NS-ZeitSo viele Kerpener waren in Schutzhaft – „falsche“ Ansicht brachte sie ins Gefängnis

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Das alte Spritzenhaus in Horrem.

Um Gefangene unterzubringen, nutzten die Nationalsozialisten das Kantongefängnis am Stiftsplatz oder das Spritzenhaus in Horrem.

In den 1930er Jahren hatten Politiker mit abweichender Meinung kein leichtes Schicksal. Viele von ihnen landeten in Schutzhaft.

Im Umgang mit ihren Gegnern halten sich Politiker nur selten zurück. In der Regel bleiben sie heutzutage aber sachlich – auch wenn die Debatten mittlerweile rauer werden. Doch vor 90 Jahren war das ganz anders. Allein die Mitgliedschaft in der „falschen“ Partei, eine „falsche“ Ansicht brachte die Menschen ins Gefängnis. Eine Debatte mit denjenigen, die die Entscheidungen trafen, war unmöglich. Eine Publikation des Stadtarchivs zeigt, wie viele Kerpener unter den Nationalsozialisten in sogenannter Schutzhaft waren.

„Das hiesige Gefängnis ist zur Zeit mit politischen Gefangenen voll belegt.“ Polizeigefangene könnten deshalb nicht mehr angenommen werden. So steht es in einer Mitteilung des Kerpener Bürgermeisters vom 6. April 1933. Aus Sicht der früheren Stadtarchivarin Susanne Harke-Schmidt sind diese zwei Sätze erstaunlich.

Aus Kerpen gibt es nur wenige Berichte und Akten

„Die Überlieferungen im Stadtarchiv zu Schutzhaftgefangenen der Jahre 1933 und 1934 ist eher dünn – besonders im Vergleich zu den benachbarten Kommunen“, schreibt Harke-Schmidt in ihrem Bericht. „Aus vielen kleinen Hinweisen – teils in den Akten an unvermuteter Stelle, teils nur mündlich überliefert – lasst sich ein vorläufiges Bild zur fraglichen Situation in Kerpen zeichnen, das deutlicher ist, als wir es erwartet haben.“

Ein altes Foto des Schutzhälftlings Josef Held.

Zu den Kerpenern, die in Schutzhaft waren, gehörte Josef Held.

Das Stadtarchiv weiß von 37 Kerpenern, die in Schutzhaft waren. Untergebracht waren sie größtenteils im Kantongefängnis am Stiftsplatz. Wie viele Häftlinge aber tatsächlich im April 1933 im Kerpener Gefängnis waren, ist unklar. Es gab fünf Zellen und sieben Bettstellen, aber elf Matratzen. Wurde den Nationalsozialisten das Kantongefängnis zu voll, wichen sie auf Arrestlokale in den umliegenden Gemeinden Berrendorf, Blatzheim, Buir, Türnich oder auf das Horremer Spritzenhaus aus. In der Regel wurden die Häftlinge nach einer Weile auf andere Gefängnisse verteilt, etwa an das Konzentrationslager Brauweiler.

Kommunisten und SPD-Mitglieder landeten im Gefängnis

Vor allem Kommunisten und SPD-Mitglieder traf die Härte der Nationalsozialisten: Noch vor ihrer Wahl am 12. März 1933 ließen sie zwei der drei gewählten Kommunisten, Jakob Schmitz aus Habbelrath und Josef Held aus Balkhausen, inhaftieren. Schmitz und Held waren Mitglieder des Türnicher Gemeinderats. Ihre Wahl nahmen sie an, nachdem die Kerpener sie an das Gefängnis am Bonner Wall in Köln überstellte.

Nach der Kommunalwahl traf es in Mödrath den SPD-Vertreter Adam August Schaeven, in Horrem das Kreistagsmitglied Hermann Schmidt, ebenfalls SPD. Die Kommunisten Peter Dick, Franz Dreesen, Gabriel Giesen, Heinrich Jonas und Franz Wirtz ließ die Gemeinde ebenfalls einsperren und später verurteilen. Der Vorwurf gegen die KPD-Mitglieder lautete: Vorbereitung zum Hochverrat. Sie hatten die Zeitung „Neuland“ herausgegeben und Flugblätter verteilt. Dick wurde ein Jahr später erneut angeklagt, weil er mit anderen Kommunisten Waffen oder Sprengstoff gelagert haben soll.

Mit David Held ist heute ein Nachfahre eines Schutzhäftling Mitglied des Kerpener Rats. Das Schicksal seines Urgroßvaters sei oft Thema in der Familie gewesen, sagt Held. Als Politiker im Stadtrat sei er in einer ähnlichen Position und fühle sich deshalb besonders betroffen. Dennoch hält der BBK-Stadtverordnete Vergleiche mit der heutigen Situation für unangebracht. „Wenn sich Politiker mit den Verfolgten aus der Nazizeit vergleichen, finde ich das schwierig“, sagt Held. „Sie können offen auf einer Bühne ihre Meinung äußern. Früher ging das nicht.“

Der einzige Verstoß vieler Schutzhäftlinge war in den 1930er Jahren die Parteizugehörigkeit. Am 22. Juni 1933 verbot die Regierung die SPD. Den einstigen Parteimitgliedern drohten neben Haft auch Folter oder der Tod.

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