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InterviewAmprion-Technikchef erklärt, wie das Herz des Stromnetzes in Brauweiler schlägt

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Das Foto zeigt den Amprion-Manager auf einer Treppe vor einer Glasfassade im Neubau auf dem Campus in Brauweiler

Im Interview äußert sich Dr. Hendrik Neumann, Technik-Geschäftsführer von Amprion, über die Bedeutung der Hauptschaltleitung in Brauweiler für das deutsche und europäische Stromnetz.

In Brauweiler wird das Stromnetz für 500 Millionen Europäer überwacht. Amprion-Technikchef Hendrik Neumann erklärt die Schaltzentrale.

Dr. Hendrik Neumann ist seit 2007 bei Amprion und seit 2021 Technik-Geschäftsführer des Übertragungsnetzbetreibers. Im Interview spricht der promovierte Elektrotechnik-Ingenieur über die Bedeutung der Hauptschaltleitung in Brauweiler für das deutsche und europäische Stromnetz und die Herausforderungen durch die Energiewende.

Herr Neumann, welche Rolle spielt die Hauptschaltleitung in Brauweiler für das deutsche und das europäische Stromnetz?

Eine sehr zentrale. Wir nehmen von hier aus übergeordnete Aufgaben für das gesamte europäische Stromsystem wahr – also für 500 Millionen Menschen. Wir sind mitverantwortlich für deren Versorgungssicherheit. Besonders wichtig ist die Netzfrequenz: Sie ist sozusagen der Herzschlag des Systems. Ob in Norddeutschland oder im Süden Portugals – sie ist immer gleich. Wenn zu wenig oder zu viel Strom im System ist, geht die Frequenz entsprechend runter oder rauf. Wir überwachen sie und leiten bei Abweichungen Maßnahmen ein, koordiniert mit den Übertragungsnetzbetreibern in unseren europäischen Nachbarländern. Die gleiche Aufgabe haben wir auch für Deutschland.

Warum schlägt dieses „Herz“ gerade in Brauweiler?

Der Standort hat Tradition. Schon 1924 wurde von hier die erste 220.000-Volt-Leitung zu einem Pumpspeicherkraftwerk in den Voralpenraum gebaut – der Grundstein des deutschen Höchstspannungsnetzes. 1929 entstand die erste Hauptschaltleitung. Heute haben wir hier die größte und modernste Leitwarte Europas.

Sie haben in Brauweiler gerade einen Neubau für 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter errichtet. Welche Rolle spielt bei all der Technik noch der Mensch?

Trotz KI und innovativer Technik bleibt der Mensch zentral. Die Erfahrung der Kolleginnen und Kollegen, die 24/7 in der Hauptschaltleitung sitzen, ist durch nichts zu ersetzen. Wir nutzen zwar KI-gestützte Prognosemodelle und intelligente Algorithmen, aber die Entscheidung treffen immer Menschen.

Wie wirken sich Energiewende und der wachsende Anteil erneuerbarer Energie im Netz auf Ihre Arbeit aus?

Das System wird komplexer und kleinteiliger. Früher gab es wenige Großkraftwerke, heute Millionen Anlagen – Wind, Photovoltaik, bald Elektrolyseure und Batteriespeicher. Wir müssen permanent Erzeugung und Verbrauch ausgleichen. Wir stehen in Deutschland vor der Herausforderung, dass wir sehr viel Leistung aus Windenergie im Norden haben, aber viele Verbraucher im Westen und im Süden leben. Die Nordsüdleitungen sind deshalb unsere Haupttransportachse. Wenn diese Leitungen überlastet sind, müssen wir im Norden Windenergie abregeln und im Süden konventionelle Kraftwerke hochfahren, um Engpässe auf den Stromleitungen zu beheben und die Stromversorgung überall zu gewährleisten. Aber auch Wetterphänomene beeinflussen unsere Arbeit. Neben der Dunkelflaute, wenn weder die Sonne scheint, noch der Wind weht, kennen wir inzwischen auch das Gegenteil: die Hellbrise, wenn wir zu viel Wind- und Sonnenstrom im Netz haben. Es ist unser Tagesgeschäft, damit umzugehen.

Das Foto zeigt die Hauptschaltleitung mit Arbeitsinseln vor dem großen Bildschirm.

An den Arbeitsplätzen in der Hauptschaltleitung überwachen Schaltingenieure vor Europas größtem Bildschirm rund um die Uhr die Stromflüsse.

Welche Netzausbauprojekte sind für Brauweiler am wichtigsten?

Es gibt viele Projekte, die wichtig sind, um das Netz zu entlasten. Dazu gehört auch das Ultranet, eine neue Gleichstromleitung, die Windstrom aus Norddeutschland zuverlässig nach Nordrhein-Westfalen bringen und 2026 in Betrieb gehen soll. Wir arbeiten bei Amprion an rund 800 Projekten gleichzeitig, um die Transportkapazität zu erhöhen und das Netz stabil zu halten. Genehmigungsverfahren, die in der Vergangenheit oft der Flaschenhals waren, laufen inzwischen deutlich schneller.

Der Netzausbau stößt oft auf Widerstand. Auch hier im Kreis wurde gegen neue „Monstermasten“ protestiert. Was tun Sie für mehr Akzeptanz?

Transparenz und Dialog sind entscheidend. Allen kann man es nie recht machen, aber wir sehen, dass die Akzeptanz wächst – auch, weil vielen klar ist, dass die Energiewende unverzichtbar ist.

Brauweiler ist ein besonders sensibler Bereich. Wie schützen Sie die Hauptschaltleitung vor Angriffen aus dem Internet oder gar vor Anschlägen?

Als kritische Infrastruktur haben wir ausgeklügelte Schutzkonzepte – physisch wie digital. Die Details dazu müssen aber vertraulich bleiben.

Wir haben in Deutschland eines der sichersten Stromnetze weltweit
Dr. Hendrik Neumann, Technik-Geschäftsführer bei Amprion

In Berlin hat gerade ein Anschlag auf einen Strommast zu einem größeren Stromausfall geführt. Kann so etwas auch hier passieren?

Wir haben 11.000 Kilometer Höchstspannungsleitungen allein im Netzgebiet von Amprion. Das sind viele Tausend Masten. Das bedeutet, dass unser Netz robust und redundant ausgelegt ist. Einzelne Masten können nicht rund um die Uhr bewacht werden, aber ein Ausfall gefährdet nie das Gesamtsystem.

In Spanien und Portugal gab es im April einen großen Blackout. Besteht ein solches Risiko auch hier?

Ein Blackout ist sehr, sehr unwahrscheinlich. Wir haben in Deutschland eines der sichersten Stromnetze weltweit, lernen aber aus jedem Vorfall. Was genau die Ursache für den Blackout auf der iberischen Halbinsel war, wird derzeit noch untersucht. Deutschland ist eng ins europäische Verbundnetz eingebunden – das macht uns widerstandsfähig.

Gerade wird über den Bau neuer Gaskraftwerke diskutiert. Brauchen wir die?

Ja, und zwar möglichst schnell. Im Zuge des Kohleausstiegs nehmen wir immer mehr konventionelle Kraftwerke vom Netz. Um auch in wind- und sonnenarmen Zeiten die Versorgungssicherheit zu halten, brauchen wir flexible, steuerbare Kraftwerke – zunächst Gas, später wahrscheinlich Wasserstoff.

Das Foto zeigt eine Außenansicht des Neubaus mit Amprion-Logo auf der Fassade.

Einen Neubau für 600 Mitarbeitende hat Amprion auf dem Campus in Brauweiler errichtet.

Wäre eine Verlängerung der Laufzeiten der Braunkohlekraftwerke aus Ihrer Sicht eine Option, um Zeit zu gewinnen?

Der Kohleausstieg ist politisch und gesellschaftlich Konsens. Wir wollen ja Klimaneutralität erreichen. Jedes Kraftwerk, das vom Netz geht, braucht einen Ersatz, damit die Versorgung gesichert bleibt. Aber am Ziel, bis spätestens 2038 aus der Kohle auszusteigen, halten wir fest. Das unterstützen wir auch.

Neben der Hauptschaltleitung – welche Aufgaben werden noch hier am Standort wahrgenommen?

Wir haben hier auch das sogenannte Front-Office mit eigener Warte. Dort schauen die Kolleginnen und Kollegen schon viele Tage in die Zukunft – etwa auf den Sommer 2026. Je näher der Ereignistag rückt, desto genauer wird die Prognose. Für den Folgetag werden ganz konkret erwartete Sonneneinspeisung und Windenergie kalkuliert. In einem Energiesystem, das von Erneuerbaren dominiert wird, sind solche Prognosen entscheidend. Große Abweichungen dürfen wir uns kaum erlauben. Eine Woche im Voraus haben wir meist ein gutes Bild, wie die Netzsituation aussehen wird. Klar, Wettervorhersagen über längere Zeiträume sind unsicher – aber wir wissen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien weiter zunimmt und bereiten unsere Prozesse und Werkzeuge darauf vor.

Und wie sieht die Zukunft für Brauweiler aus?

Der Standort nimmt weiter an Bedeutung zu, da das System komplexer und kleinteiliger wird. Neue Akteure wie Elektrolyseure und Batteriespeicher kommen hinzu, da erleben wir gerade einen Boom. Das Management und der Betrieb des Stromnetzes werden komplexer, daher bleibt der Standort und die Führung des Übertragungsnetzes in Deutschland eine sehr wichtige Aufgabe.


Europas größter Bildschirm steht bei Amprion in Brauweiler

Die Amprion GmbH ist einer von vier Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland. Das 11.000 Kilometer lange Höchstspannungsnetz von Amprion transportiert Strom in einem Gebiet von der Nordsee bis zu den Alpen und sichert die Versorgung von 29 Millionen Menschen.

Der Standort in Brauweiler blickt auf eine fast 100-jährige Geschichte zurück. Seit Jahrzehnten befindet sich hier das operative Herzstück der Amprion-Systemführung. Dort laufen Daten aus tausenden Messpunkten zusammen. Spezialisten überwachen das Netz vor dem größten Bildschirm Europas mit 135 Quadratmetern Fläche und entscheiden in Echtzeit darüber, wie Stromflüsse gesteuert werden. Außerdem überwacht Amprion die Netzfrequenz für Kontinentaleuropa und übernimmt im Fall größerer Abweichungen die Koordination von Hilfsmaßnahmen.

Nach vierjähriger Bauzeit hat Amprion gerade einen Neubau auf dem Campus in Brauweiler eingeweiht. Laut Unternehmen wurde eine niedrige dreistellige Millionensumme investiert. Das Gebäude bietet moderne Arbeitsplätze für bis zu 600 Beschäftigte. Er gibt flexible Meetingbereiche, verschiedene Arbeits- und Ruhezonen, Pausenbereiche und Bistro. Auch die technische Infrastruktur wurde angepasst. Aktuell beschäftigt Amprion mit Hauptsitz in Dortmund 3100 Menschen an mehr als 30 Standorten. Im laufenden Geschäftsjahr sollen rund 400 neue Mitarbeitende eingestellt werden.