„Versuchter Mord“Prozessauftakt im Fall der fast verhungerten Alina aus Bergheim

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Die angeklagte Bergheimerin vor dem Landgericht in Köln

Köln/Bergheim – Zuletzt war es ein Leben im Dämmerzustand, Alina vegetierte elendig in ihrem Bett vor sich hin – verwahrlost, hungrig, allein gelassen. Für die damals Fünfjährige bestand akute Lebensgefahr, weil ihre Mutter es offensichtlich mit der Ernährung nicht so genau nahm – es gab lediglich mal ein Milchbrötchen und ein Glas Wasser. Mit mütterlicher Fürsorge, was liebevolle Pflege, soziales Miteinander und Zuneigung anbetrifft, stand es im Haushalt der vierköpfigen Familie nach Aktenlage nicht zum besten.

Alina war so schwach, dass sie in der Zeit von Anfang Juni bis Ende August 2020 „quälend vor Hunger und Schmerzen Tage im Bett verbrachte: nur mit einer Windel bekleidet, inmitten von Erbrochenem, Kot und Urin in verschmutzter Bettwäsche – bei einem Körpergewicht von 8,2 Kilogramm“ – so steht es in der Anklage, mit der Staatsanwältin Clémence Bangert am Montag zum Prozessauftakt gegen Monika S. (24, alle Namen geändert) vor dem Kölner Landgericht ihre Anschuldigung eines „versuchten Mordes“ unterstrich. Die dreifache Mutter habe gegenüber ihrer Tochter „grausam“ gehandelt, begründete Bangert das vorliegende Mordmerkmal.

Erzieherin als Lebensretterin

Dass Alina überlebte, ist dem Zufall zu verdanken. Ihre Kindergärtnerin hatte das unentschuldigte Fehlen der Fünfjährigen im Hinterkopf, als sie im August 2020 die Mutter zufällig auf der Straße antraf. Weil Monika S. behauptete, Alina sei so krank, gingen bei der Erzieherin die Alarmglocken an. Sie rief das Jugendamt.

Mitangeklagt – ebenfalls wegen versuchten Mordes sowie Misshandlung von Schutzbefohlenen – ist der 23-jährige Lebensgefährte, mit dem Monika S. zuletzt zusammen lebte. Das Paar habe gemeinschaftlich „eine Person, die seiner Fürsorgepflicht unterlag, durch Unterlassen gequält und durch böswillige Vernachlässigung ihrer Pflicht, für sie zu sorgen, in der Zeit von Juni bis August 2020 an der Gesundheit geschädigt und hierdurch in die Gefahr des Todes gebracht“, sagte die Staatsanwältin: „Obwohl sich das Kind in einem lebensbedrohlichen Zustand befand – eine tödliche Entgleisung des Stoffwechsels war jederzeit möglich – holten die Angeschuldigten keine medizinische Hilfe.“ Wäre Aline nicht am 27. August 2020 in die Kinderklinik Amsterdamer Straße eingewiesen und dort notfallmedizinisch versorgt worden, „wäre zeitnah mit dem Hungertod des Kindes zu rechnen gewesen“, hieß es abschließend in der Anklageschrift.

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Auch der Lebensgefährte von Alinas Mutter ist mitangeklagt.

Vom Lebensgefährten stammt Kind Nummer drei. Sohn Timo kam im Dezember 2020 im Gefängnis auf die Welt. Da saß die 24-Jährige bereits in Untersuchungshaft, sie war im fünften Monat schwanger im September 2020 festgenommen worden. Für alle drei Kinder – nach Alina kam zwei Jahre später Bruder Finn – wurde der Mutter inzwischen das Sorgerecht entzogen.

Kennengelernt hatte Monika S. ihren aktuellen Lebensgefährten Anfang 2019 über ein Dating-Portal, da hatte sie sich gerade vom Vater ihres zweiten Kindes getrennt. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, soll er nach Aktenlage dazu gesagt haben. In Untersuchungshaft hat der Mann geäußert, er wolle Monika S. heiraten.

Angeklagte: Kein Interesse an Ausbildung

Die beiden haben viel gemeinsam. Beide stammen aus schwierigen Familienverhältnissen, sind berufslos. Bei beiden ist auch eine gewissse Interessenlosigkeit an einer Ausbildung, einem Schulabschluss oder einer adequaten Zukunftsperspektive in ihrem bisherigem Lebenslauf auszumachen, frei nach dem Motto „das Amt zahlt ja“.

Dabei kann zumindest bei der Dreifachmutter von mangelnder Intelligenz, die laut Aktenlage im „guten, durchschnittlichen Bereich“ liegt, keine Rede sein. Immerhin hatte sie seinerzeit beim Amt darauf gedrungen, für Alina eine Familienhilfe und verschiedene Therapien zu erhalten, auch wurde eine Pflegestufe (Stufe 2) bewilligt, seitdem zusätzlich zu der üblichen finanziellen Unterstützung 316 Euro Pflegegeld gezahlt.

Vermummt bis zur Unkenntlichkeit

Wie Monika S. hat auch der Lebensgefährte früh mit Nachwuchs angefangen. Der 23-Jährige („Ich liebe Kinder“) hat eine heute zweijährige Tochter, über die er laut Prozessakten sagt: „Es war ein Ausrutscher“, er habe das Kind nicht gewollt.

Vermummt bis zur Unkenntlichkeit nehmen beide am ersten Verhandlungstag im Schwurgerichtssaal Platz. Um so wenig wie möglich an Regung preiszugeben, hat Monika S. sich eine Strickmütze tief ins Gesicht gezogen, darüber die Kapuze ihres Hoodies, die Maske tut ihr Übrigens. Ebenso der neue Lebensgefährte, der allerdings klar und deutlich seine Personalien zu Protokoll gibt. Monika S. benötigt ein Mikrofon, doch auch dann flüstert sie mit Kleinmädchenstimme so leise, dass sie kaum zu verstehen ist. Ihr Verhalten ist möglicherweise dem hohen Presseaufkommen geschuldet. Doch damit ist schon nach wenigen Minuten Schluss. Der Prozess geht hinter verschlossenen Türen weiter, weil aus schutzwürdigen Interessen beider Angeklagten auf Antrag der Verteidiger das Verfahren zunächst unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt wird.

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Das wird in den nächsten Tagen möglicherweise anders aussehen. Der Prozess ist mit 14 Verhandlungstagen bis Ende Mai terminiert. Bereits am Mittwoch sollen Mitarbeiter des Jugendamtes, die die Familie betreuten, im Zeugenstand gehört werden.

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