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Expertin im Interview„Fachkräftesituation im Rhein-Erft-Kreis und Erftstadt ist angespannt“

6 min
Eine Frau steht in einem Zimmer.

Michaela Weber leitet das KSG Kompetenzzentrum für Sozial- und Gesundheitsberufe in Erftstadt.

Das KSG Kompetenzzentrum für Sozial- und Gesundheitsberufe in Lechenich bietet Aus-, Fort- und Weiterbildungen von Fachkräften an.

Vor rund einem Jahr wurde das KSG Kompetenzzentrum für Sozial- und Gesundheitsberufe in Erftstadt an der Bonner Straße 46 in Lechenich eröffnet. Hier werden Aus-, Fort- und Weiterbildungen für Fachkräfte im Sozial- und Gesundheitswesen angeboten, auch speziell für internationale Auszubildende.

Das KSG hat es sich zum Ziel gesetzt, den Fachkräftemangel im Rhein-Erft-Kreis zu verringern und gleichzeitig pflegebedürftige Menschen sowie deren Angehörige besser zu unterstützen. Im Gespräch mit Eva-Maria Zumbé zieht die Leiterin Michaela Weber nun nach einem Jahr Bilanz und gibt einen Einblick in die aktuelle Pflegesituation im Rhein-Erft-Kreis.

Das KSG Kompetenzzentrum für Sozial- und Gesundheitsberufe hat Ende 2024 seine Eröffnung in Lechenich gefeiert. Welche Bilanz ziehen Sie nach rund einem Jahr?

Michaela Weber: Ursprünglich haben wir mit einer kleinen Pflegeschule begonnen, aber der Bedarf an Fachkräften hat uns dazu veranlasst, unser Angebot stetig auszubauen. Starteten wir mit nur drei Mitarbeitenden, so sind es mittlerweile elf. Im ersten Jahr nach der Eröffnung haben wir eine solide Grundlage für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften im Bereich der Sozial- und Gesundheitsberufe gelegt. Unsere breit gefächerten Programme, die nicht nur Pflegefachkräfte, sondern auch Fachkräfte aus den Bereichen Erzieherausbildung und Heilerziehungspflege umfassen, stoßen auf eine hohe Nachfrage.

Zukünftig werden wir auch duale Studiengänge sowie solitäre akademische Abschlüsse auf Bachelor- und Masterniveau anbieten, um dem steigenden Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften in der Region gerecht zu werden.

Wie bewerten Sie die aktuelle Fachkräftesituation in den Sozial- und Gesundheitsberufen im Rhein-Erft-Kreis?

Die Fachkräftesituation im Rhein-Erft-Kreis und auch in Erftstadt ist bereits angespannt und wird sich durch den demografischen Wandel weiter verschärfen. Besonders in den Pflegeberufen sowie in den Sozialberufen, wie der Erzieherausbildung und der Heilerziehungspflege, ist die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften enorm hoch. Wenn wir jetzt nicht über den Bedarf hinaus ausbilden, könnte der gesamte Pflegeapparat im Rhein-Erft-Kreis und in Erftstadt zusammenbrechen.

Um dieser Herausforderung zu begegnen, bieten wir eine Vielzahl an Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogrammen an, die sich sowohl an Quereinsteiger als auch an bereits ausgebildete Fachkräfte richten. Diese Programme sind ein wesentlicher Baustein, um den regionalen Fachkräftemangel aktiv zu lindern und die Versorgungssicherheit in der Region zu gewährleisten

Wie gelingt es dem Kompetenzzentrum, junge Menschen für Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen zu begeistern?

Das gesellschaftliche Bild der Pflege ist leider stark verzerrt. Auch die Politik hat in dieser Hinsicht versagt, und das rächt sich jetzt. In den sozialen Medien wird der Beruf oftmals schlecht dargestellt und wenig wertgeschätzt.

Wir hingegen schaffen es, junge Menschen durch praxisorientierte Ausbildung und moderne Lehrmethoden für eine Karriere im Sozial- und Gesundheitswesen zu begeistern. Unser Unterricht soll nicht nur lehrreich, sondern auch motivierend und abwechslungsreich sein. Besonders wichtig ist uns die praxisnahe Ausbildung, die wir durch enge Kooperationen mit lokalen Einrichtungen und Arbeitgebern ermöglichen. So haben unsere Auszubildenden einen direkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Zudem bieten wir mit unseren Studiengängen den jungen Fachkräften eine fundierte akademische Ausbildung und ausgezeichnete Berufsperspektiven für die Zukunft.

Eine Puppe liegt unter einer Decke in einem Bett.

Auch mit dieser Puppe üben die Auszubildenden.

Was braucht es, um die jungen Menschen auch langfristig in der Region zu halten?

Der Wohnraum steht für uns an erster Stelle. Besonders bei unseren Auszubildenden sehen wir, wie schwierig es ist, überhaupt eine Wohnung zu finden – und das zu völlig überteuerten Preisen. Es ist jedoch nicht nur wichtig, dass junge Fachkräfte in der Region beruflich erfolgreich sind, sondern auch, dass ihre Lebensqualität hier verbessert wird. Das bedeutet, dass wir neben attraktiven beruflichen Perspektiven auch ein lebenswertes Umfeld mit einer funktionierenden Infrastruktur und einer positiven Work-Life-Balance bieten müssen.

Das KSG bietet auch Aus-, Fort- und Weiterbildungen von internationalen Fachkräften aus Indien an. Welche Erfahrungen machen Sie bei der Integration internationaler Fachkräfte: Wo sehen Sie Herausforderungen, wo Erfolge?

Die Integration internationaler Fachkräfte ist ein zentraler Bestandteil unseres Angebots. Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede stellen eine Herausforderung dar, die wir jedoch erfolgreich mit maßgeschneiderten Sprachkursen und interkulturellen Trainings überwinden. Besonders mit Fachkräften aus Indien, Marokko, Tunesien et cetera haben wir sehr positive Erfahrungen gemacht. Diese erhalten bei uns nicht nur eine fundierte sprachliche Ausbildung, sondern auch eine praxisorientierte Schulung, die sie gezielt auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereiten. Viele dieser Fachkräfte sind inzwischen erfolgreich in lokalen Einrichtungen tätig, was den Erfolg unserer Integrationsmaßnahmen eindrucksvoll unterstreicht.

Eine der größten Herausforderungen bleibt es, dass die Fachkräfte langfristig bleiben. Sie müssen das Gefühl haben, hier willkommen zu sein. Für unser Kompetenzzentrum können wir sagen: Bei uns funktioniert Integration.

Welche Herausforderungen erwarten Sie in den kommenden Jahren bei der Sicherung von Fachkräften im Rhein-Erft-Kreis?

Die größte Herausforderung wird darin bestehen, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um Fachkräfte langfristig zu gewinnen und zu halten. Dazu müssen sie gute Gründe haben, hier zu bleiben – angefangen bei bezahlbarem Wohnraum über eine starke soziale Anbindung bis hin zur Sicherstellung der Mobilität. Besonders im Bereich der Pflege- und Sozialberufe, in denen viele Arbeitskräfte aus dem Ausland kommen, müssen wir außerdem die Integration sowie die Anerkennung ausländischer Abschlüsse weiter verbessern.

Darüber hinaus sind dringend Investitionen in die Infrastruktur erforderlich, insbesondere im Bereich der digitalen Bildung. Pflegeschulen benötigen Investitionsmittel, um ihre Ausbildungskapazitäten wirtschaftlich aufrechterhalten zu können. Ein „Digitalpakt 2.0“ ist unerlässlich, damit Pflegeschulen die notwendige digitale Infrastruktur aufbauen und moderne Lehrmethoden implementieren und warten können.

Was braucht es Ihrer Meinung nach, um dem Fachkräftemangel in der Region langfristig positiv entgegenzuwirken?

Langfristig müssen wir nicht nur die Ausbildungskapazitäten deutlich ausweiten, sondern auch die Rahmenbedingungen für die Pflege- und Sozialberufe attraktiver gestalten. Dazu gehören neben wettbewerbsfähigen Arbeitsbedingungen auch eine verbesserte Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), um den Fachkräften eine bessere Mobilität zu ermöglichen. Zudem sind kontinuierliche Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten erforderlich, um die Fachkräfte langfristig zu binden und ihre berufliche Entwicklung zu fördern. Die Integration neuer Technologien in den Berufsalltag wird immer wichtiger, um die Arbeit effizienter und zukunftsfähig zu gestalten.

Es braucht dringend Investitionen in Pflegeschulen in NRW. Diese benötigen nicht nur ausreichende Investitionsmittel, sondern auch einen Digitalpakt seitens der Landesregierung, um die notwendige digitale Infrastruktur aufzubauen und moderne Lehrmethoden zu implementieren. Besonders die Pflegepädagogen sind für die Ausbildung unerlässlich – ohne sie können keine Ausbildungsgänge eröffnet werden. Nur mit einer ausreichenden Zahl an Pflegepädagogen können wir sicherstellen, dass genügend Ausbildungskurse stattfinden, um den wachsenden Bedarf an Pflegefachkräften zu decken. Dies ist für die Region von entscheidender Bedeutung, um zu verhindern, dass aufgrund von Personalmangel Stationen und Abteilungen geschlossen werden müssen – ein Szenario, das die wirtschaftliche Stabilität der Einrichtungen massiv gefährden würde. In Deutschland ist es nicht mehr fünf vor zwölf, es ist fünf nach zwölf.


Das Kompetenzzentrum

Nicht nur personell, sondern auch räumlich hat sich das Kompetenzzentrum seit der Gründung vor gut einem Jahr vergrößert: An der Bonner Straße 12 in Lechenich hat das KSG in diesem Jahr ein Beratungszentrum für pflegende Angehörige eingerichtet. Sprechstunden sind von 13 bis 16 Uhr sowie nach individueller Terminvergabe. Ein Kaffeekränzchen für Senioren und pflegende Angehörige findet dort jeden Mittwoch von 14 bis 16 Uhr statt. Anmeldung und Rückfragen unter 02235/6897010 oder per E-Mail.

Auch ist eine Sprachschule hinzugekommen, in der internationale Auszubildende dann Deutsch vom Sprachniveau A1 bis C2 erlernen können und auch die Berufssprache der unterschiedlichen Berufszweige. Weitere Informationen online. (eva)