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Interview

Häusliche Gewalt
„Es geht ihnen um Macht und um Kontrolle der Partnerin oder Ex-Partnerin“

4 min
Das Foto zeigt die beiden Mitarbeiterinnen, die im Frauenofrum Hürth Betroffene von häuslicher Gewalt beraten.

Sonja Seidel (l.) und Kristina Hrubesch beraten im Frauenforum in Hürth Menschen, die zu Hause Gewalt erleben.

Über 80 Opfer von häuslicher Gewalt aus dem südlichen Kreisgebiet hat das Frauenforum Rhein-Erft in diesem Jahr bereits beraten. 

Mehr als 70 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen. Das Frauenforum Rhein-Erft in Hürth ist eine von drei Beratungsstellen im Rhein-Erft-Kreis, an die sich Betroffene und Beobachter wenden können. Sonja Seidel und Kristina Hrubesch arbeiten in der Beratungsstelle.

Im Jahr 2024 hat die Polizei in Nordrhein-Westfalen mehr als 61.400 Fälle häuslicher Gewalt erfasst, bundesweit waren es fast 266.000 – ein neuer Höchststand. Wie sieht es im Rhein-Erft-Kreis aus?

Kristina Hrubesch: Häusliche Gewalt ist für uns Tagesthema. Bis Mitte November hatten wir über 80 Beratungen für Menschen aus dem südlichen Kreisgebiet, bei denen es Polizeieinsätze gegeben hatte. Die Polizei bietet Betroffenen immer an, Kontakt zu einer Beratungsstelle herzustellen. Viele nutzen das. Es melden sich auch Betroffene direkt bei uns – oder Bekannte, die sich Sorgen machen. Die Zahlen sind also insgesamt deutlich höher.

Wer übt häusliche Gewalt aus?

Sonja Seidel: Die Gewalt geht sehr häufig vom Partner aus. Bundesweit sind über 75 Prozent der Tatverdächtigen bei häuslicher Gewalt Männer, bei Partnerschaftsgewalt sind es 80 Prozent. Viele Täter sind von Geschlechtervorstellungen geprägt. Es geht ihnen um Macht und um Kontrolle der Partnerin oder Ex-Partnerin.

Hrubesch: Gewalt in Beziehungen gibt es in allen Altersgruppen, Nationalitäten und gesellschaftlichen Schichten.

Die Schuld liegt immer ausschließlich beim Täter
Kristina Hrubesch, Frauenforum Rhein-Erft

Welche Erfahrungen machen die Betroffenen?

Seidel: Die Erfahrungen sind natürlich individuell. Viele erleben eine Spirale der Gewalt über einen langen Zeitraum. Es beginnt oft mit psychischer Gewalt, mit Beleidigungen, Erniedrigungen und Drohungen. Das kann sich steigern bis zu körperlicher Gewalt, Schlägen zum Beispiel. Zum Muster gehören Phasen der Reue: Der Mann bittet um Verzeihung und verspricht, dass es nicht mehr vorkommt.

Hrubesch: Viele Betroffene werden auch isoliert, sie dürfen keine Freunde mehr treffen oder Sport treiben, haben keinen Zugang mehr zum Bankkonto.

Seidel: Für Nachbarn und Freunde können das Alarmzeichen sein. Wenn sich jemand zurückzieht, kein eigenes Geld mehr hat, Verletzungen nicht nachvollziehbar erklären kann oder jede Entscheidung mit dem Partner abspricht, dann sollte man aufmerksam werden.

Wie geht es den Menschen, die zu Ihnen kommen?

Seidel: Viele haben gerade eine Eskalation erlebt. Sie sind im Schock, manche haben Todesangst, fürchten um die Sicherheit ihrer Kinder. Denn Täter setzen den Umgang mit den Kindern häufig als Druckmittel ein.

Hrubesch: Viele Betroffene empfinden Scham – weil sie Gewalt lange Zeit erduldet haben oder weil der Partner ihnen immer wieder vermittelt hat, sie hätten sich falsch verhalten und seien der Grund für seine Wutausbrüche. Und vielen Betroffenen ist gar nicht bewusst, dass der Täter eine Straftat begangen hat: Morddrohungen zum Beispiel sind Straftaten. Hier sagen wir klar: Die Schuld liegt immer ausschließlich beim Täter.

Wie sieht Ihre Hilfe in der Beratungsstelle aus?

Seidel: Wir erarbeiten mit den Betroffenen ein Schutzkonzept, um die Gewalt zu stoppen. Außerdem geht es um Stabilisierung durch psychosoziale Beratung. Wir informieren auch über rechtliche Möglichkeiten, etwa Strafanzeigen und Kontaktverbote. Wir vermitteln auf Wunsch einen Anwalt, kümmern uns um die finanzielle Absicherung, stellen bei Bedarf den Kontakt zum Jugendamt her.

Hrubesch: Uns ist sehr wichtig: Wir drängen niemanden in eine Richtung. Wir sind immer solidarisch mit der betroffenen Person, immer parteilich auf ihrer Seite. Und natürlich unterliegen wir der Schweigepflicht.

Wie wichtig ist Aufklärungsarbeit?

Seidel: Aufklärung ist sehr wichtig. Viele Menschen wissen nicht, wie sich häusliche Gewalt zeigt oder sind unsicher, wie sie Betroffene unterstützen können. Gewalt ist auch in Schulen immer stärker ein Thema – im doppelten Sinn. Wir werden zunehmend zu Workshops oder Vorträgen eingeladen. Es gibt leider viel zu tun.


Bei diesen Anlaufstellen gibt es Hilfe

Frauenforum Rhein-Erft e.V. (Hürth), 02233/37 55 23, kontakt@frauen-forum.biz

Café F. (Pulheim), 02238/81452, frauenberatungsstelle@cafef.de

Frauen helfen Frauen im Rhein-Erft-Kreis e.V. (Kerpen), 02273/ 981511, kontakt@ frauenberatungsstelle-kerpen.de

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 116 016

Hilfetelefon Gewalt an Männern: 0800/1239900

Kinder- und Jugendtelefon (Nummer gegen Kummer): 116 111

Wer vermutet, dass jemand zu Hause Gewalt erlebt, kann sich ebenfalls an die Beratungsstellen wenden. Die Expertinnen raten, Betroffenen zu sagen, dass man sich um sie sorge. Sollten sich Betroffene öffnen, sei es wichtig klarzumachen, dass man ihnen glaube. In akuten Notsituation hilft die Polizei unter 110. Der Notruf kann auch anonym erfolgen.