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SozialbautenBergisch Gladbacher Stadtrat greift mit Quote in den Wohnungsmarkt ein

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Das Foto zeigt Gebäude an der Handstraße, wo die Rheinisch-Bergische Siedlungsgesellschaft 100 neue Wohnungen gebaut hat.

In Bergisch Gladbach eine Seltenheit: Ein Neubau mit preiswerten Wohnungen. Gebaut wurden die Wohnungen von der RBS an der Handstraße.

Mit hauchdünner Mehrheit und seltsamer Parteienkonstellation hat die Stadt Bergisch Gladbach entschieden, in den Wohnungsmarkt einzugreifen.

 Konkret ist beschlossen worden, dass in Zukunft jeder Investor bei einem Bauvorhaben mit mehr als zwölf Wohneinheiten mit einer Quote von 30 Prozent gefördertem Wohnraum arbeiten muss. Eine echte Zäsur in der Bergisch Gladbacher Wohnungspolitik – zumindest in dieser Beurteilung waren sich alle im Rat einig.

Das Thema war in den vergangenen Monaten von ganz verschiedenen Seite befeuert worden. Die Ampel – das Bündnis von Grünen, SPD und FDP – war daran zerbrochen, weil die FDP den Eingriff in den Markt und die vermeintliche Behinderung von Investoren nicht mehr mittragen wollte. In den Ausschusssitzungen wurde das Thema immer weiter emotionalisiert. Der Gipfelpunkt war dann die Ratssitzung. Der Bergisch Gladbacher Rat hat sich in der Vergangenheit – jenseits persönlicher Seitenhiebe – durch eine sachliche Atmosphäre ausgezeichnet.

In der Ratssitzung zum Bauland wurden von Vertretern der Grünen und SPD an das „soziale Gewissen“ insbesondere der CDU appelliert – wer einen „funktionierenden ethischen Kompass“ habe, der müsse der 30-Prozent-Quote zustimmen. Die CDU verwahrte sich gegen solche Angriffe. Christian Buchen, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender: „Es geht hier nicht um eine Abstimmung zwischen moralisch gut und moralisch schlecht. Wir alle suchen nach Wegen für bezahlbare Wohnungen in unserer Stadt.“

Es geht hier nicht um eine Abstimmung zwischen moralisch gut und moralisch schlecht.
Christian Buchen, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender

Klar ist, dass schon jetzt in Bergisch Gladbach Wohnungen, vorwiegend für Menschen mit niedrigem Einkommen, fehlen. Und in dem von der Stadt in Auftrag gegebenen Gutachten des Bonner Büros Quaestio ist die Zukunftsperspektive mehr als düster: Selbst mit der Einführung einer 30-Prozent-Quote könne die derzeitige Unterversorgung bestenfalls gehalten werden – eine grundsätzliche Besserung sei nicht in Sicht.

Von besonderer Bedeutung waren im Vorfeld die Ausführungen von Matthias Wirtz von der Kreissparkasse. Der Banker hatte die Ratspolitiker über den Immobilienmarkt informiert – mit der Ansage, bitte später nicht als Kronzeuge für irgendeine Entscheidung genannt zu werden. Der Wunsch ging nicht in Erfüllung.

Die Gegner einer 30-Prozent-Quote verwiesen auf Aussagen von Wirtz zu den geringen Renditen im geförderten Wohnungsbau, die Befürworter auf die Äußerungen von Wirtz zum „Marktversagen“ bei der Schaffung von bezahlbaren Wohnungen. Im Gespräch mit dieser Zeitung sagte Wirtz: „Mir ging es um die Darstellung des Immobilienmarktes. Welche Schlüsse die Politiker daraus ziehen, ist dann nicht mehr mein Geschäft.“

Mir ging es um die Darstellung des Immobilienmarktes. Welche Schlüsse die Politiker daraus ziehen, ist dann nicht mehr mein Geschäft.
Matthias Wirtz, Kreissparkasse Köln

Grün-Rot hatte sich auf die 30 Prozent festgelegt und es ging nur noch darum, ob es dafür eine politische Mehrheit gibt. Die Freien Wähler hatten ihre Zustimmung signalisiert. Hinzu kam überraschend die Bergische Mitte – die Fraktion mit Fabian Schütz (vormals AfD-Ratsmitglied) und Iro Hermann (vormals Bürgerpartei).

Noch vor einer Woche hatte diese Fraktion gegen die 30-Prozent-Quote gestimmt. Fabian Schütz sagte im Gespräch mit dieser Zeitung, dass ihn und Hermann insbesondere der Vortrag des Bankers Wirtz zum Umdenken gebracht habe. Gleichwohl bestätige Schütz die Gespräche mit Vertretern von Grün-Rot und Bürgermeister Frank Stein.

Die 30-Prozent-Quote fand in geheimer Abstimmung eine Mehrheit. Keine Mehrheit fand dagegen das Handlungskonzept Wohnen. Da gingen die Freien Wähler nicht mit. Insofern war es nur ein halber Erfolg für Grün-Rot. Die Verwaltung muss nun prüfen, ob und wie eine neue 30-Prozent-Quote ohne beschlossenes Handlungskonzept umgesetzt werden kann.


Grundsätzlich gestörte Umzugsketten

Die 30-Prozent-Quote kann derzeit nur auf zwei Projekte angewandt werden: auf dem Wachendorff-Gelände und auf dem Gelände von Zanders. Über weitere größere Baugebiete, für die die Stadt neue Bebauungspläne anlegen muss, verfügt die Stadt nicht. Das Gros der Bautätigkeit läuft ohne neue Bebauungspläne, also auch ohne 30-Prozent-Regel.

Dort greift der Paragraf 34 des Baugesetzbuches: Neue Bauvorhaben müssen sich der Umgebung anpassen. Bei neuen Bebauungsplänen können sich in Zukunft Investoren gegen die Quote im Rahmen der Prüfung nach Angemessenheit wehren. Das Instrument der Quote wird bereits in vielen Kommunen von NRW eingesetzt. Wobei die Höhe der Quote variiert.

Keinen Einfluss hat die Quote auf die grundsätzlich gestörten Umzugsketten. Damit ist zum Beispiel gemeint, dass ältere Menschen nach dem Auszug ihrer Kinder das Einfamilienhaus verlassen und sich eine kleinere Wohnung suchen. Neu gegründete Familien verlassen ihre Wohnung und ziehen in Einfamilienhäuser. Oder wenn Einzelpersonen   in größere Wohnungen ziehen und Berufsanfänger in ihre erste kleine Wohnung. Aktuell verlassen ältere Menschen üblicherweise nicht ihre großen Häuser und besser Verdienende bleiben in ihrer vergleichsweise preiswerten Wohnung.(nie)

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