SPD Parteitag Rhein-ErftVorstand vollständig für zwei weitere Jahre im Amt bestätigt

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Der alte und neue Vorstand der SPD Rhein-Erft: Die Stellvertreter Dierk Timm, Dagmar Andres, Brigitte Dmoch-Schweren, Vorsitzender Guido van den Berg und Schriftführerin Ute Meiers (v.l.) sind für zwei Jahre wiedergewählt, ebenso wie Kassiererin Claudia Lemke, die beim Parteitag in Hürth nicht anwesend sein konnte.

Rhein-Erft-Kreis – Beim Parteitag der SPD Rhein-Erft ist am Samstag der geschäftsführende Vorstand komplett im Amt bestätigt worden. Rund 240 Parteimitglieder haben in der Aula des Albert-Schweitzer-Gymnasiums in Hürth Guido van den Berg erneut zum Kreisparteivorsitzenden gewählt.

Dagmar Andres, Brigitte Dmoch-Schweren und Dierk Timm bleiben seine Stellvertreter. Ebenfalls für zwei Jahre wiedergewählt sind Schriftführerin Ute Meiers und Kassiererin Claudia Lemke. Eine Frage prägt den Parteitag: Welche Rolle soll die SPD künftig in Berlin übernehmen? Die Bandbreite der verschiedenen Lager an Rhein und Erft bewegt sich zwischen dem unbedingten Appell zur Opposition, der Auslotung einer Duldung von Schwarz-Grün und der Aufforderung, sich erneut in die Große Koalition zu begeben.

Inhalte sollen Vorrang haben

Kleinster gemeinsamer Nenner der Mitglieder beim Parteitag in Hürth: Das Ringen um Inhalte muss Vorrang haben vor dem Schachern um Posten und Dienstwagen. Nur wenn die SPD in Sachen sozialer Gerechtigkeit etwas erreichen könne, dürfe sie sich auf wie auch immer geartete Verhandlungen einlassen. Neuwahlen, so das Signal aus der SPD Rhein-Erft, seien eher keine Option.

Die Partei setzt auf Kontinuität: Guido van den Berg erhält von 241 abgegebenen gültigen Stimmen 200  Ja-Stimmen bei 27 Gegenstimmen und 14 Enthaltungen. Das entspricht 83 Prozent und gefällt dem Vorsitzenden: „Ich bin immer schon der 80-Prozent-Typ.“ Die Stellvertreterinnen Dagmar Anders (83,2 Prozent) und Brigitte Dmoch-Schweren (83,1) pendeln sich auf gleicher Höhe ein. Vize Dierk Timm dagegen landet bei 94,1 Prozent. Das wird nur noch von Kassiererin Claudia Lemke getoppt, die 96,7 Prozent Zustimmung erhält. Schriftführerin Ute Meiers wird mit 90,2 Prozent der Stimmen wiedergewählt.

Die Wahlen sind eher störend in einer lebhaften Debatte, die unversehens ein neues Talent zu Tage fördert: Shari Schultheis aus Brühl ist erst im März in die SPD eingetreten. Die 29-jährige Juristin schafft es, in einem engagierten Redebeitrag in wenigen Sätzen den Blick weg von den Fehlern der anderen Parteien auf das sozialdemokratische Desaster zu richten: „Es nervt mich, dass es um Posten und Dienstwagen geht und nicht um Inhalte. Und es macht mich wütend, dass wir uns von den Medien wie eine Sau durchs Dorf treiben lassen müssen, während Merkel und Seehofer sich entspannt zurücklehnen.“ Die Duldung einer Minderheitsregierung sei die demokratischste Form, die sie sich vorstellen könne.

Große Koalition

Ehrenvorsitzender Klaus Lennartz sagt, wie eine neue Große Koalition aussehen könnte: „In den ersten zwei Jahren der Legislaturperiode stellen wir den Finanzminister, in der zweiten Hälfte den Kanzler.“ Hans Krings will zuerst Inhalte ausgehandelt sehen. Nur wenn sich die Sozialdemokratie in Flüchtlingsfragen, Euro-Politik und Fragen der sozialen Gerechtigkeit durchsetzen könne, sei eine Regierungsbildung mit ihr möglich. Von Neuwahlen  allerdings hält Krings nichts: „Von denen, die das wollen, wartet niemand mit heißem Herzen darauf, jetzt SPD wählen zu können.“

Für Kai Faßbender aus Bergheim liegt die Latte niedriger: Wenn man die Chance habe, mitzugestalten, sei man in der Pflicht. Er rät der Partei dringend „ihr Problem mit der Linken“ zu lösen und für die Zukunft den Weg freizumachen für Rot-Rot-Grün. Eine härtere Gangart gegen Koalitionspartner, die sich nicht an Absprachen halten, fordert Helge Herwegen aus Wesseling. Der Pulheimer Daniel Dobbelstein  warnt vor „ewiger Gefangenschaft“ in der Großen Koalition. Jürgen Storms aus Frechen wähnt die SPD, angetrieben von den Konservativen in den eigenen Reihen, „seit Jahrzehnten auf dem falschen Weg“.

Interview mit SPD-Kreisvorsitzendem Van den Berg

Herr van den Berg, Sie sind mit 83 Prozent als Parteivorsitzender bestätigt worden. Vor zwei Jahren waren es 86,5 Prozent. Wie werten Sie das Ergebnis? Das habe ich in etwa prognostiziert. Ich bin kein 100-Prozent-Parteivorsitzender. Ich bin sehr zufrieden damit. Seit 14 Jahren bin ich nun Vorsitzender, und ich bin in diesen Jahren auch mal angeeckt. Aber das Ergebnis zeigt auch, wir sind eine kämpferische und insgesamt geschlossene Partei. 

Die SPD hat auf Kreisebene einen schweren Stand. Die Partei stellt nur drei von zehn Bürgermeistern, mit Ihnen nur noch einen Landtagsabgeordneten und niemand aus dem Kreis vertritt die SPD im Bundestag. Wie wollen Sie aus diesem Loch herauskommen? Durch ein starkes inhaltliches Profil. Der SPD mangelt es nicht an guten Ideen und Leuten. Wir müssen die Partei aber wieder auf die Straße bringen. Ich will die nächsten zwei Jahre nutzen, dass die Partei wieder kampagnenfähig wird und die politischen Mitbewerber mit Inhalten getrieben werden. Bei den Themen bessere Schwimmangebote für Kinder, einen zukunftsfähigen öffentlichen Personennahverkehr oder die Einführung von mit Wasserstoff angetriebenen Bussen hat die Jamaika-Koalition im Kreis doch versagt.

Eine Jamaika-Koalition in Berlin ist gescheitert. Die SPD steht möglicherweise vor einer Zerreißprobe, ob sie eine Bundesregierung tolerieren oder in eine Große Koalition eintreten soll. Wie ist Ihre Meinung? Ich habe die meiste Zustimmung in meiner Rede bekommen, als ich gesagt habe, dass wir in Gesprächen mit der CDU voll auf Inhalte setzen müssen. Wir brauchen eine Bürgerversicherung, gleiche Löhne für Männer und Frauen, eine echte Pflegereform und die Mindestrente. Die Leute interessiert nicht das Gerede über Koalitionsfarben wie Jamaika oder Kenia. Wir brauchen eine Politikwende, das muss die SPD erreichen. Grundsätzlich halte ich eine Tolerierung wie auch eine Große Koalition nicht für problematisch.

Wochenlang haben SPD-Spitzenvertreter argumentiert, man habe die Wahl krachend verloren. Zementiert dieser Sprachgebrauch nicht ein Verlierer-Image? Das Wahlergebnis war eine klare Botschaft, dass die Große Koalition abgewählt wurde. Aber nachdem die Bundeskanzlerin Jamaika nicht hinbekommen hat, müssen wir nun mit dem 20-Prozent-Ergebnis verantwortungsvoll umgehen. Die Inhalte müssen der Gradmesser sein.

Sollte es doch Neuwahlen geben, haben Sie überhaupt noch Geld in der Parteikasse, um einen Wahlkampf zu finanzieren? Das kriegen wir hin. Wir scheuen Neuwahlen nicht. Die SPD lebt von den Mitgliedern, wir haben viele neue dazugewonnen. Alle würden sich engagiert Tag und Nacht auf den Weg machen. Das Gespräch führte Bernd Rupprecht.

Zur Person

Guido van den Berg ist 42 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Der Diplom-Sozialwissenschaftler lebt mit seiner Familie in Bedburg. Seit 2003 ist van den Berg Vorsitzender der SPD Rhein-Erft. Er war persönlicher Referent des SPD-Bundestagsabgeordneten Franz Müntefering und gehört seit Mai 2012 dem Landesparlament an. Im Rhein-Erft-Kreis ist van den Berg seit 2014 stellvertretender Landrat. Dem Kreistag gehört er seit 1999 an. (fun)

Kommentar von Bernd Rupprecht: Nicht selber kleinmachen

Die Sozialdemokraten, zumindest an Rhein und Erft, sind wieder da. Das jedenfalls war die Botschaft des Kreisparteitages in Hürth.  Überlagert von den bundespolitischen Vorgängen in Sachen Jamaika-Desaster und der Frage, wie die SPD an der Basis mit der komplizierten Situation umgeht, stritten die Sozis auf dem Parteitag offen, ehrlich, kontrovers und schonungslos miteinander um den besten Weg. Von Verzagtheit keine Spur mehr, irgendwie fühlte es sich nach  Aufbruchbruchstimmung an, trotz schlimmer Wahlniederlagen.

Dabei waren die Sozialdemokraten bis vor einer Woche, als die Jamaika-Träume zerplatzten, noch dermaßen mit sich selbst beschäftigt, dass einem angst und bange werden konnte um die einst stolze Partei. Immer und immer wieder beschworen Parteienvertreter auf kommunaler Ebene, vor allem aber auf Landes- und Bundesebene, dass sie doch so fürchterlich vom Wähler verlassen und verdroschen worden seien. Verstörend wirkte es, wenn tagein, tagaus vom „großen Verlierer“ die Rede war. Am Parteitag nun war von diesem Kleinmachen kaum mehr die Rede. Ein wohltuendes Aufbäumen gegen die Selbstkasteiung. Die SPD wird wieder gebraucht, nach dieser Marschrichtung richteten sich viele Redebeiträge –  ganz gleich, ob ein Mitglied eher wieder den Eintritt in eine Groko, eine Tolerierung oder schnelle Neuwahlen präferierte. Wobei schnelle Neuwahlen ganz weit hinten auf  der Skala der Möglichkeiten bei der Basis rangieren.

War die Rede des Bundesschatzmeisters Dietmar Nietan zu Beginn des Parteitages  noch mit vielen Allgemeinplätzen gespickt, punktete der alte und neue Vorsitzende Guido van den Berg  mit klaren inhaltlichen Forderungen für eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit auf Bundesebene. Und das Ringen um sozialdemokratische Inhalte für eine zukünftige Zusammenarbeit mit politischen Mitbewerbern bestimmte dann auch viele Redebeiträge. Da hätte Nietan besser mal zugehört, statt zeitig die Veranstaltung zu verlassen.

Noch eines macht Hoffnung. Redebeiträge von jungen Parteimitgliedern bekamen den meisten Applaus, streitbar, aufrüttelnd und inhaltlich belastbar machten sie  deutlich, dass  die Partei gut daran täte, einen Generationenwechsel zu betreiben. Es gibt sie, die jungen Leute –  man muss sie nur lassen. Nichts ist verloren in der demokratischen Auseinandersetzung um den besten Weg für die eigenen Überzeugungen. Es sei denn, man redet sich selber klein.

bernd.rupprecht@ksta-kr.de

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