Schwangerschaft in FrechenSturzgeburt im eigenen Treppenhaus

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Frechen – Es ist ein ruhiger Donnerstagabend, 20 Uhr, als Martin Pankok und seine hochschwangere Frau Yvonne es sich auf dem Sofa gemütlich machen, um eine Folge ihrer Lieblingsserie zu schauen. Ihr dreijähriger Sohn Felix schläft. Sie schauen sich „Dexter“ an, eine US-Serie über einen Serienmörder. Der sind sie verfallen, und das, obwohl der 37-Jährige bei den blutigen Szenen immer wegschauen muss. Er kann kein Blut sehen. Ihm wird schon ganz anders, wenn er eine Spritze bekommen soll. Noch ahnt er nicht, dass er selbst eine filmreife Szene nur wenige Stunden später erleben wird, viel spannender als in jeder Serie. Und er wird über seine Ängste hinauswachsen.

Auch als seine Frau ein Ziehen spürt und sich ein Bad einlässt, um zu testen, ob es nur Senk- oder schon Presswehen sind, macht er sich noch keine Sorgen. Die Geburt von Henri ist zwar für den Donnerstag terminiert, doch lässt das Kind wohl auf sich warten.

Es ist 22.10 Uhr, als seine Frau Entwarnung gibt: Fehlalarm. Sie legt sich ins Bett, um sich auszuruhen. „Ich dachte nicht, dass es gleich los geht“, erzählt Martin Pankok. Er hat einen Bürojob, arbeitet als Diplomkaufmann, seine Frau als Speditionskauffrau. Auch ihre medizinischen Vorkenntnisse beschränken sich auf Google und die Krankenhausserie „Grey’s Anatomy“. „Immerhin hatte ich vorher mal Sturzgeburt gegoogelt und gelesen, das größte Risiko sei, dass das Baby mit dem Kopf auf den Boden fällt“, sagt die 39-Jährige, die vor allem optimistischen Pragmatismus ausstrahlt.

Er sollte doch Kölner werden

Doch plötzlich geht alles sehr schnell. Yvonne Pankok ruft aus dem Bett, dass es losgehe. Martin Pankok telefoniert mit seiner Mutter in Brauweiler, damit sie auf den schlafenden Felix aufpasst, während er seine Frau ins Frechener Krankenhaus bringt. Geplant war eigentlich, den zweiten Sohn Henri wie auch schon Felix im Kölner Krankenhaus zur Welt zu bringen – er sollte doch Kölner werden. Doch dazu ist es bereits zu spät.

Seine Frau ruft von oben, sie wolle sich noch kurz schminken und sich von Felix verabschieden. Derweil bringt Martin Pankok die gepackte Tasche ins Auto und wundert sich, warum seine Frau jetzt noch ans Schminken denkt. Um 22.48 Uhr schickt er einem Freund die WhatsApp-Nachricht: „Geht entspannt los ins Krankenhaus.“

Am oberen Treppengeländer festgekrallt

Doch als er zurückkommt ins Haus, merkt er, dass gar nichts mehr entspannt ist. Denn er sieht, wie sich seine Frau am oberen Treppengeländer festkrallt. „Es geht nicht mehr“, sagt sie. Er hilft ihr nach unten und ruft den Notarzt. Seine gerade eintreffende Mutter schickt er wieder auf die Straße, um den Arzt einzuweisen. Dann stellt er sich neben seine Frau, redet ihr gut zu, streichelt ihr den Kopf, um sie zu beruhigen, bis der Notarzt kommt.

Sie sitzt am Fuß der Treppe und hat drei Presswehen. Es ist 22.54 Uhr. Auch bei der Geburt von Sohn Felix stand er neben ihrem Kopf, um sie zu unterstützen. „Nicht da, wo es relevant war, das wollte ich nicht sehen.“

Doch schon nach wenigen Minuten, um 22.58 Uhr, ist klar, dass auch der Notarzt zu spät eintreffen wird. „Er kommt, Du musst ihn auffangen“, ruft Yvonne ihrem Mann zu. Also beugt sich Martin Pankok vor seine Frau, um ihn aufzufangen. Er formt mit seinen Händen eine Schale, als er später davon erzählt. „Dann hatte ich schon das Fruchtwasser in den Händen und sah Henris Kopf.“ Seine Frau ruft: „Hol’ ihn raus.“

Später wird sie sagen: „Das war das erste Mal, dass mein Mann auf mich gehört hat.“ Und Martin Pankok wird sagen: „Ich hatte einen Tunnelblick und funktionierte unter einem Adrenalinstoß.“

Er handelt. „Ich habe ihn gepackt, rausgeholt und hatte meinen Sohn in den Händen.“ Martin Pankok übergibt ihn seiner Frau, die wusste, dass alles gut war, als sie einen Schrei von Henri hört.

In dem Moment trifft der Notarzt ein, der die medizinische Versorgung übernimmt. „Da musste ich mich erstmal gegen die Wand lehnen und festhalten“, sagt Martin Pankok, dem erst dann bewusst wird, was eigentlich passiert war. „Es geht alles, man denkt nicht nach.“ Glücklicherweise habe er den unblutigen Teil der Geburt erlebt. „Dafür war ich echt dankbar.“

Die Ärzte aus ihrem Bekanntenkreis loben ihn danach voll Anerkennung. Auch als sie mit dem Notarzt im Frechener St.-Katharinen-Hospital ankommen, heißt es: „Das ist aber selten, dass das Kind gleich mitgeliefert wird.“

Henri ist kerngesund, quietschlebendig, 50 Zentimeter groß und 3145 Gramm schwer. Und kann später von seiner aufregenden Geburt erzählen. Von seiner Mutter, die ganz allein wusste, was zu tun war, und seinem Vater, der auf sie hörte und einfach das Richtige tat. Spannender als jeder Film.

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