Der Übersetzer von Leid und TränenGladbacher Dolmetscher hilft Ukraine-Geflüchteten

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Übersetzer Paul Kruk

Bergisch Gladbach – Paul Kruk ist seit fünf Wochen ehrenamtlicher Dolmetscher in der ASB-Erstaufnahme-Unterkunft an der Saaler Mühle. Er hört Geschichten von Kriegsflüchtlingen, die er nicht vergessen kann. Nachts kann der Konzertpianist oft nicht einschlafen.

Gleich zu Beginn des Gesprächs entschuldigt sich Paul Kruk: „Es kann sein, dass mir die Tränen kommen, einem alten Mann wie mir.“ Er könne den Menschen unendlich lange zuhören, sagt der 65-Jährige, „aber wenn ich die Schicksale erzähle, überkommen mich die Gefühle .“ Der Gladbacher dolmetscht jeden Tag vormittags in der Unterkunft – vor seiner Arbeit als Klavierlehrer in den Musikschulen in Troisdorf und Wermelskirchen.

Kruk hatte keine Ahnung, wie sehr die Leute ihn brauchen würden

Kruk spricht Russisch und Ukrainisch. Als er sich entschied, freiwilliger Übersetzer zu werden, hatte er keine Ahnung, wie sehr die Leute ihn brauchen würden. Die sechsköpfige Familie Larina war mehr als drei Tage unterwegs, um aus einer Welt der Bomben zu flüchten. Von Charkiw aus mit dem Taxi bis Rumänien, 24 Stunden mit dem Zug nach Dresden, von dort mit dem Zug nach Köln. Jetzt sitzen alle an einem Tisch in der als Aufenthalts- und Essensraum umfunktionierten Turnhalle. „Babuschka“, sagt Kruk zur Begrüßung, und drückt die Hände der 96 Jahre alten Großmutter. „Sie weiß gar nicht, wo wir jetzt sind“, sagt Tochter Olga. Ihr Wohnviertel sei bombardiert worden. Die Familie habe alles zurückgelassen, was sie besitze. Ihre Mutter, die nicht mehr laufen kann, musste getragen werden.

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„Die Leute hatten bis vor kurzem ein ganz normales Leben. Jetzt hängen sie in den Containern und wissen nicht, wie es weitergeht“, sagt Kruk. Ihm, dem Übersetzer, erzählen sie von dem Grauen, das sie erlebt haben. Selbst für Kruk, der nur die Schilderungen hört, war das anfangs kaum auszuhalten.

In manchen Momenten fühlt sich der ehrenamtliche Dolmetscher so ohnmächtig

Neulich stand eine Frau vor ihm, die mitten aus der Chemotherapie herausgerissen worden war. „Paul, was soll ich machen?“, habe sie gefragt. Mit ihrem schwachen Immunsystem könne sie nicht in einer Massenunterkunft bleiben. „In solchen Momenten fühlt man sich so ohnmächtig“, meint Kruk.

„Paul ist ein großartiger Mensch und Dolmetscher“, sagt Karin Hindrichs, Leiterin der Erstaufnahme-Einrichtung, „er ist unser erster Ansprechpartner.“ Die Alternative, der Google-Übersetzer, sei unpersönlich. „Über Paul kommen wir mit den Bewohnern richtig gut in Kontakt und können helfen, wo es am drängendsten ist.“ Für Familie Larina konnte beispielsweise eine Beratung durch einen Pflegedienst organisiert werden, um eine Betreuung der Großmutter zu besprechen.

35 Container-Zimmer

Die Unterkunft

Aktuell leben 80 Menschen, etwa die Hälfte sind Kinder, sowie drei Hunde und zwei Katzen in der Erstaufnahme-Einrichtung an der Saaler Mühle. In den Hochzeiten waren es 120 Ukrainer, die provisorisch in den insgesamt 35 Container-Zimmern untergekommen waren. Der Arbeiter- Samariter-Bund ist mit 25 Mitarbeitern vor Ort. Das städtische Tochterunternehmen GL-Service gleich nebenan, das auch für die Schulmensa kocht, liefert das Essen. Ein Arzt im Ruhestand kommt regelmäßig vorbei und versorgt die Menschen ehrenamtlich. Eine Rentnerin gibt Sprachunterricht. (ub)

Vor kurzen fand sich der Klavierlehrer in einem Gespräch wieder mit einer 50-jährigen Lehrerin. Sie berichtete, wie ihr Haus bombardiert wurde. Wie sie, als die Sirenen ertönten, mit ihren Kindern wegrennen musste und sich noch schnell die Winterstiefel im Flur anzog. Jetzt bat sie Kruk um Hilfe: „Es sind 19 Grad. Kannst Du bitte fragen, ob es leichtere Schuhe für mich gibt?“

Das Bild dieser Winterstiefel geht Kruk nicht aus dem Sinn. „Für mich sind sie ein Symbol dieses Krieges, der Millionen Menschen zu Bittstellern in einem fremden Land macht“, sagt er. Es ginge nicht um die Schuhe, Kruk könnte der Frau 20 Paar schenken. Das Schicksal, das dahinter stecke, berühre ihn.

Bei der Verarbeitung hilft dem Konzertpianisten die Musik

Kruk ist vor 26 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, als sogenannter Kontingentflüchtling. Im Rahmen von Übernahmeerklärungen des Bundes konnten Menschen mit jüdischen Vorfahren aus der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten einreisen. Kruk zog nach Bergisch Gladbach. Die Ukraine sei für ihn zu einem fremden Land geworden. Mental sei er Deutscher. „Aber seit der Krieg entbrannt ist, habe ich ständig Tränen in den Augen.“

Von seinem neuen Lebenskapitel erzählt er fasziniert. Die Menschen warteten auf ihn, fragten ihn um Rat, er gebe ihnen Hoffnung. Aber zugleich wird er auf eine harte Probe gestellt. Um mit dem Gehörten klarzukommen, musste sich der Sprachmittler etwas überlegen. „Ich habe mir eine innere Wand aufgebaut.“ Anders ginge es nicht. „Sonst wache ich jede Nacht auf, weil mir die Geschichten nicht aus dem Kopf gehen.“ Seit drei, vier Tagen könne er besser schlafen. Aber leicht sei es nicht.

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Bei der Verarbeitung hilft auch die Musik: Der Konzertpianist gibt Hauskonzerte zugunsten der Kriegsvertriebenen. „Die Erlöse gehen komplett an die Menschen, damit sie hier mit dem Nötigsten versorgt werden“, berichtet Kruk.

Familie Larina hofft, dass sie schnell in die Ukraine zurückkehren kann. Aber so richtig glaubt Olga Larina nicht daran.

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