Der Debütroman „Wenn Martha tanzt“ des Wipperfürther Autors Tom Saller wurde ein großer Erfolg. Nun legt er seinen neuen und fünften Roman vor.
„Und Hedi springt“Der Wipperfürther Autor Tom Saller spricht über seinen neuen Roman

Der Schriftsteller Tom Saller lebt und arbeitet in Wipperfürth.
Copyright: Gerald von Foris
Tom Saller, Schriftsteller aus Wipperfürth, hat ein neues Buch veröffentlicht. Stefan Corssen sprach mit ihm über die Figuren, den Schreibprozess und die Premierenlesung in Wipperfürth.
Im Zentrum Ihres neuen Romans stehen zwei Personen: Hedi, eine Figur, die an Ihre Großmutter angelehnt ist, und Alfons Müller-Wipperfürth. Was fasziniert Sie an dem Fabrikanten?
Tom Saller: Er war Patriarch alter Schule, gegenüber seinen Angestellten teilweise sehr fürsorglich und hilfsbereit. Ich habe mit verschiedenen Zeitzeugen sprechen können, die das allesamt bestätigt haben. Wenn etwas aber nicht nach seinem Willen lief, konnte er sehr tyrannisch und dominant sein. Insbesondere in Geschäftsverhandlungen ist er, glaube ich, fast schon brutal gewesen und hat gegen alle Widerstände seinen Kopf durchgesetzt.
Wie viel Wahrheit und wie viel Fiktion steckt in ihrem Buch? Was ist real, was haben Sie sich ausgedacht?
Real ist zum Beispiel, dass Alfons Müller vor Ende des Zweiten Weltkriegs Nähmaschinen im Wipperfürther Neyetal deponiert hat. Die Gründung des großen Werkes am Wipperhof, seine Globalisierung, sein Expansionsdrang, das alles sind Tatsachen. Es stimmt, dass er ein begeisterter Hobbyflieger war, dass er Anfang der 60er Jahre abstürzte und dabei schwer verletzt wurde. Und dass er einer der schillerndsten Steuerflüchtlinge der noch jungen Bundesrepublik war.
Was ist mit den anderen Personen? Das sind zum Teil Menschen aus Ihrer Familie.
Hedi ist meine Großmutter gewesen und ihre Mutter war Martha, meine Urgroßmutter. Bei beiden Personen arbeite ich mit der realen Familiengeschichte, dann aber auch wieder mit fiktionalen Elementen. So ist Hedi tatsächlich 1947 hier im Durchgangslager angekommen, hat sich hier in der Stadt als Fremde zurechtfinden und ein neues Leben aufbauen müssen, ist alleinerziehende Mutter gewesen, alles wie im Roman beschrieben. Sie hat jedoch bei Wollmeyer – also in der gleichen Branche gearbeitet – aber nicht bei Müller. Tatsächlich sind sich Hedi und Alfons Müller-Wipperfürth in der Wirklichkeit nie begegnet.
Wenn man die eigene Familiengeschichte aufarbeitet und in einem Roman verarbeitet – ist das eine heikle Sache? Vielleicht sind nicht alle aus der Familie damit glücklich?
Deswegen habe ich diesen Roman auch erst nach dem Tod meiner Eltern geschrieben, weil mein Vater in dem Roman keine große, aber doch eine wesentliche Rolle spielt, insbesondere in meiner Auseinandersetzung mit ihm, auf einer Gegenwartsebene, die es im Roman gibt. Auch da muss man wieder vorsichtig sein. Es ist Autofiktion, die ich da betreibe. Thomas, wie schon in meinem Debütroman ‚Wenn Martha tanzt‘, hat viel mit mir zu tun. Hat den gleichen Beruf, ist ein bisschen jünger als ich.

Das Buchcover des fünften Romans von Tom Saller.
Copyright: List Verlag
Die groben Familienangaben stimmen auch, dennoch ist einiges erfunden. Ich bin mir sicher, das hätten meine Eltern nicht immer verstanden oder verstehen wollen. Hätte ich das Buch zu ihren Lebzeiten geschrieben, hätten sie es vielleicht ein bisschen als Nestbeschmutzung verstehen können. Und das wollte ich nicht. Ich wollte meine Eltern niemals beleidigen oder gar vorführen, das haben sie nicht verdient.
Was mir bei Ihrem Buch als erstes aufgefallen ist, ist die Musikalität der Sprache. Wie gehen Sie beim Schreiben vor?
Mein Schreibprozess ist sehr langsam, fast schon zwanghaft langsam. Im Unterschied zu vielen anderen Autoren, die erstmal durchschreiben, korrigiere ich schon während des Schreibens immer wieder. Habe ich eine Seite geschrieben, lese ich am gleichen Tag drüber, überarbeite sie am nächsten Tag, am übernächsten noch einmal, und erst dann schreibe ich weiter. Im Schnitt schaffe ich so alle drei Tage eine Seite. Dieser Prozess wiederholt sich unzählige Male nach Fertigstellung des Manuskriptes. Erst wird am Rechner, am Monitor, korrigiert. Dann wird es ausgedruckt und korrigiert. Und hinterher, wenn die Druckfahnen vom Verlag kommen, wird noch einmal alles korrigiert. Grundsätzlich lese ich mir immer alles laut vor, da kommt die Musikalität ins Spiel.
Rhythmus und Tempo müssen stimmen?
Ganz genau, das ist entscheidend. Da ist die Analogie zur Musik, man spricht von einem Sprachrhythmus, von Sprachtempo und Betonungen. Das ist wirklich sehr vergleichbar mit der Musik.
Kommen wir noch zur Premierenlesung am 9. Oktober in der Alten Drahtzieherei in Wipperfürth. Dafür haben Sie sich etwas Besonderes ausgedacht.
Ja, ich mache mir selbst ein Geschenk. Ich habe vier professionelle Musiker eingeladen, mit der Besetzung Piano, Drums, Bass und einer Sängerin. Der Pianist Stefan Hansel hat fünf Songs, die im Buch vorkommen, in einem jazzigen Gewand neu arrangiert. Zusätzlich fliegt meine Lektorin aus Berlin ein. Sie wird die Veranstaltung moderieren. Es gibt also im Wechsel Musik, Moderation, und Passagen, die ich lese. Das alles soll ein großes Ganzes werden, auf das ich mich schon sehr freue.
Buchpremiere in der Alten Drahtzieherei in Wipperfürth
Eine bundesweite Buchpremiere findet am Donnerstag, 9. Oktober, 20 Uhr (Einlass ab 19 Uhr), in der Alten Drahtzieherei in Wipperfürth, Wupperstraße 8, statt. Autor Tom Saller stellt mit „Und Hedi springt“, seinen neuen, mittlerweile fünften Roman vor und liest daraus. Dazwischen sorgt eine vierköpfige Band für Livemusik. Karten für 15 Euro/12 Euro gibt es an den bekannten Vorverkaufsstellen und online unter altedrahtzieherei.de.
Tom Saller wurde 1967 geboren und lebt in Wipperfürth. Er ist Doktor der Medizin und arbeitet als Psychiater und Psychotherapeut. 2018 erschien sein erster Roman „Wenn Martha tanzt“, der ein riesiger Erfolg wurde.
Der Heimat- und Geschichtsverein Wipperfürth zeigt eine kleine Ausstellung zu den Themen „Müller-Wipperfürth“ und „Flüchtlingslager“ in der Geschäftsstelle der Kreissparkasse Köln am Marktplatz (bis Ende Oktober).