„Jungs hat er links liegen lassen“Gummersbacher entsetzt über Taten von Pfarrer U.

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Vor dem Kölner Landgericht muss sich der Pfarrer schon seit November verantworten.

Vor dem Kölner Landgericht muss sich der Pfarrer schon seit November verantworten.

  • Pfarrer U. wirkte von 1985 für 17 Jahre in der oberbergischen Filialgemeinde.
  • Der heute 70 Jahre alte Pfarrer muss sich aktuell vor dem Kölner Landgericht wegen Missbrauchsvorwürfen verantworten.
  • Gemeindemitglieder sprechen über die Zeit, in der er in Gummersbach wirkte. Und über Auffälligkeiten, Täuschungen und Familien, zu denen Pfarrer U. den Kontakt abbrach.

Gummersbach – Das Wort Entsetzen fällt schnell, wenn in einer kleinen Gummersbacher Filialgemeinde darüber gesprochen wird, was gerade in Köln passiert. Es geht um den Prozess gegen den heute 70 Jahre alten Pfarrer U., der sich vor dem Kölner Landgericht wegen Missbrauchsvorwürfen verantworten muss und Ende vergangener Woche wegen Wiederholungsgefahr noch im Gerichtssaal verhaftet worden war. U. war seit 1985 für 17 Jahre in der Gemeinde tätig.

Die in Köln ursprünglich angeklagten Fälle der gegen ihn erhobenen Vorwürfe fallen in diese Zeit. Viele Menschen erinnern sich noch an ihn. Vier von ihnen – Christel und Norbert Franke, Marion Passerah und Horst Ladenbauer – haben sich bereiterklärt, über diese Zeit zu sprechen, ihre Eindrücke zu schildern. Vor allem aber wollen die Vier eines deutlich machen: „Wie maßlos enttäuscht wir von ihm sind.“ Im Nachhinein würden sie ihn als einen Menschen mit „zwei Gesichtern“ erleben.

Gummersbacher entsetzt: „Er hat die Menschen getraut, ihre Kinder getauft“

Die Vier sind vorsichtig. Im Pfarrheim erzählen sie, dass sie Sorgen hätten, mit allem, was sie sagen, unter Verdacht zu geraten. Die Vorfälle, die es auch in ihrer Gemeinde gegeben haben soll, verharmlosen zu wollen. Das Gegenteil sei der Fall. Andere Gemeindemitglieder, die auch zu dem Treffen kommen wollten, hätten das nicht geschafft. Sie hätten zurzeit einfach nicht die Kraft, über die Zeit mit U. in der Gummersbacher Gemeinde zu sprechen. „Er hat die Menschen getraut, ihre Kinder getauft – und jetzt fragen sie, ob das alles überhaupt gültig ist“, berichtet Christel Franke.

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Der Pfarrer, berichten sie und ihr Mann Norbert Franke, sei immer wieder bei ihnen zu Hause gewesen, auch zum Essen. Vor allem dann, wenn der Geistliche mit Christel Franke die nächsten Pfarrnachrichten besprochen habe, für dessen Redaktion sie zuständig war. „Kein Tag vergeht im Augenblick, an dem der Prozess gegen ihn nicht Thema in der Gemeinde ist“, sagt Norbert Franke. Was ihn besonders umtreibt, ist der Umstand, dass von all dem, was Zeugen inzwischen vor Gericht ausgesagt hätten, außerhalb des Pfarrhauses damals nichts angekommen sei.

Missbrauchsprozess: Eine ganze Gemeinde getäuscht

Während Franke von „Vertuschung“ spricht, sieht Marion Passerah den Pfarrer heute als einen Mann, der eine ganze Gemeinde getäuscht habe. Für viele Menschen sei das wie ein Schlag ins Gesicht. Ein Pfarrer sei ein Mann, dem man vertraue, bei dem man seine Beichte ablege, schildern alle Vier. „Und dann so etwas? Das ist ganz furchtbar.“

Kirchenaustritte nehmen zu

Die Zahl der Kirchenaustritte hat in Oberberg deutlich zugenommen, wie eine Nachfrage bei den drei Amtsgerichten ergeben hat. Diese können nur Aussagen zur Gesamtzahl machen, die nicht nach der Konfession unterscheidet.

Nach einem leichten Rückgang 2020 ist die Zahl der Austritte 2021 nach oben geschnellt. Im Bereich des Amtsgerichts Gummersbach wurde 2019 eine Zahl von 766 Austritten registriert, 2020 waren es 493 und 2021 dann 968. Eine vergleichbare Entwicklung meldet das Amtsgericht Wipperfürth. Dort waren es 2019 544 Austritte, 2020 noch 405, ehe die Zahl 2021 auf 728 hochschnellte.

Der Trend setzt sich beim Amtsgericht in Waldbröl fort. Nach 459 Austritten im Jahr 2019 folgten 2020 dann 331, ehe auch hier die Zahl 2021 auf 585 Kirchenaustritte anstieg. (ar)

Rückblickend sagen sie, es sei aus heutiger Sicht schon ein wenig auffällig gewesen, dass U. nur Messdienerinnen haben wollte. „Die Jungs hat er links liegen lassen“, erinnert sich Christel Franke. Eigentlich seien Mädchen als Messdiener damals gar nicht gestattet gewesen. Doch der Pfarrer habe sich über die Anweisung hinweggesetzt. Ein Verhalten, das man ihm in der Gemeinde aber nicht übel genommen habe – im Gegenteil.

„Am Ende hat er uns allen was vorgemacht“, sagt Küster Horst Ladenbauer. Auch er hat wie andere das „herzliche Verhältnis“ von U. zu den Messdienerinnen erlebt und sich dabei nichts Schlimmes gedacht. In der Sakristei hätten sich die jungen Mädchen und der Pfarrer bei der Begrüßung umarmt. „Mir ging das damals zu weit, doch die Menschen hier haben ihm immer vertraut“, sagt Ladenbauer. Was ihn und die anderen heute entsetzt, ist, dass es dem Pfarrer offenbar gelungen ist, seine mutmaßlichen Taten im Kreise der ihm anvertrauten Messdienerinnen so darzustellen, als sei das alles völlig normal.

Zu einigen Familien brach Pfarrer U. den Kontakt ab

Mit den Familien, denen der bisweilen sehr nahe und vertraute Umgang des Priesters mit deren Töchtern nicht gefallen habe, habe U. den Kontakt abgebrochen, wie Christel Franke berichtet. „Den Müttern ist das sehr wichtig, dass das hier zur Sprache kommt“, fährt sie fort.

Dass er nach Schilderungen seiner ehemaligen Gemeindemitglieder „nie wirklich in der Pfarrei angekommen“ sei und diese „nicht unterstützt“ habe, mag wie eine Randgeschichte klingen. Für die Vier ist diese aber auch ein Beleg dafür, dass der Pfarrer immer nur „sein Ding“ gemacht habe. Und dennoch schildern sie ihn nach wie vor als einen Pastor, der gute Messen gefeiert und gute Predigten gehalten haben. Das sei ja auch der Grund dafür gewesen, dass viele Menschen aus dem Umland in die Gemeinde gekommen seien.

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Und wie geht es jetzt weiter? Die Enttäuschung sei groß und man wünsche sich den Austausch innerhalb der Gemeinde, sagen die Vier. Christel Franke ist aufgefallen, dass Kreisdechant Christoph Bersch immer öfter in ihrer Gemeinde die Messe gefeiert und viele aufbauende Sätze gesprochen hat. „Er versucht erkennbar, die Situation aufzufangen“, sagt Franke.

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