Wer pilgert denn heute noch? Was so altmodisch erscheint, zieht auch junge Leute an, das zeigt die Walldürn-Wallfahrt, die Station in Rhein-Sieg machte.
Vorbild Hape KerkelingPilger-Stopp in Troisdorf - Warum die Wallfahrt auch junge Leute anzieht

Das erste Ziel der Pilgergruppe war Troisdorf. 105 hatten sich für den Auftakt der Walldürn-Wallfahrt angemeldet.
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Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“ brachte Schwung in die Pilger-Bewegung, nicht nur auf dem Jakobsweg. „Er hat es auf den Punkt gebracht“, sagt Marvin Faust, der sich auf den siebentägigen Fußmarsch nach Walldürn gemacht hat: „Das ist meine Woche.“
Der lang aufgeschossene Industriemechaniker aus Niederkassel-Uckendorf bringt trotz seiner jungen Jahre reichlich Wallfahrtserfahrung mit. Er stieg mit zwölf Jahren ein, ist zum zehnten Mal dabei, zwei Touren fielen coronabedingt aus. Die 239 Kilometer bis nach Walldürn seien auch ein Weg zu sich selbst, so schildert es der 24-Jährige.
Die erste Pause ist nach elf Kilometern in St. Hippolytus Troisdorf
„Marvin gehört zu den vielen Jupis“, scherzt Vater Herbert Faust. Jungpilger, das war der 61-Jährige auch einmal. Nun sei er einer der „Opis“, zum 30. Mal dabei, mit Unterbrechungen. Und Onkel Werner Faust, Großonkel Marvins, macht gar die 40 voll. Zum ersten Mal nehme er nicht die volle Strecke in Angriff, bedauert der Schreinermeister im Ruhestand. Es gab Ausfälle bei den Organisatoren, der 81-Jährige packt im Kofferbus mit an.
Um 7 Uhr sind die ersten 80 in Porz-Urbach gestartet, nach Anmeldung, Frühstück und Reisesegen. Elf Kilometer später, in St. Hippolytus Troisdorf, kommen weitere Pilger hinzu, insgesamt 105 hätten sich für den ersten Tag angemeldet, berichtet Organisator Diedrich Frielingsdorf, optisch zwischen Jupi und Opi. Am Ende, am Ziel im Odenwald, werden es rund 250 Teilnehmer sein.

Drei Generationen der Familie Faust: Werner (81, r.) mit seinem Neffen Herbert (61) und seinem Großneffen Marvin (24, l.). Sie pilgern in diesem Jahr zum 40., 30. und zehnten Mal mit.
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Sie sprechen den Rosenkranz, sie singen, sie feiern Andachten, sie genießen die Ruhe, jeweils zehn bis 20 Minuten nach den Gebeten herrscht absolute Stille. Auf ein Handzeichen hin darf wieder gesprochen werden, „und dann geht es los“, schildert Edith Wegel, muntere 66. Die frühere Marathonläuferin wird ihre zehnte Wallfahrt wegen gesundheitlicher Einschränkungen nur etappenweise mitgehen.
Sie wird von zwei Frauen mit Hallo begrüßt. Das Pilgern schweißt zusammen, man freut sich über ein Wiedersehen, auch Freundschaften seien entstanden, so Wegel. Pilgern sei mehr als eine bloße Wanderung, so beschreibt es Werner Faust: „Man wird getragen.“ 33, 38, gar 44 Kilometer am Tag zu laufen, das würde er sonst nie und nimmer schaffen.
Ein Arbeitskollege lud ihn einst ein, da war er 18 und neugierig. Neffe Herbert Faust sprang einst für seine Mutter ein, „sie hatte einen Blinddarmdurchbruch, war dem Tod von der Schippe gesprungen und meinte: ‚Jung, jetzt musst du für mich mitlaufen‘“.

Zum 26. Mal dabei: der Siegburger Amtsrichter Ulrich Wilbrand (r.) mit Organisator Diedrich Frielingsdorf.
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Der frühere IT-Systemingenieur fing Feuer, „diese Woche war für mich die einzige, in der ich nicht an die Arbeit dachte“. Erholsamer als drei Wochen Urlaub, trotz der Strapazen. Große Frömmigkeit sei nicht vonnöten, findet sein Onkel: „Ich bin kein Betbruder.“ Er genieße es, sieben Tage lang wie in einer anderen Welt zu sein.
Der Spaß komme nicht zu kurz, betont der Troisdorfer Ulrich Wilbrand, Richter am Siegburger Amtsgericht. Die Abende in den Gasthöfen und Hotels seien legendär. Es ist seine 26. Wallfahrt. In Privatquartieren kämen immer weniger Pilger unter, weiß Werner Faust. Die Herbergseltern-Generation sterbe weg.
Wie gut, dass sich die Walldürn-Wallfahrt auch in ihrem 375. Jahr ungebrochener Beliebtheit erfreue. Und dass es nicht an Nachwuchs fehle. Marvin Faust, der sich auch in der Pfarrgemeinde engagiert und als ehrenamtlicher Rettungstaucher bei der DLRG, erzählt von großer Neugier in seinem Umkreis. „Wenn jemand Lust hat mal mitzukommen, lade ich ihn gerne ein.“
Das Pilgern sei nicht nur ein Weg zu sich selbst, betont der 24-Jährige, er genieße auch die Kontakte zu anderen, die Gespräche, den Austausch. Die Wallfahrt sei nichts Vorgestriges, „sondern moderner, als die Kirche sonst erscheine, zum Beispiel bei der Liedauswahl“.
Auch der diesjährige Leitgedanke „Hoffnung“ trifft, so ist zu vermuten, gerade in Krisenzeiten auf offene Ohren. Die Gruppe gebe Kraft, da sind sich die drei Generationen der Familie Faust einig. Für den stets unter Spannung stehenden IT-Ingenieur Herbert Faust eine Möglichkeit, abzuschalten und zu entspannen: „Man kommt wirklich auf andere Gedanken.“
Ursprung 1330
Der Ursprung der Walldürn-Wallfahrt liegt fast 700 Jahre zurück. 1330 hatte ein Priester den Altarkelch mit geweihtem Wein umgestoßen, es zeichnete sich auf dem Altartuch die Gestalt des gekreuzigten Christus ab. Der Weg führt von Köln-Porz/Urbach durch Nordrhein-Westfalen mit Stationen in Siegburg und Hennef, durch Hessen und Bayern bis nach Baden-Württemberg. Zu dem Sockelbetrag von zehn Euro kommen 25 Euro pro Tag, für Jugendliche und Studierende die Hälfte.