, sagte einer der eingesetzten Polizisten, dass der Angeklagte sich freuen könne, „hier noch heute zu sitzen. Der wollte mir ans Leben“, so die Schilderung des Polizisten. Der Beamte berichtete, dass der Angeklagte ihm gesagt habe, „dann erschieß Du mich doch“. Hätte die Lage noch zwei Sekunden länger gedauert, hätte er den Angreifer   erschossen, sagte der Polizist. „Und alle weiteren Schüsse wären in den Kopf gegangen.“

Anwalt Klemt übte Kritik an der Kölner Staatsanwaltschaft. Er könne nicht verstehen, dass gegen die Polizisten im Zusammenhang mit der Schussabgabe „nicht ermittelt“ worden sei. Mehrmals hatte zuvor der Vorsitzendende Richter Ulrich Neef das Augenzeuginnen-Video ablaufen lassen. Die Sequenz zeigt, wie der Angreifer auf einen der Polizisten zuläuft und dann von mehreren Schüssen getroffen zusammensackt. Klemt sprach am Rande des Prozesses von 15 Schüssen. Zuvor hatten die Polizisten noch versucht, ihn mit Pfefferspray, einem Schlagstock und sogar einem Stuhl des Backwarengeschäfts zu stoppen, alles vergeblich.

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Angeklagter soll Dornseifer-Mitarbeiterin mit Fausthieb niedergestreckt haben

Der Angreifer, der selbst in Lebensgefahr geschwebt hatte, saß nun auf der Anklagebank und wurde am Morgen aus der U-Haft kommend mit einem Rollstuhl ins Gericht gefahren. Er machte lediglich Angaben zur Person. Kein Wort zum Geschehen an diesem Tag, nichts von dem räuberischen Diebstahl bei Dornseifer, bei dem er eine Verkäuferin mit einem Fausthieb zu Boden gestreckt hatte, nachdem er eine Dose Bier ohne zu bezahlen ausgetrunken hatte. Ein Video zeigt detailliert, wie der Mann danach mit zwei weiteren Dosen in aller Ruhe den Laden verließ. Die junge Frau sagte am Freitag unter Tränen aus, hat bis heute Angst, wenn sie Auto fährt und verriegelt daher von innen die Türe.

Kommt ein Messer zum Einsatz, kann selbst der beste Kampfkünstler nichts ausrichten.
Polizist im Zeugenstand

Der Angeklagte sagte auch nichts zu der anschließenden Gemengelage vor dem „Backwerk“-Geschäft, wo die Polizei ihn gestellt hatte und wo dann auch die Schüsse fielen, die neben dem Angreifer selbst zwei unbeteiligte Passanten trafen. Der Angeklagte hatte mit seinem Cutter-Messer einen Polizisten im Gesicht verletzt. Der Beamte sagte als Zeuge aus, dass er und seine Kollegen den Angeklagten immer wieder aufgefordert hätten, das Messer wegzulegen – ohne Erfolg. Dass man den Angreifer doch einfach hätte niederschlagen können, wie der Anwalt meinte, verneinte der Beamte. „Kommt ein Messer zum Einsatz, kann selbst der beste Kampfkünstler nichts ausrichten.“

Den Prozess selbst verfolgte der Angeklagte teilnahmslos. Nur als die Sequenz von der Schussabgabe lief, schüttelte er mit dem Kopf und wendete seinen Blick ins Publikum. Bei ihm war nach der Tat ein Alkoholwert von 0,9 Promille festgestellt und Spuren von Cannabis und Benzodiazepin im Blut gefunden worden. Nach dem Vorfall in der Fußgängerzone und diversen Operationen sitzt der am 27. Juli 1993 in Rabat/Marokko geborene Angeklagte im Rollstuhl. Ob er je wieder laufen kann, sei ungewiss, an seinen Händen fehlen ihm durch die Schüsse drei Finger. Die Polizei habe seinen Mandanten „zum Krüppel geschossen“, sagte Rechtsanwalt Klemt.

Nach Deutschland gekommen sei sein Mandant im Alter von einem halben Jahr und dann   adoptiert worden, berichtete der Verteidiger. Doch schon bald habe sich eine psychische Krankheit eingestellt. Später habe er Marihuana konsumiert und Rauschmittel geschnüffelt.

Der Prozess am Amtsgericht Gummersbach ist auf vier Verhandlungstage angesetzt. Begonnen hatte dieser mit fast einer Stunde Verspätung, nachdem ein Schöffe nicht erschienen war und Ersatz beschafft werden musste.

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