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Kommentar

Escape-Room der Flüchtlingshilfe Bonn
Flucht-Schicksale als Unterhaltung dürfen Geflüchtete nicht bloßstellen

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
Zwei Frauen mit Mundschutz und Einmalhandschuhen begleitet, halten Papierbündel in der Hand und erforschen den Escape-Room.

Im Escape-Room der Flüchtlingshilfe Bonn sollen Spieler dafür sensibilisiert werden, wie es ist als Fremde in ein neues Land zu kommen.

Das Escape-Room-Projekt der Bonner Flüchtlingshilfe muss nicht nur Empathie einfordern, sondern sie auch selbst leben.

Für den Escape-Room „Unbekanntes Unbehagen“ der Flüchtlingshilfe Bonn werden Gruppen von Leuten als Spielerinnen und Spieler einer Situation ausgesetzt, in der sich viele Menschen, die aus anderen Ländern nach Deutschland flüchten, nach ihrer Ankunft wiederfinden. Ist das bloßstellendes Entertainment oder ein smartes Awareness-Projekt?

Es gibt Probleme mit der Sprache, Behördenformulare sind in einer unbekannten Schrift verfasst. Sätze werden dreimal mündlich wiederholt, und sind doch nicht verständlich. Man findet sich nicht zurecht und fühlt sich mitunter alleingelassen. 

In dem Escape-Room soll der Spieß sozusagen umgedreht werden. Vor allem bei Menschen, die keine Erfahrungen mit Flucht und dem Fremdsein gemacht haben, will das Projekt Empathie und Verständnis wecken, indem die Menschen selbst die Erfahrung machen sollen, sich fremd zu fühlen.

Aus Erfahrungen von Geflüchteten wird ein Unterhaltungsspiel

Die Idee erfolgt offensichtlich in guter Absicht, es soll sensibilisiert werden für die Erfahrungen und Erlebnisse von Geflüchteten in Deutschland. Dennoch ist das Konzept in Teilen problematisch. Auch, wenn es in guter Absicht geschieht, wird hier aus den negativen Erfahrungen von Geflüchteten ein Unterhaltungsspiel gemacht.

Anica  Tischler

Anica Tischler

Seit 2025 stellvertretende Redaktionsleitung der Redaktion für den Rhein-Sieg-Kreis beim „Rhein-Sieg Anzeiger“ und der „Rhein-Sieg Rundschau“. Seit 2023 war sie Redakteurin im Newsteam Region des „Kö...

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Es ist zwar keine Reality-Soap bei der Menschen rund um die Uhr beobachtet und bloßgestellt werden. Trotzdem werden in diesem Spiel schlechte Erfahrungen von Menschen, die ihnen Angst gemacht und sie verunsichert haben, in gewisser Weise ausgeschlachtet, um anderen Unterhaltung zu bieten. Ja, auch Bildung – aber eben auch Entertainment.

Die Menschen, deren Erfahrungen hier genutzt werden, machen sich damit verwundbar, das erfordert viel Mut und dafür gebührt ihnen Respekt. Doch das macht sie auch in besonderer Weise schützenswert.

Flucht soll nicht zur Schau gestellt werden

Das Ziel der Verantwortlichen wird durchaus erreicht und die Botschaft kommt an: Spielerinnen und Spieler erfahren, wie es sein kann, sich fremd zu fühlen. Und sie machen sich in Zukunft womöglich mehr Gedanken über ihren und den gesellschaftlichen Umgang mit Geflüchteten. Dennoch agieren sie aus einer privilegierten Lebenssituation heraus, der einer nicht-geflüchteten Person.

Es gehe ihnen nicht darum, mit dem Projekt eine Flucht „zur Schau zu stellen“, sagen die Verantwortlichen in einem Video-Beitrag über ihr Projekt. Ihnen muss jedoch bewusst sein, dass sie genau das tun und damit eine besondere Verantwortung tragen. Ihre Bitten um Feedback und Kritik zu ihrem Projekt lassen dies allerdings vermuten. Der Dialog, den die Verantwortlichen im Nachgang des Spiels mit den Gästen führen, zeigt auch, dass das Zurschaustellen offensiv genutzt werden soll, um Reflexion zu fördern und Gefühle auszulösen. Dies erfordert trotzdem eine gewisse Vorsicht.

Klischees bedient der Bonner Escape-Room in beide Richtungen

Nicht ohne Grund muss mit den Erfahrungen der betroffenen Menschen sensibel und rücksichtsvoll umgegangen werden. Mögliche Traumata und die Gefahr, als „die Anderen“ wahrgenommen zu werden, dürfen hier keinesfalls außer Acht gelassen werden.

In diesem Spielraum bediente Klischees tragen dazu bei, dass ein vorgefasstes Bild von Geflüchteten und dem Umgang mit ihnen verbreitet wird. Klischees werden allerdings in beide Richtungen bedient. Beim Bonner Escape-Room wird nicht nur mit den Erfahrungen der Geflüchteten gearbeitet, sondern auch mit Klischees, die die Ignoranz der westlichen Mehrheitsgesellschaft, in diesem Fall der Deutschen, offenlegen. Wie zum Beispiel, Menschen dazu aufzufordern, sich zu integrieren, ihnen de facto jedoch die Integration durch eine Wüste der Bürokratie schwerer zu machen als sie sowieso schon ist.

Ob mit ihren Erfahrungen hier rücksichtsvoll umgegangen wird, können nur Betroffene selbst beurteilen. Dafür spricht, dass das Projektteam zu einem Großteil aus geflüchteten Männern und Frauen besteht, die selbst maßgeblich an der Konzeption des Projekts mitgewirkt haben und ihre Erfahrungen und Perspektiven eingebracht haben. Dafür spricht, dass die geflüchteten Menschen durch das Projekt selbst entscheiden, wie und in welcher Form sie ihre Erfahrungen teilen. Sie treten mit den Besucherinnen und Besuchern in einen Dialog und verschaffen ihrer Stimme Gehör.

Den Projektverantwortlichen wird es bewusst sein und Besucherinnen und Besuchern sollte es ebenso bewusst werden, Klischees werden trotzdem bedient. Das ist vielleicht sogar unvermeidlich. Es liegt an allen Beteiligten sowie Besucherinnen und Besuchern des Escape-Rooms, diese zu reflektieren und sie durch einen Umgang der Gleichberechtigung zu ersetzen – mit der Empathie, Sensibilität und dem Verständnis, das das Projekt selbst einfordert.