Leser erzählenDer Einmarsch in Prag 1968 überschattete die Reise

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In der Gastfamilie wurden Silvia Merk (2. von rechts) und ihre Eltern herzlich aufgenommen. Den VW Käfer (im Hintergrund) hatten die Merks für die Reise vollgepackt.

In der Gastfamilie wurden Silvia Merk (2. von rechts) und ihre Eltern herzlich aufgenommen. Den VW Käfer (im Hintergrund) hatten die Merks für die Reise vollgepackt.

  • Unter dem Motto „Ferien anno dazumal“ erinnern sich Leser an besondere Urlaube.
  • Silvia Merk aus Neunkirchen-Seelscheid war vor 51 Jahren in Jugoslawien.
  • Sie besuchte einen ehemaligen Gehilfen ihres Vaters, der als Gastarbeiter nach Köln gekommen war.
  • An ihre Reise erinnert sie sich gern auch wenn sie zwischenzeitlich Angst hatten.

Neunkirchen-Seelscheid – Im Sommer 1968 fuhren meine Eltern und ich nach Rijeka im damaligen Jugoslawien. Und das kam so: Mein Vater, der als Konditormeister in Köln arbeitete, hatte einen Gehilfen aus Jugoslawien. Der junge Mann war der besseren Arbeitsmöglichkeiten wegen nach Deutschland gekommen und finanzierte mit dem Verdienst den Bau eines Hauses.

Die Serie

Unter dem Motto „Ferien anno dazumal“ erinnern sich Leserinnen und Leser an Reisen, die sie als Kind, Jugendliche oder junge Erwachsene gemacht haben. Silvia Merk (65) aus Neunkirchen-Seelscheid war vor 51 Jahren mit ihren Eltern in Jugoslawien.

Nach und nach wurde Mirko ein gern gesehener Gast in unserer Familie. Zu Beginn des Sommers 1968 zog er zurück in die sozialistische Republik Jugoslawien – das Haus war fertig, und er sollte dort eine Arbeit bekommen. Der Abschied fiel uns allen schwer, einzig die Aussicht auf einen Urlaub in Mirkos Heimat stimmte uns froh.

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Mit einem bis an den Rand vollgepackten VW Käfer fuhren wir Richtung Süden. Mein Vater als geborener Bayer und Bergsteiger musste unbedingt in den Schweizer und italienischen Alpen einen Pass nach dem anderen bezwingen und verschaffte uns so noch einige schöne Tage in Norditalien.

An die Reise erinnert Silvia Merk sich gern. Es war eins der letzten Erlebnisse mit ihrem Vater, der kurz darauf starb.

An die Reise erinnert Silvia Merk sich gern. Es war eins der letzten Erlebnisse mit ihrem Vater, der kurz darauf starb.

Schließlich erreichten wir unser Ziel, Rijeka, und fanden nach einigen Mühen ohne Navi den Weg zu unseren Gastgebern. Die Wiedersehensfreude auf beiden Seiten war groß. Nach mehreren Begrüßungsschnäpschen bezogen wir unsere Etage in dem mehrstöckigen Haus mit einer wunderbaren Aussicht aufs Meer.

Weltberühmte Reitschule

Wir machten viele Ausflüge: die Insel Rab, Dubrovnik, Pula, Triest und Split – nichts war uns zu weit. Die Straßen waren gut ausgebaut, der Verkehr war bescheiden und die Versorgung unterwegs ausreichend. Besonders gern besuchten wir Opatija, ein einstmals mondänes Seebad der Donaumonarchie nordwestlich von Rijeka. Für mich als pferdebegeistertes Mädchen gab es als Höhepunkt einen Übernachtungsbesuch in Lipica, woher die weltberühmten Pferde der Wiener Hofreitschule stammen. Und natürlich wanderten wir durch den Nationalpark der Plitvička Jezera, in dem Karl-May-Filme gedreht worden waren. Auch die Tropfsteinhöhlen von Postojna, in denen sich unterirdische Berge erheben, Flüsse plätschern und große Hallen öffnen, besichtigten wir ausgiebig.

Bei einem der vielen Ausflüge besuchte die Familie das beeindruckende Amphitheater in Pula.

Bei einem der vielen Ausflüge besuchte die Familie das beeindruckende Amphitheater in Pula.

Überall bezauberten uns die üppig blühende Natur mit vielen unbekannten Pflanzen und die Strände. Wann immer wir ans Meer gingen, lud es zum Baden ein. Bei Fahrten auf den kleinen Ausflugsschiffen oder Inselfähren begleiteten uns meistens Delfine. Mein erster großer Sonnenbrand nach einem Badetag verschaffte mir Gelegenheit, mich genüsslich den Hühnern, Katzen und den beiden kleinen Kindern unserer Gastgeber-Familie zu widmen. Ein besonders zutrauliches Huhn wurde fast zu einem Spielgefährten für mich.

Ein besonderes Erlebnis werde ich nie vergessen: Nachdem mein Vater Geld gewechselt und in eine kleine Reisetasche gesteckt hatte, brachen wir wieder zu einem unserer Ausflüge auf. Wir bemerkten nicht, dass uns ein Einheimischer mit einem klapprigen Fiat zu folgen versuchte. Erst als uns eine Polizeistreife anhielt, sahen wir den aufgeregten Fahrer. Wie sich herausstellte, hatte mein Vater die Geldtasche auf dem Autodach liegen lassen, darauf wollte der Mann uns aufmerksam machen. Zu unserer Freude lag die Tasche noch auf dem Dach. Eine Belohnung schlug der Fiat-Fahrer kategorisch aus.

Ein emotionaler Abschied

Als die Ferien zu Ende gingen und die Koffer gepackt waren, kamen wir ein letztes Mal mit den neuen Freunden unserer Gastfamilie und ihren Nachbarn zusammen. Am nächsten Morgen sollten wir in aller Herrgottsfrühe abreisen. Ich war sehr traurig, konnte ich doch „mein Huhn“ nicht mehr finden und ein letztes Mal streicheln. Der besorgte Blick meiner Eltern beim Abendessen hätte mich warnen sollen. Erst als die Frau des Hauses strahlend erklärte, dass sie nun gerade „mein Huhn“ für uns zubereitet hatte, wurde mir sein Verschwinden klar. Natürlich brachte ich keinen Bissen runter.

Unsere Rückreise sollte über Wien und Prag gehen – doch kurz vor der Grenze wurden wir gestoppt, Truppen des Warschauer Pakts waren in Prag einmarschiert. Mein Vater war sehr deprimiert. Er fürchtete einen erneuten Krieg, die Gespräche mit Freunden, die wir in Wien besuchten, drehten sich um nichts anderes. Und so fuhren wir in gedrückter Stimmung nach Hause.

Die unbefangene Kindheit endete für mich in diesen Wochen, und als wenige Monate später mein Vater plötzlich starb, behielten wir diese wunderschöne Reise als Andenken an ihn und die jugoslawischen Freunde in Erinnerung.

Schreiben Sie uns!

Weitere Erinnerungen an Ferien anno dazumal sind gefragt. Die Beiträge werden in loser Reihenfolge veröffentlicht. Schreiben Sie uns bitte kurz, wie Ihre Ferien aussahen – egal ob mit der Familie, in der Gruppe oder allein. Gab es Sehenswürdigkeiten, typische Erlebnisse mit Einheimischen, Pannen oder kuriose Missgeschicke, die gut im Gedächtnis geblieben sind?

Prima wäre es, wenn Sie auch ein Ferienfoto von damals beisteuern können. Unser Fotograf kommt gern zu Ihnen nach Hause, um ein Repro zu machen, damit das Bild im Album bleiben kann.

Ihren Beitrag können Sie uns per E-Mail oder auch auf Papier mit der Post schicken. Die Adresse lautet:

„Rhein-Sieg-Anzeiger“

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