Aus dem Hut gezaubertRedaktion verteilt gute Vorsätze mit erstaunlicher Trefferquote

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Der Verzicht aufs Handy falle ihr schwer, gesteht Ballonverkäuferin Claudia Große Redaktionsleiter Bernd Rupprecht.

Der Verzicht aufs Handy falle ihr schwer, gesteht Ballonverkäuferin Claudia Große Redaktionsleiter Bernd Rupprecht.

Brühl – Wenn Sie am Neujahrsmorgen Ihr Nachbar oder Ihre Nachbarin mit lautem Gesang aus dem Schlaf reißt, schimpfen Sie nicht auf ihn oder sie. Es könnte sein, dass wir schuld sind. Redaktionsleiter Bernd Rupprecht ist nämlich mit einem ganzen Korb voll guter Vorsätze losgezogen und hat Menschen angeboten, einen Überraschungsvorsatz wie ein Los aus dem Korb zu ziehen. In kleinen roten Zipfelmützen waren Zettel verborgen. Da wurden die guten Vorsätze quasi aus dem Hut – oder der Mütze – gezaubert.

„Gute Laune am Morgen verdrängt Kummer und Sorgen.“ Birgit Gerlach hätte diese Anregung offenbar nicht gebraucht. Sie sprüht nur so von Fröhlichkeit. Jeden Morgen ein Lied auf den Lippen unter der Dusche: Dieser Vorsatz ist passgenau für die Brühlerin. Sie weiß spontan, was sie im Badezimmer schmettern will: „Warum hast du nicht nein gesagt?“ Und sie zögert nur ganz kurz, das Lied anzustimmen, das Maite Kelly und Roland Kaiser aufgenommen haben.

Tippfehler entdeckt

„Na, wer das geschrieben hat, hatte wohl schon was getrunken“, ulkt Elke Hintermann, die mit ihrer Freundin in der Brühler Fußgängerzone beim Punsch sitzt. Denn sie hat sofort einen Tippfehler auf dem Zettel entdeckt. „Alkohol und Nikotin rafft die halbe Menschheit hin! Also Fastenzeit das ganze Jahr.“ Im Prinzip sei das kein Problem – „wenn es sein muss“ –, sagt die Brühlerin, die mittlerweile in der Schweiz lebt. Aber es sei schließlich auch ein Stück Lebensqualität, mit Freunden zusammen gut zu essen und zu trinken. Wie eben jetzt mit Birgit Gerlach.

Bei so viel guter Laune braucht es eigentlich gar keine guten Vorsätze mehr: Birgit Gerlach (l.) und Elke Hintermann hatten Spaß am spannenden Spiel.

Bei so viel guter Laune braucht es eigentlich gar keine guten Vorsätze mehr: Birgit Gerlach (l.) und Elke Hintermann hatten Spaß am spannenden Spiel.

Claudia Große steht mit einem ganzen Strauß bunter Ballons in der Fußgängerzone. Weil gerade kein Käufer in Sicht ist, nimmt sie sich die Zeit, einen Vorsatz aus der Zipfelmütze zu ziehen. „Kampf gegen die Handysucht: Alle zwei Tage bleibt das Smartphone aus.“ Sie schaue oft aufs Display, gesteht die Ballonverkäuferin. Schon wegen ihrer Freundin, die sie tagelang nicht sehe. Ansonsten falle ihr ein Tag ohne Handy nicht schwer. Im Gegenteil, sie finde den Verzicht sogar gut: „Dann besinnt man sich wieder auf seine Familie und die Menschen, die um einen herum sind.“

Vier Monate ohne Handy

David Dettmar zieht den gleichen Zettel. Der junge Mann aus Bornheim-Walberg muss lachen. „Das ist ja wohl ein Volltreffer“, bestätigt sein Freund Friedrich Schubert. Denn Dettmar studiert ausgerechnet Wirtschaftsinformatik und beschäftigt sich mit dem Thema Digitalisierung. Wenn er das Handy mal eine halbe Stunde zu Hause lasse, habe er zwar das Gefühl, etwas vergessen zu haben und auch Angst, etwas zu verpassen. Andererseits: Er habe auch schon vier Monate ohne ausgehalten. Das sei sehr angenehm gewesen. „Meine Freunde sind in der Zeit zuverlässiger geworden“, sagt der Student. Und bestätigt damit die Erfahrung der Generationen, die sich an Zeiten ganz ohne Handy erinnern.

Friedrich Schubert (l.) und David Dettmar greifen beherzt in den Korb mit den kleinen Zipfelmützen.

Friedrich Schubert (l.) und David Dettmar greifen beherzt in den Korb mit den kleinen Zipfelmützen.

Bei Friedrich Schubert landet der Zufall gleich den nächsten Treffer. Er studiert Agrar- und Lebensmittelökonomie. Und erwischt den Zettel, der ihn zum Vegetarier machen soll. Na ja, er will es bei „bewusstem Konsumieren“ belassen, also weniger Fleisch, dafür aber mit Genuss. „Das klappt gut“, sagt Schubert.

Urlaub schon gebucht

„Im neuen Jahr lasse ich das Auto stehen und steige in kein Flugzeug.“ Diesen Vorsatz zieht Elfi Pracht-Jörns aus der Mütze. „Finde ich grundsätzlich gut“, sagt die Brühlerin. „Kommt aber zu spät.“ Denn der Urlaub in Wien sei schon gebucht. Und aufs Auto seien sie und ihr Mann angewiesen, weil sie etwas außerhalb Brühls wohnten. Immerhin, nach Köln fahren sie mit der Straßenbahn. Und der nächste Wagen soll elektrisch angetrieben sein. An ihrem persönlichen Vorsatz will sie obendrein festhalten: Sie hat sich vorgenommen, sich weniger Stress zu machen.

Noch machen Klaus Jörns und Elfi Pracht-Jörns skeptische Gesichter.

Noch machen Klaus Jörns und Elfi Pracht-Jörns skeptische Gesichter.

Dass das Ehepaar etwas außerhalb wohnt, könnte sich als Vorteil herausstellen. Denn Klaus Jörns erwischt auch den Zettel, der zum Singen unter der Dusche animiert. „Schwierig“, sagt er. „Morgens habe ich nicht immer gute Laune.“ Immerhin kenne er viele Lieder. „Im Zweifelsfall entscheide ich mich für eine Opernarie.“

Also, wenn Sie am Neujahrsmorgen von einer Arie geweckt werden, fragen Sie den Nachbarn nicht: „Warum hast du nicht nein gesagt?“ Sie wissen doch, wie das ist mit den guten Vorsätzen: Sie halten nicht lange. Bald ist wieder Ruhe.

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