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„Eine Hippie-Utopie“Wie fünf Personen einen baufälligen Gasthof in Windeck per Upcycling renovieren

Lesezeit 4 Minuten
Die Fünf vom Graswurzelhof: VLNR Olesja Schazkaja, Steffen Jahn, Noah Wagner, Ninne Weißmüller, Fabian Seiler.

Die Fünf vom Graswurzelhof: Olesja Schazkaja, Steffen Jahn, Noah Wagner, Ninne Weißmüller, Fabian Seiler.

Fünf Leute wohnen mittlerweile auf dem Gelände. Seit zweieinhalb Jahren wird der Graswurzelhof am Bahnhof Au Dauer-renoviert.

Eine Renovierung steht in jedem Haus mal an, im Graswurzelhof ist sie seit zweieinhalb Jahren Dauerzustand. Steffen Jahn und seine Frau Olesja Schazkaja haben in dem alten, baufälligen Gasthof am Bahnhof Au gefunden, wonach sie gesucht haben: einen Platz mit viel Potenzial zur Selbstverwirklichung. Hier leben sie zu fünft zusammen und arbeiten, während sie dort leben, an einem Gemeinschaftsprojekt.

Seit neun Jahren sind die beiden zusammen und „standen irgendwann an dem Punkt, an dem wir darüber nachgedacht haben, was wir mit unserem Leben noch anfangen wollen: Kündigen wir unsere Jobs und reisen um die Welt, oder bauen wir uns etwas auf?“, fasst der 41-Jährige zusammen.

Gemeinschaftsprojekt im Graswurzelhof: Zustand des Hauses war desolat

„Wir waren schon immer sehr umtriebig, haben Konzerte veranstaltet oder uns an künstlerisch-kreativen Projekten beteiligt. Das ging in der Pandemie alles nicht mehr, schon gar nicht in der Stadt“, sagt Jahn. Die Entscheidung, all dies an einem eigenen Wohnort zusammenzubringen, habe daher nahegelegen.

In dieser Holzhütte leben Steffen Jahn und Olesja Schazkaja. Anfangs hatte sie weder Türen noch Fenster.

In dieser Holzhütte leben Steffen Jahn und Olesja Schazkaja. Anfangs hatte sie weder Türen noch Fenster.

Beide haben sichere Jobs als Hörspielproduzent und beim Kölner Gesundheitsamt. Sie gaben ihr Grundstück mit Garten in Köln-Seeberg auf und stießen nach einjähriger Suche auf den ehemaligen Gasthof zur Bahn in Au. Der Zustand des Hauses sei desolat gewesen: Die Wände waren feucht, Schrott lag in den Räumen, und gebrannt hatte es vor Jahren auch.

Upcycling: Der Graswurzelhof wurde mit gebrauchten Materialien verschönert

Doch genau hier zogen Jahn und Schazkaja ein: „Olesja ist in Kasachstan groß geworden, ich in der DDR. Altbau, Kohleöfen und ein Klo im Treppenhaus waren wir gewöhnt.“ Eine große Hürde galt es aber noch zu nehmen: die finanzielle. „Keine Bank wollte uns einen Kredit für eine Schrottimmobilie geben – obwohl wir ein 20-seitiges Konzept geschrieben hatten“, schildert Jahn. Erst die Umweltbank habe ihnen ein Darlehen gewährt.

Blick auf den Garten des Graswurzelhofs.

Blick auf den Garten des Graswurzelhofs.

Im Herbst 2020 zogen Schazkaja und Jahn in das „Loch“, wie er es scherzhaft nennt, ein. „Es war ziemlich heruntergekommen. Ein einziger Raum war beheizbar, und darin haben wir zunächst geschlafen.“ Die tiefste gemessene Temperatur in ihrem Schlafzimmer habe bei drei Grad gelegen. „An Kälte gewöhnt man sich aber mit der Zeit“, meint Jahn. Doch Schazkaja und Jahn packten an und machten sich ans Renovieren. Sie beschafften sich Material, das andere Menschen längst aussortiert hatten. Ein alter Dachbalken etwa stützt jetzt ihre Zwischendecke.

Sie selbst zogen aus ihrem Drei-Grad-Schlafzimmer in eine Holzhütte im Garten. „Die hatte am Anfang weder Türen noch Fenster noch Boden.“ Auch hier legten die beiden Hand an, natürlich mit gebrauchten Materialien. „Die Haustür habe ich für 50 Euro in Gummersbach geholt“, sagt Jahn.

Upcycling, also Müll zu etwas Nützlichem aufzuwerten, ist ihre Philosophie. „Wir wollen aus nichts alles machen“, betont er. Nach einem Einbruch aber sei ihnen klar geworden, dass das Haus ständig bewohnt sein müsse. „Also haben wir nach Mitbewohnern gesucht. Wir waren uns nicht sicher, ob es Menschen gibt, die Bock haben, in so eine Bruchbude zu ziehen und sich beim Umbau einzubringen.“ Tatsächlich hätten sie am Ende 50 Anfragen bekommen. „Wir haben die Leute dann eingeladen mitzuarbeiten, und geschaut, wer hängen bleibt.“

Es fanden sich der Student Noah Wagner, der Erzieher Fabian Seiler und die Erlebnispädagogin Ninne Weißmüller, die in einem Transporter im Garten schläft. Sie beleben das noch immer nicht fertige Haus, während Schazkaja und Jahn im Blockhaus schlafen. „Gemeinsam haben wir angepackt, und zum Oktober 2021 hatten wir ausreichend viele Zimmer fertig, um hier ganz gut leben zu können“, sagt Jahn.

Ninne Weißmüller lebt in diesem Transporter, Baujahr 1988. Er hat 400.000 Kilometer runter - und fährt noch.

Ninne Weißmüller lebt in diesem Transporter, Baujahr 1988. Er hat 400.000 Kilometer runter – und fährt noch.

Die Räume werden mit Pellet-Öfen beheizt. Der ehemalige Gastraum beherbergt Wohnzimmer und Küche, auf der ehemaligen Kegelbahn hat sich Jahn mit seinem Arbeitszimmer ausgebreitet. Eine noch nicht verputzte Wand wird mit Seilers selbstgemalten Bildern dekoriert, Schazkaja hat mit Weinkorken die Wohnzimmertür kunstvoll verziert.

Eine feuchte Wand haben sie durch eine Mauer aus Lehm und Flaschen ersetzt, die im Dunkeln wie Edelsteine funkeln. Kunstwerke, gestaltet aus Weggeworfenem, stehen im Haus herum. Im Garten leben Enten und Gänse. Der Stall besteht aus alten Zaunteilen. Die Grundlage des Hochbeets nebenan: zerschnittene Brombeersträucher.

Fertig werden Haus und Hof wohl nie. „Die Leute im Ort waren sehr neugierig, was wir hier machen. Inzwischen besteht ein gutes Miteinander. Wir haben sogar einen Kulturverein gegründet, mit dem wir Veranstaltungen planen“, sagt Jahn.

Besucher seien willkommen. „Die müssen aber auch damit rechnen, hier ein bisschen mitzuarbeiten“, fügt er lachend hinzu. „Es ist schon eine Hippie-Utopie, dass hier fünf Leute ein familiäres Zusammenleben haben. Da bricht sich etwas Bahn, von dem man denkt, dass es nicht klappt, ohne dass wir darauf hingearbeitet haben. Es macht Spaß, das erleben zu dürfen.“