Fremdsein lernenEscape-Room in Bonn lässt Spieler die Erfahrungen von Geflüchteten nachfühlen

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Drei Menschen suchen auf einem Tisch in einem kleinen Raum nach Unterlagen. Um sie herum liegen Kleidungsstücke, ein Rucksack und eine Isomatte auf dem Boden. In der Ecke des Raums steht ein Etagenbett aus Metall.

Mit einer Kamera beobachtet die Spielleitung die Gruppe im Escape-Room und kann bei Bedarf Hilfestellung geben.

Inspiriert sind die Hindernisse und Aufgaben im Escape-Room in Bonn von Erfahrungen geflüchteter Menschen, die nach Deutschland kamen.

Ein Raum mit einem Etagenbett aus Metallgestänge und einem grauen, abschließbaren Spind. Auf dem Boden liegen Kleidungsstücke, ein Rucksack, eine Isomatte. In dem Spind liegt ein abgeschraubter Duschkopf. Weiße Gartenstühle stehen um einen Tisch herum. 

So sieht es in einem Teil der „Republik Fremdistan“ aus, dem Live-Escape Room der Flüchtlingshilfe Bonn, in dem die Einrichtung einer Geflüchtetenunterkunft nachempfunden werden soll. Das Projekt will mit dem Escape-Room-Spiel nachvollziehbar machen, wie es für Geflüchtete ist, sich in einem völlig neuen Land zurechtzufinden. Ab dem 28. Oktober beginnt die nächste Spielzeit in Bonn.

Live-Escape-Room ist Erfahrungen von Geflüchteten nachempfunden

Unter dem Titel „Unbekanntes Unbehagen“ soll das Spiel die Spielerinnen und Spieler unter anderem vor die Fragen stellen: Wie lebe ich einen Alltag, dessen Sprache ich nicht verstehe? Wie finde ich mich in einer fremden Kultur mit unbekannten Normen und Zeichen zurecht?

Das Ganze funktioniert wie ein klassischer Escape-Room:  Eine Gruppe von Spielerinnen und Spielern wird in den Raum gebracht, dort „eingeschlossen“ und muss innerhalb einer bestimmten Zeit Rätsel lösen, um aus dem Raum herauszufinden. Dabei beginnt das Erlebnis sofort bei der Ankunft. Bevor die Gruppe von Spielerinnen und Spielern in den Raum gelassen wird, muss sie Handys und Uhren abgeben.

Herausforderungen im Escape-Room: Sprachbarriere und Formular-Dschungel

„Zum einen, damit sie nicht selbst die Zeit verfolgen können oder Rätsel online googlen können“, sagt Nadja Müller de Ossio, eine der zwei Initiatorinnen des Projekts dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Zum anderen, weil da schon die Herausforderung beginnt. Die Leute merken, ihnen wird da ein Stück Privatsphäre weggenommen.“ So wie es auch Geflüchtete oft in einer Sammelunterkunft empfinden müssen.

Simuliert wird beim Rätselraten also die Ankunft in einem fremden Land – nur sind in diesem Fall eben die Deutschen fremd. Verbunden wird das mit Hindernissen und Problemen, vor denen auch Geflüchtete stehen, wenn sie in einem neuen Land sind – wie zum Beispiel der Sprachbarriere.

Zwei junge Frauen mit Masken und Einmalhandschuhen halten Papierblätter in der Hand und laufen durch den Escape-Room.

Im Escape-Room müssen sich Spielerinnen auch mit Behördenformularen beschäftigen.

So müssen die Einreisenden ihre Registriernummer auf Dokumenten ins dafür vorgesehene Feld eintragen. Die Aufforderung dazu über Lautsprecher ist jedoch mitunter nur schwer verständlich und die Formulare in einer unbekannten Schriftsprache verfasst. 

Wir wollten möglichst viele Menschen mit Fluchtbiografie einbinden, damit sie eine Stimme bekommen.
Nadja Müller de Ossio

Die Herausforderungen und Schwierigkeiten, mit denen die Gäste hier konfrontiert sind, haben die Projektverantwortlichen zusammen mit Geflüchteten aus deren eigenen Erfahrungen heraus entwickelt. „Das Storyboard für den Escape-Room haben wir überwiegend zusammen mit jungen Menschen entworfen, die aus Syrien, Afghanistan und dem Irak nach Deutschland geflüchtet sind“, so Müller de Ossio. „Wir wollten von Anfang an möglichst viele Menschen mit Fluchtbiografie einbinden, damit sie eine Stimme bekommen und ihre Erfahrungen in dieser Form künstlerisch ausdrücken können.“

Bei den Geflüchteten im Projektteam sehe Müller de Ossio eine starke Entwicklung seit Beginn des Projekts. „Sie haben sich sehr intensiv eingebracht, ihre Erfahrungen und Perspektiven geteilt und sind jetzt auch selbst Spielleiter und -leiterinnen. Sie können direkt sehen, wie die Erfahrungen im Escape-Room die Gäste beeinflussen. Dadurch gehen sie selbst mehr aus sich heraus und verlieren so auch ein Stück weit ihre Unsicherheit und Angst in dieser Gesellschaft.“ Inzwischen seien auch ukrainische Geflüchtete Teil des Projektteams.

Wie soll man sich unter solchen Bedingungen integrieren und Deutsch lernen?
Eine Spielerin aus Sachsen nach ihrer Erfahrung im Escape-Room

Besonders deutlich sei die Botschaft des Projekts bei einem Paar aus Sachsen angekommen, erinnert sich Nadja Müller de Ossio. Das Ehepaar sei im Rheinland zu Besuch gewesen und habe den Escape-Room ausprobieren wollen, aber wohl zuvor noch nie Berührungspunkte mit Geflüchteten gehabt, so die Projektleiterin.

„An dem Tag war unser »Präsident von Fremdistan« der Spielleiter, ein großer, breiter, vollbärtiger Mann. Das hat das Paar möglicherweise etwas verunsichert. Denn dass die beiden am Anfang Handys und Uhren abgeben sollten, war ihnen sehr suspekt. So sehr, dass sie lieber nochmal raus zum Parkplatz gegangen sind und die Sachen dort im Auto eingeschlossen haben.“ Da sei auch dem Spielleiter etwas mulmig geworden, wie nach dem Spiel das Feedbackgespräch ausfallen könnte.

Doch die Besorgnis war am Ende nicht nötig. „Beim Abschlussgespräch fragte die Ehefrau: »Muss man sich das wirklich so vorstellen in einer Sammelunterkunft? Fühlt sich das so an?«“. Als der Spielleiter bejahte und mehr von seinen Erfahrungen erzählte, habe die Frau kurz innegehalten, sagt Müller de Ossio. „Doch dann sagte sie: »Aber wie soll man sich denn unter solchen Bedingungen integrieren und Deutsch lernen?«“

Mitarbeitende von Behörden werden ermutigt, den Escape-Room in Bonn zu besuchen

„Das ist genau die Frage, die sich die Spielerinnen und Spieler stellen sollen“, betont die Projektleiterin. „Deshalb ermutigen wir auch explizit Mitarbeitende von Behörden, zum Beispiel von Rathäusern, den Escape-Room zu spielen. Wir haben auch schon Buchungen von Sozialwissenschafts-Leistungskursen von Kölner Gymnasien erhalten.“

Gestalt nahm das Projekt zunächst im Jahr 2019 an, als die Initiatorinnen Nadja Müller de Ossio und Jana Gigl von der Flüchtlingshilfe Bonn erste Gelder für ihre Idee beantragten. In Zusammenarbeit mit den jungen Geflüchteten, nach mehreren Workshops und mit der Unterstützung eines Theaterregisseurs aus Bonn nahm der Escape-Room Formen an. Die erste Spielzeit eröffnete schließlich im Frühjahr 2021.

Nach der ersten erfolgreichen Spielzeit „wanderte“ das Projekt zu verschiedenen Spielstätten in NRW, so zum Beispiel auch ins Schloss Homburg in Oberberg und nach Wuppertal, wobei die Flüchtlingshilfe Bonn mit ihrem Projektteam den jeweiligen Veranstaltern vor Ort mit Rat und Tat zur Seite stand.


Wer sich im „Unbekannten Unbehagen“-Escape-Room ausprobieren möchte, kann beim Team einen Termin buchen, per E-Mail oder auch unter 0178-4387727 auch per „Signal“-Messenger. Der Escape-Room ist in der Zentrifuge Bonn, Godesberger Allee 70, zu finden.

Die Spielzeit läuft von Samstag, 28. Oktober, bis Samstag, 2. Dezember. Termine können grundsätzlich für alle Wochentage und Tageszeiten flexibel gebucht werden. Die Spieldauer beträgt etwa 90 Minuten, teilnehmen können Gruppen von zwei bis sechs Personen. Der Eintritt ist frei.

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