„Geheime“ Stadt hinter ZäunenErste Führungen durch Zanders-Gelände starten

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Unterwegs auf der „Main Street“, die das ganze Gelände durchquert.

Unterwegs auf der „Main Street“, die das ganze Gelände durchquert.

Bergisch Gladbach – Ab und zu rumst es. Ein einsamer Gabelstaplerfahrer befördert Rohre in einen Container, einzeln, Stück für Stück. Ansonsten herrscht gespenstische Stille zwischen den Fabrikgebäuden auf dem riesigen Zanders-Gelände. Die zwölfköpfige Besuchergruppe mit ihren gelben Sicherheitswesten wirkt wie ein Schauspielerensemble beim Showdown in einem Spätwestern aus dem Industriemilieu.

Die Führung beginnt an der „Keimzelle“ der Zandersfabrik, der Maschinenhalle aus der Gründerzeit Anfang des 19. Jahrhunderts.

Die Führung beginnt an der „Keimzelle“ der Zandersfabrik, der Maschinenhalle aus der Gründerzeit Anfang des 19. Jahrhunderts.

Seit feststeht, dass die Papierproduktion hier endgültig der Vergangenheit angehört, bietet die „Projektgruppe Zanders Innenstadt“ öffentliche Führungen durch das Gelände an, das nun der Stadt Bergisch Gladbach gehört. Schon beim ersten Termin wird klar: Das Angebot wird ein Renner.

Quadratisch, praktisch, aber nicht unbedingt gut

Die meisten Teilnehmer sind Gladbacher, die meisten waren noch nie in dieser „geheimen Stadt“ hinter Zäunen, die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts aus der kleinen Gohrsmühle entwickelt hat.

Führungen

Interessierte können sich im städtischen Pressebüro zu den Führungen anmelden unter (02202) 14 23 02 oder per Email unter veranstaltungen-aufzanders@stadt-gl.de. Allerdings gibt es nur noch wenige Restplätze.

Die Projektgruppe plant derzeit neue Termine, auch Führungen zu speziellen Themenschwerpunkten sind in Arbeit.

Die großen Ländereien der Familie Zanders im heutigen Innenstadtbereich ermöglichten eine raumgreifende Expansion der Papierfabrik. Und so findet sich in der Architektur ein historischer Dreiklang: Die „Keimzelle“ und die daneben liegenden Gründungsgebäude aus dem 19. Jahrhundert sind Zeugen klassischer Industriearchitektur.

Über 2000 Quadratmeter groß ist die „Festhalle“ hinter den Bahngleisen. Vielleicht wird sie bald für Veranstaltungen genutzt.

Über 2000 Quadratmeter groß ist die „Festhalle“ hinter den Bahngleisen. Vielleicht wird sie bald für Veranstaltungen genutzt.

Die riesigen Produktions- und Lagerhallen für die Großpapiermaschinen, das eindrucksvolle Kraftwerk mit seinen weithin sichtbaren Türmen – entstanden in der Blütezeit der Papierproduktion – spiegeln Selbstvertrauen und Machtanspruch. Und schließlich die „Wellblecharchitektur“ der 60/70er Jahre, riesige Papierlager, quadratisch, praktisch, aber nicht unbedingt gut.

Ehemaliger Zandrianer betreut die Gruppe

„Hier war eben viel Platz“, sagt Projektleiter Udo Krause. „Wenn man erweitern wollte, hat man nicht angebaut, sondern gleich was Neues hingestellt.“ Führerin Sophie Korst findet gerade diese Diskrepanz spannend. Die „vermeintlich unschönen Ecken“ haben es ihr angetan. Davon gibt es einige. Man sieht, wie der Verfall insbesondere der späten Billigarchitektur zugesetzt hat. Jahrelang ist hier nichts mehr gemacht worden.

Ein Gabelstaplerfahrer verlädt altes Inventar und Gerätschaften aus den leeren Fabrikhallen. Schrotthändler haben es ersteigert.

Ein Gabelstaplerfahrer verlädt altes Inventar und Gerätschaften aus den leeren Fabrikhallen. Schrotthändler haben es ersteigert.

Wilder Flieder wuchert überall und sorgt für eine Atmosphäre morbider Romantik. Die Teilnehmer der Gruppe dürfen sich als Pioniere fühlen, wie Udo Krause versichert. Doch beim Gang über die „Main Street“, die breite Hauptachse, die bis zum „Hintereingang“ an der Cederwaldstraße führt, schlägt die Stunde der Insider. Wolfgang Koch zum Beispiel, der von der Ausbildung bis zur Liquidation ein Zandrianer war und jetzt als Mitglied der Projektgruppe eine Art Hausmeister und Betreuer der Besuchergruppen ist.

„Pommdöner“ gab's für 4,50 Euro

Koch weiß alles über Zanders. Während wir über die Main Street flanieren, erfahren wir, dass unter unseren Füßen ein gigantisches Kanalsystem liegt. Koch: „Da könnten Sie durchgehen bis zum Brauhaus Bock.“ Hinter der Marienstatue kommt der 25 Meter lange Kanal aus dem Untergrund. Von den Papiermaschinen über die Schornsteine bis hin zum werkseigenen Falken und seiner Vorliebe für beringte Zuchttauben kann Koch berichten.

In der „Zantine“ gab es Mittagessen für die Belegschaft.

In der „Zantine“ gab es Mittagessen für die Belegschaft.

Doch der Streifzug weckt wehmütige Erinnerungen. „Es tut mir in den Augen weh, was hier alles weggeworfen wird“, sagt er und deutet auf einen Stapel Werkzeug, der auf den Abtransport durch den Schrotthändler wartet, der es als Insolvenzmasse bei der Auktion ersteigert hat. Den Weg zur „Zantine“ weist ein verwittertes Schild. Koch erinnert sich gut an den Ansturm auf die unscheinbare Imbissbude, an der noch eine verblichene Speisekarte Frikadelle und „Pommdöner“ für 4,50 Euro anpreist.

Interessenten für zwei Papiermaschinen

Besucher Dieter Schütze war auch 40 Jahre lang bei Zanders, bevor er in die Papierfabrik in Düren wechselte. Zwischen Anekdoten und Infos denkt er an die Zukunft des Geländes. Die Verlängerung der Stadtbahnlinie 3 von Thielenbruch durch die Main Street etwa: „Man sieht das doch förmlich vor sich.“ Udo Krause bestätigt entsprechende Überlegungen der Stadt, angefangen beim Namen des Haltepunkts „Zanders/Kraftwerk“. Doch erst einmal steht der Rückbau der Industrieanlagen an.

Kraftquelle: Udo Krause im Biotop an der Strunde.

Kraftquelle: Udo Krause im Biotop an der Strunde.

Ein Jahr, schätzt Krause, dauere es mindestens, bis allein die großen Papiermaschinen PM 2 und PM 3 verkauft und abmontiert sind. „Die können Sie ja nicht einfach einpacken und abtransportieren.“ Es sei schwierig geworden, solche Giganten loszuwerden, sagt Krause, ist aber zuversichtlich angesichts zweier Interessenten aus Indonesien und Katar. Die Kläranlage sei derzeit das größte Sorgenkind des Insolvenzverwalters.

Öffnung des „Gohrsmühlenplatzes“

Sie ist abgeschaltet und darf nicht mehr betrieben werden, dennoch fällt bei der Reinigung der Maschinen weiterhin Klärschlamm an, der teuer entsorgt werden muss. Während die Gruppe zwischen Reinigungszentrum und den Wasserbottichen der Kläranlage steht, steuert Dieter Schütze die Anekdote von den Goldfischen bei, deren Anwesenheit in den Becken die Sauberkeit des Wassers demonstrieren sollte. „Kläranlage mitten in der Stadt geht gar nicht“, kontert Krause.

Die firmeneigene Tankstelle steht noch auf dem Gelände.

Die firmeneigene Tankstelle steht noch auf dem Gelände.

Was dagegen geht, ist Zukunftsmusik. In der „Keimzelle“ hat die Projektgruppe ihr Planungsquartier. Was passiert mit den riesigen Rohrsystemen zwischen den Gebäuden? Was mit den Dampfkraftzentralen, Kohlerutschen und Lagerhäusern? Stehenlassen? Abreißen? Als erste Aufgabe der Stadt sieht Sophie Korst eines: „Spuren legen“. Eine dieser Spuren ist die Öffnung des „Gohrsmühlenplatzes“ vor dem berühmten Schriftzug am Kreisverkehr zum unteren Hauptstraße.

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Sitzbänke aus blauen Paletten haben die hier einquartierten Feuerwehrschüler gebaut. „Mit denen können wir den Platz möblieren“, sagt Korst. Ab dem 6. September können Interessenten den Platz für Veranstaltungen buchen. Ein weiteres Projekt in Sichtweite ist die „Festhalle“, ein über 2000 Quadratmeter großes Gebäude hinter der ehemaligen Bahneinfahrt. Oder der Platz davor.

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An der alten Dampfspeicherlok vorbei geht es durch die schöne Parkanlage zurück zum Pförtnerhaus. „Happy Birthday Chromolux“ grüßt ein pinkfarbenes Plakat mit einer großen „60“ das berühmte Edelpapier. Anderthalb Stunden waren wir in einer anderen Welt. Einer Welt, die versinken wird.

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