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28 Millionen Euro InvestIn der alten Gummersbacher Tapetenfabrik entstehen 92 Wohnungen

5 min
Zu sehen ist die Baustelle auf dem Gelände der ehemaligen Tapetenfabrik.

Das alte Verwaltungsgebäude wollen Julia Leuker und Patrick Deyerl zu Mietwohnungen umbauen. Daran anschließend entsteht ein Neubau mit 61 Eigentumswohnungen. 

2018 wurde der Gummersbacher Tapetenhersteller Pickhardt + Siebert nach 139 Jahren liquidiert. Nun entstehen im ehemaligen Firmengebäude Wohnungen.

Dort, wo im Jahr 2018 der Gummersbacher Tapetenhersteller Pickhardt + Siebert (P+S) nach 139 Jahren liquidiert werden musste (siehe Kasten), sollen 61 neue Eigentums- und 31 Mietwohnungen entstehen.

Ein bis vier Zimmer sollen die bis zu 120 Quadratmeter großen Eigentumswohnungen haben. Stand jetzt sollen die Mietwohnungen gefördert und die Mieten entsprechend günstiger werden. Das jedoch hängt noch davon ab, ob der Investor aus einem Fördertopf Mittel bekommt. Darauf jedenfalls hoffen Julia Leuker, Geschäftsführerin der Kaiser 90 Immobilien GmbH, und ihr Bruder Patrick Deyerl.

Der repräsentative Altbau mit viel Tapete.

Der repräsentative Altbau mit viel Tapete.

Rund 28 Millionen Euro wollen sie in das Bauvorhaben in Gummersbach investieren. Während im Altbau die Mietwohnungen entstehen, werden die Eigentumswohnungen in dem zur Innenstadt hin geplanten Neubau errichtet. Alt- und Neubau sollen sich dabei architektonisch ergänzen, wobei die Front des Neubaus durch Versprünge sehr aufgelockert wirkt. Auf der rückwärtigen Seite wollen die Investoren einen großzügigen Freiraum schaffen, der Hofcharakter hat und den Bewohnern von ihren Terrassen und Balkonen aus den Blick in den direkt angrenzenden Kerberg gewährt.

Obwohl direkt an der Hauptstraße gelegen, wird es gerade nach hinten raus für die Bewohner sehr ruhig ein, sagt Julia Leuker. Umfangreiche Abbrucharbeiten laufen bereits seit dem vorigen Jahr. Ursprüngliche Überlegen, das Gebäude rechts des Verwaltungstraktes ebenfalls in Wohnungen umzubauen, habe man aber allein schon mit Blick auf die Statik verwerfen müssen, sagt Deyerl.

So sieht der Neubau aus.

So sieht der Neubau aus.

Der Gummersbach, der direkt unter diesem Gebäude hergelaufen ist, plätschert nun munter vor sich hin, kann dort aber nicht bleiben und soll im Zuge der Errichtung des Neubaus verlegt werden. Beim Gang durch den Altbau fallen die ehemals repräsentativen Treppenhäuser und Flure auf. An den Wänden natürlich edelste Tapeten. Auch die großen Säle in diesem Gebäude würden sich für eine Loftwohnung geradezu anbieten. Doch mit Blick auf die anvisierte Förderung dieser Wohnung und das, was die Menschen am Markt suchen, werden die großen Räume schon bald Geschichte sein.

Nach Corona sei der Markt ein anderer geworden, sagen Leuker und Deyerl. Sie sind gerade in die Vermarktung der Eigentumswohnungen eingestiegen und wissen, dass die Leute es lieber etwas kleiner und dafür bezahlbar haben wollen. Die Option, ein Darlehen der KfW-Bank in Höhe von 100.000 Euro für 0,01 Prozent in Anspruch nehmen zu können, mach die Entscheidung für viele leichter. Was die Mietwohnungen angeht, so soll deren Vergabe erst in einem Jahr starten, wobei die Investoren beim Zuschlag des Heft des Handels in der Hand haben.

Start der Bauarbeiten im Frühjahr

Mit den Bauarbeiten soll es im Frühjahr kommenden Jahres losgehen, der Bauantrag ist kurz davor gestellt zu werden. Läuft alles nach Plan, könnte das Objekt Weihnachten 2027 bezugsfertig sei. Doch mit dem Bau der 92 Wohnungen sind die beiden noch nicht fertig. Auf dem Grundstück vis a vis, das P+S als Parkplatz nutzte, soll ein Ärztehaus auf drei Ebenen mit einer Fläche von 3000 Quadratmetern entstehen. Im Gummersbacher Rathaus begrüßt man die Projekte der Geschwister. Baudezernent Jürgen Hefner spricht von einer schönen städtebaulichen Lösung an dieser Stelle. Die Stadt unterstütze das Engagement der Investoren, wo sie könne.


Wissenswertes zur Gummersbacher Tapetenfabrik Pickhardt + Siebert

Die Gummersbacher Tapetenfabrik wurde 1879 gegründet. Der Gummersbacher Historiker Jürgen Woelke berichtet in seinem Buch „Kapital war nötig“, dass Adolf Siebert mit seinem Bruder Rudolf und dessen Schwager Ernst Pickhardt jr. auf dem Gelände von dessen Spinnerei in der Winterbecke eine kleine Tapetenfabrik gegründet und bald eine Spezialdruckmaschine konstruiert hatte. Adolf Siebert wollte so sein Patent zur Herstellung von naturgetreuen Marmor- und Holztapeten verwerten, schreibt Woelke. Zunächst sei von Hand produziert worden. „Aber schon bald sann Adolf Siebert auf eine maschinelle Herstellung. Zusammen mit seinem Freund Adolf Viebahn, Maschinenbauer in Mühlenseßmar, beschäftigte er sich mit der Entwicklung geeigneter Druckmaschinen.“

Das Geschäft blühte, Tapeten waren bald schon auch in vielen bürgerlichen Häusern zu finden. Im Jahr 1907 zog die Spinnerei Ernst Pickhardt dann von der Gummersbacher Kaiserstraße nach Kloster (Derschlag) und P+S konnte an dieser Stelle expandieren. So hatte das Unternehmen im Jahr 1919 bereits 129 Beschäftigte. Woelke schreibt weiter, dass er mit dem ehemaligen Cheffahrer Hermann Rothe ein Gespräch habe führen können. Demnach hatte P+S 1924 150 Mitarbeiter. Und der Aufstieg ging weiter: 1963 führte P+S als erster deutscher Tapetenhersteller den Kupfertiefdruck ein, 1966 wurde der Markt „revolutioniert“, wie Woelke schreibt, indem man kantenlose Tapeten einführte, vier Jahre danach erschien eine komplette Vinylkollektion.

Im Jahr 1974 wurde dann die „Schwesterfirma“ A.S. Cŕeation (Adolf Siebert) als selbstständige Tapetenfabrik in der ehemaligen Textilfabrik Reusch in Derschlag gegründet. Gründer war mit Franz Jürgen Schneider ein P+S-Mann. „Vier Mitarbeiter am Start gaben sich damals das Motto: ‚Anders zu sein als die anderen‘. Die anderen, das waren damals 36 weitere Tapetenproduzenten allein in Deutschland“, heißt es auf der Homepage von A.S. Création. Schritt für Schritt habe das Unternehmen wachsende Anteile am deutschen, am west- und osteuropäischen Markt erobert, im Jahr 1998 ging es an die Börse.

In die andere Richtung ging die Entwicklung bei Pickhardt + Siebert. Nach 139 Jahren wurde das Unternehmen im November 2018 liquidiert. 75 Beschäftigte waren allein am Standort Gummersbach von dem Aus des Tapetenherstellers betroffen. Die Vermarktung der alten Fabrikgebäude war nicht zuletzt durch Corona ins Stocken geraten.