„Viele sind suizidgefährdet“Unternehmer in Rhein-Erft wegen staatlicher Hilfen wütend

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Maritta Emser

Maritta Emser, Geschäftsführerin des Kerpener Hochzeitszentrums „Cecile“.

  • Eine Kerpener Geschäftsfrau plant mit Kollegen Sammelklagen gegen den Bund.
  • In einigen Branchen ist die Lage dramatisch, finanzielle Hilfen bleiben aus.
  • Wir haben mit Einzelhändlern, Handwerkern, Gastronomen und Friseuren gesprochen.

Rhein-Erft-Kreis – Stolz präsentiert sich Daniela Katzenberger in ihrem figurbetonenden Brautkleid. Maritta Emser schaut kritisch, ob alles an dem Outfit des Fernsehsternchens stimmt. Das ist ein Bild aus glücklichen Tagen, doch die sind für die Betreiberin von „Cecile“, dem größten Brautmodenbetrieb in Europa, vorerst vorbei.

Die Hilfe des Staates reiche vorne und hinten nicht, sagt die 71-Jährige: „Hier wird der Einzelhandel kaputtgemacht. Das heißt für viele inzwischen Insolvenz. Kollegen können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. Ja, sie haben nichts mehr zu essen. Viele sind suizidgefährdet.“

Maritta Emser: „Warum dürfen wir nicht öffnen?“

Sie selbst habe zwar Soforthilfe bekommen, sagt Emser: „Aber das sind nur 75 Prozent der Fixkosten. Ich muss an meine Rücklagen gehen. Das ist eine Katastrophe. Ich habe 50 Mitarbeiter.“ Wichtiger noch als staatliche Hilfen sei die Möglichkeit, wieder arbeiten zu können: „Wir haben das beste Hygienekonzept, arbeiten nur auf Termin, haben viel Platz. Warum dürfen wir nicht öffnen?“

Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen

Kontakte | Hier wird Ihnen geholfen

Wir gestalten unsere Berichterstattung über Suizide und entsprechende Absichten bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Falls Sie sich dennoch betroffen fühlen, lesen Sie bitte weiter:

Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote.

Telefonseelsorge

Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon

Das Angebot des Vereins "Nummer gegen Kummer" richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Samstag nehmen die jungen Berater des Teams "Jugendliche beraten Jugendliche" die Gespräche an. nummergegenkummer.de

Muslimisches Seelsorge-Telefon

Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch. mutes.de

Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention

Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de

Maritta Emser und ihre Kollegen planen Sammelklagen gegen die Regierung. „Ich habe vor 33 Jahren als alleinerziehende Mutter den Betrieb gegründet und aufgebaut. Er ist mein Baby, den lasse ich mir nicht mehr kaputtmachen.“ Sie betreibt drei Standorte in Kerpen, Köln und München. In der Brautmodebranche seien „200.000 Menschen“ gefährdet, „vor allem Frauen“.

„Viele Friseure in Rhein-Erft schon zugemacht oder wollen es tun“

Birgit Spriegade ist eine renommierte Friseurin. Sie ist stellvertretende Obermeisterin in der Innung im Rhein-Erft-Kreis und auch im Prüfungsausschuss, sodass sie einen guten Überblick über die Lage hat. Ihre Bilanz zu den staatlichen Hilfen fällt vernichtend aus: „Viele haben schon zugemacht oder wollen es tun.“ Nichts funktioniere richtig: „Es gab bis zum vergangenen Donnerstag noch nicht einmal Antragsformulare für Überbrückungshilfe III für Januar und Februar.“ Im Dezember seien die Friseure „komplett durchs Raster“ gefallen, hätten gar keine Zuschüsse bekommen.

Die stellvertretende Obermeisterin der Friseurinnung Rhein-Erft, Birgit Spriegade, lebt zurzeit von der Rente ihres Mannes.

Die stellvertretende Obermeisterin der Friseurinnung Rhein-Erft, Birgit Spriegade, lebt zurzeit von der Rente ihres Mannes.

Aber auch andere Formalitäten klappten nicht. Die Buchungen der Hilfen des Staates seien etwa nicht kompatibel mit den vorgeschriebenen Buchhaltungsprogrammen der Friseure: „Ich bin absolut enttäuscht. Ich lebe von der Rente meines Mannes, aber das können andere nicht. Uns wird gar nicht geholfen.“

Rhein-Erft: Kurzarbeitsgelder nicht überall ausgezahlt

Heribert Ropertz, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Rhein-Erft, kennt diese Probleme: „Die Zuschüsse für die Ausbildungsgelder für Dezember und Januar sind auch noch nicht überall geflossen.“ Allerdings sei es in den einzelnen Handwerksbranchen sehr unterschiedlich, berichtet Ropertz: „Der Bau- und Ausbaubereich kann ja weiterarbeiten. Da geht es.“ Aber es gebe vielfältige Probleme: „Fleischer, die Catering betreiben, stehen vor Problemen. Autohäuser sind geschlossen – warum eigentlich?“

Kleinere Hindernisse gebe es zudem mit den einzelnen Gemeinden, weil die Auslegungen der Corona-Maßregeln überall unterschiedlich gehandhabt würden. Ropertz: „Auch Tischler, die für den Messebau tätig sind, haben zurzeit Schwierigkeiten, aber am schlimmsten ist es mit Friseuren und anderen körpernahen Dienstleistungen.“ Selbst Kurzarbeitergelder aus dem Dezember seien noch nicht überall ausgezahlt worden.

Überbrückungshilfe: „Antragsverfahren ist viel zu kompliziert“

Thomas Lierz, geschäftsführender Gesellschafter der Tom Hotels GmbH in Wesseling, fordert in einem Beitrag für die Industrie- und Handelskammer: „Zusätzlich benötigen wir dringend eine langfristige Strategie für den Umgang mit dem Virus – nicht länger nur kurzfristige Maßnahmen dagegen. Denn das Virus wird uns noch eine Zeit lang begleiten, da mache ich mir keine Illusionen.“

Im Bergheimer Brauhaus „Zur Krone“ hat Ibrahim Dizdarevic seit Monaten keine Gäste mehr bewirtet.

Im Bergheimer Brauhaus „Zur Krone“ hat Ibrahim Dizdarevic seit Monaten keine Gäste mehr bewirtet.

Die IHK verweist auch auf eine Aussage von Iris Bellingrodt, Geschäftsführerin der Bellingrodt Reisebüro GmbH in Kerpen. Sie hat auch gute Erfahrungen mit den staatlichen Zuschüssen gemacht: „Wir haben ein Minus von circa 85 Prozent im Jahr 2020 zu verzeichnen. Glücklicherweise waren wir relativ liquide, sodass wir das bisher entsprechend auffangen konnten. Außerdem haben wir natürlich die Hilfen der Bundesregierung genutzt, Soforthilfe und Überbrückungshilfe I und II.“ Die Soforthilfe „war auch nach Tagen da“ gewesen.

Doch nun wird es offenbar schwieriger: „Die Überbrückungshilfe muss über den Steuerberater beantragt werden. Das haben wir auch getan. Das ist relativ umfangreich, aber meines Erachtens nach händelbar. Die Überbrückungshilfe I hat etwas auf sich warten lassen, die zweite ging relativ schnell. Allerdings bin ich der Meinung, dass dieses Antragsverfahren viel zu kompliziert ist.“

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Schwierig ist die Lage auch bei den Gastronomen. Ibrahim Dizdarevic, Wirt im Brauhaus „Zur Krone“ in Bergheim, ist froh, dass er Hilfe bekommen hat, aber ob diese reichen wird, weiß er noch nicht: „Teilweise ist schon Geld angekommen, es hat aber lange gedauert. Den Antrag hat unser Steuerberater gestellt.“ Seiner Meinung nach geht es vor allem um die langfristigen Folgen: „Alle Geburtstagsfeiern, Goldhochzeiten und viele andere lange geplanten Feste sind bei uns storniert worden. Das wird uns noch über Monate hinaus schaden. Ob die Hilfen da reichen, ich weiß es noch nicht. Es wird ein Kampf.“

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