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MobilitätSo soll in Kerpen der Verkehr der Zukunft aussehen

6 min
Das Foto zeigt einen Mann, der auf ein Plakat zeigt.

Michael Strehling ist Mobilitätsmanager der Stadt Kerpen. Hier zeigt er den Zebrastreifen, den seine Abteilung mit Schulkindern entworfen hat.

Ein wichtiger Punkt für Michael Strehling ist neben der Existenz mehrerer Verkehrsmittel parallel der Ausbau des Radverkehrs.

Was macht ein städtischer Mobilitätsmanager? Michael Strehling ist in dieser Position bei der Stadt Kerpen angestellt und erklärt, womit er sich im Arbeitsalltag beschäftigt.

Herr Strehling, erzählen Sie doch mal, wer Sie sind und was Sie machen.

Michael Strehling: Ich bin 54 Jahre und seit 25 Jahren bei der Kolpingstadt Kerpen beschäftigt. Ich leite die Abteilung Verkehrsplanung und Mobilitätsmanagement, die Teil des Amtes „Planen, Strukturwandel, Verkehr und Umwelt“ ist. Wir kümmern uns um alle Themen der Mobilität sowie um alle straßenverkehrsbehördlichen Belange innerhalb des Stadtgebietes. Seit einigen Jahren beschäftigen wir uns zudem mit kommunalem Mobilitätsmanagement.

Kerpen: Qualifizierung über Lehrgang sinnvoll

Braucht es dazu eine Weiterbildung?

Es ist durchaus von Vorteil, einen Lehrgang für Mobilitätsmanagement zu machen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat vor mittlerweile über zehn Jahren den ersten Lehrgang gestartet, wo ich die Ehre hatte, teilzunehmen. Ich kenne die genaue Zahl nicht, aber es sind momentan sicherlich mehr als 300 Mobilitätsmanager, die das Land in den zehn Jahren ausgebildet hat.

Sind Sie der einzige Mobilitätsmanager bei der Stadt Kerpen?

Tatsächlich nicht. Es gibt einen weiteren Kollegen, Fabian Schax, der 2024 auch diesen Lehrgang gemacht hat. Das Thema Mobilität ist bei uns mittlerweile sehr breit gefächert und komplex. Deshalb hielten wir es für sinnvoll, eine weitere Person zum Mobilitätsmanager ausbilden beziehungsweise zertifizieren zu lassen.

Zentrales Thema ist die Koordination von Projekten

Was macht ein Mobilitätsmanager?

Die ureigenste Aufgabe eines Mobilitätsmanagers ist es, Projekte zu koordinieren, die den Verkehr umwelt-, sozialverträglicher und effizienter machen. Da stecken unzählige Projekte hinter, denn die Städte sind seit Jahrzehnten 50 Jahren vor allem autogerecht gebaut worden. Unsere Aufgabe für die Zukunft ist es, die Städte wieder in eine andere Richtung zu transformieren, um sie den Menschen wieder zurückzugeben, Aufenthaltsqualität zu steigern und lebenswerter zu machen. Wir arbeiten dafür, den Menschen in der Stadt Möglichkeiten zu geben, um ihre Mobilität frei zu gestalten, um auch Alternativen zum Auto zu bieten.

Können Sie da konkrete Projekte in Kerpen nennen?

Das sind drei Säulen, auf denen die Projekte aufbauen. Die erste Säule ist das schulische Mobilitätsmanagement.  Mit vielen Schulen stehen wir in intensivem Austausch zu Themen wie Schulwegsicherheit und Elterntaxis. Ziel des Mobilitätsmanagements ist es Projekte anzustoßen, um eine eigenständige Mobilität von Kindern zu fördern.  Konkret wurden u.a. in den letzten Jahren diverse Hol- und Bringzonen eingerichtet, Roller und Fahrradabstellplätze gebaut sowie eine kindgerechte Gestaltung von Verkehrsanlagen initiiert.

Schulwegsicherheit war stets ein Thema

Als Paradebeispiel für die Beteiligung von Kindern ist der Kinderzebrastreifen in Sindorf zu nennen. Die Kinder haben gemeinsam mit Verkehrsexperten und der Polizei eine Kreuzung überplant, Modelle gebastelt und am Ende den Bau begleitet.

Ist das Thema durch den tragischen Unfall in Hürth auch bei der Stadt Kerpen wieder präsenter?

Das Thema war nie weg, Schulwegsicherheit hat uns immer begleitet, unabhängig von diesem tragischen Unfall haben wir häufig mit besorgten Eltern, den Schulpflegschaften und auch mit Kindern zu tun, die uns ihre Sorgen schildern.

Was wünschen sich die Kinder?

Die Kinder haben meist mehr Verständnis von der Thematik, als man ihnen in dem Alter zutraut und wünschen sich in erster Linie, dass man ihre Wünsche und Bedürfnisse ernst nimmt. Kinder merken, wenn vor der Schule die Autos zu schnell fahren. Sie merken, wenn es an Querungshilfen fehlt. Sie sagen dann eben: Wir möchten gerne irgendwo etwas haben, womit wir sicher über die Straße kommen. Manche beschweren sich sogar berechtigterweise über das Fahrverhalten der eigenen Eltern.

Mobilitätsmanagement will Alternativen zum Auto zeigen

Sie haben von drei Säulen gesprochen. Was ist denn die zweite Säule?

Wir haben noch das betriebliche Mobilitätsmanagement. Ziel ist es Angebote zu machen, ggf. abseits des Autos betriebliche Mobilität zu gestalten. Wir selber haben in der Stadtverwaltung bereits elektrounterstützte Fahrräder, eine Lastenrad sowie sichere und überdachte Abstellmöglichkeiten für Fahrräder.

Zusätzlich haben wir gemeinsam mit unserer Bauordnungsabteilung und den Stadtplanern eine neue Stellplatzatzung entwickelt. Das heißt, diese Stellplatzsatzung hat erstmals auch die Bedingung, dass man bei Neubauten von Unternehmen und Mehrfamilienhäusern Fahrrad-Stellplätze realisieren muss.

Weiter haben wir in den letzten Jahren viele Projekte auf den Weg gebracht, die den ÖPNV in Kerpen nachhaltig verbessert haben. Etwa andere oder höhere Taktdichten, und verschiedene ÖPNV-Verbindungen. Der Ausbau des ÖPNV ist eine große Aufgabe, bei der wir zum Glück von der Politik, der Kreisverwaltung und der REVG tatkräftig unterstützt werden.

Mit Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit Aufmerksamkeit erhöhen

Was verstehen Sie unter der dritten Säule?

Unter der dritten Säule verstehe ich vor allem die Öffentlichkeitsarbeit, damit die Themen, die wir im Rahmen des Mobilitätsmanagements bespielen, auch nach außen getragen werden. Aktionen wie die Teilnahme am Stadtradeln, der Bike-to-school day sowie die Cargobike-Roadshow sind hier beispielhaft zu nennen.

Unterstützt werden wir dabei unter anderen vom Zukunftsnetz Mobilität NRW sowie der AGFS NRW, deren Mitglied wir sind und die uns als Kompetenznetzwerke mit Beratung und Materialien unterstützen.

Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen bei alternativer Mobilität noch Berührungsängste haben?

Wir erleben das natürlich, dass es insgesamt auch Unsicherheiten gibt. Das hängt einerseits damit zusammen, dass Menschen in Routinen verhaftet sind. Wenn das Auto da ist, nutze ich es auch. Die Entscheidung zu treffen, bewusst das Rad oder den ÖPNV zu nutzen, ist sehr häufig eine hohe Hürde.

Umbruchsituationen sind der Schlüssel zur Veränderung

Vor allem in Umbruchsituation, wie z.B. der Umzug in eine andere Stadt, hat man die größte Chance, Routinen zu verändern. Im Rahmen von Neubürgerinformationen nutzen wir daher die Chance, über die zahlreichen Mobilitätsangebote in der Stadt zu informieren.

Die Diskussionen rund um den gelegentlichen Verzicht auf das Auto werden häufig emotional und weniger rational geführt. Wichtig ist, dass wir das Auto nicht verteufeln. Die Gesellschaft hat nur ein wenig verlernt, verantwortungsvoll mit diesem Verkehrsmittel umzugehen.

Was ist gerade zentrales Thema ihrer Abteilung?

Tatsächlich der Radverkehr. Aus Statistiken wissen wir, dass Kerpen rund 10.000 Binnenpendler hat. Hier sehe ich riesige Potentiale, den Radverkehrsanteil in Kerpen zukünftig deutlich zu steigern, da die Entfernungen insbesondere durch Elektrounterstützung kaum eine Hürde darstellen. 

Die besondere Aufgabe liegt aktuell darin, vor allem in den innerörtlichen Bereichen die Infrastruktur so zu gestalten, dass die Radfahrenden sich sicher fühlen können. Wir haben daher unter anderem den politischen Auftrag, zwei zentrale Straßenzüge zur Fahrradstraße umzuplanen und umzugestalten. Eine entsprechende Planung beabsichtigen wir noch in diesem Jahr im Ausschuss für Stadtplanung und Verkehr vorzustellen.

Was ist ihre Zukunftsvision für Kerpen, Auto- und Radverkehr nebenher?

Ja. Es muss eine gleichberechtigte Nutzung des Verkehrsraums für alle Verkehrsteilnehmenden geben. Gerade im ländlichen Raum wird das Auto auch weiterhin eine zentrale Bedeutung haben. Dennoch hoffe ich, dass wir die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen können, häufiger mal auf das Auto zu verzichten. 

Aus einem Mobilitätsleitbildleitbildprozess, den wir vor einige Jahren mit vielen Menschen unserer Stadt gemeinsam durchgeführt haben, wissen wir, dass der Wunsch nach einer ruhigen, grünen und bewegungsaktivierenden Stadt besteht. Dies wäre auch meine Vision einer lebenswerten Stadt.

Was sind die Herausforderungen für das Mobilitätsmanagement der Zukunft?

An Ideen, Engagement und politischen Willen mangelt es nicht. Letztlich scheitern Projekte häufig an fehlenden Finanzmitteln und am Fachkräftemangel, den wir auch in der Verwaltung deutlich spüren. Hier gilt es vermehrt Lösungen nach dem Motto „Kleine Maßnahmen, große Wirkung“ zu finden. Insgesamt wünsche ich mir, dass die Verkehrsteilnehmenden unabhängig von der Verkehrsmittelwahl wieder deutlich mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Kerpen gelingt nur gemeinsam.