Angriffe auf russische MilitärflugplätzeDie Ukraine schlägt zurück – und erwischt Russland kalt

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Rauch steigt aus dem Flughafen Kursk auf. Ein Feuer, brach auf dem Flughafen an der Grenze zur Ukraine aus, laut russischen Angaben handelt es sich um einen Drohnenangriff.

Rauch steigt aus dem Flughafen Kursk auf. Ein Feuer, brach auf dem Flughafen an der Grenze zur Ukraine aus, laut russischen Angaben handelt es sich um einen Drohnenangriff.

Mehrere ukrainische Militärschläge auf russische Militärstützpunkte haben Moskau schwer getroffen. Experten sprechen von einem „Skandal für Russland“, der große strategische Auswirkungen mit sich bringt.

Mit mehreren überraschenden Angriffen auf russische Militärflugplätze tief im Landesinneren hat die Ukraine Russland offenbar kalt erwischt. Nachdem am Montag auf dem Luftwaffenstützpunkt Djagilewo ein Tanklaster in Flammen aufging und eine Drohne den Militärflugplatz Engels weiter nördlich angriff, gab es am Dienstag erneut Attacken auf russische Militärstützpunkte.

Diesmal war der Flugplatz in der russischen Region Kursk im Visier der ukrainischen Drohnenangriffe, wie der Gouverneur der Region bestätigte. Videos zeigten hohe Stichflammen am Flugplatz, lokalen Medien zufolge war ein Öltank beim Angriff in Brand geraten. Im Gebiet Brjansk ging nach einer weiteren Drohnenattacke ein Treibstofftank in Flammen auf.

Flugabwehr der Russen kann Angriffe nicht verhindern

Laut Moskau hat das ukrainische Militär die Angriffe verübt, Kiew äußerte sich zunächst nicht. Der britische Geheimdienst wertet die Explosionen auf den Flughäfen als einen der schwersten Schläge gegen Russland und geht von „strengen Sanktionen“ gegen russische Offiziere aus, die den Angriff nicht verhindert haben.

Aufgrund der Flugabwehr der Russen wurden die Flugzeuge auf dem Militärstützpunkt nur gering beschädigt, laut britischem Geheimdienst wurden zwei Bomber von herabfallenden Trümmerteilen getroffen, drei Personen starben.

Experten: Angriffe kamen sehr überraschend und offenbaren Verteidigungsschwächen

„Die Ukraine ist jetzt eindeutig in der Lage, auf Ziele in sehr großer Entfernungen zu zielen“, so die Einschätzung des Ex-Generals Mick Ryan. Die Militärstützpunkte der Angriffe vom Montag liegen zwischen 600 und 700 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, die jüngsten Angriffe weniger als 200 Kilometer.

„Die Angriffe auf Engels und Djagilewo über eine so lange Distanz waren sehr überraschend“, analysiert Andras Racz, Experte für Russlands Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Die größte Frage sei nun, über wie viele solcher Systeme die Ukraine verfügt, so der Experte im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Die schweren Angriffe zeigten die Schwäche der russischen Luftverteidigung. „Die Drohnen flogen Hunderte Kilometer im russischen Luftraum, ohne dass sie offenbar den Russen aufgefallen sind.“ Das russische Radarsystem sei offensichtlich sehr schwach und die Luftraumverteidigung schlecht.

Hielten sich die ukrainische Spezialeinheiten in Russland auf?

Auffällig ist die hohe Präzision des Angriffs. Ein Bomber auf dem Vorfeld wurde trotz der großen Entfernung sehr präzise getroffen. „Für einen solchen Treffer sind Echtzeitdaten nötig“, sagt Militärexperte Racz. Das spreche dafür, dass die Drohne von Spezialkräften vor Ort live gesteuert wurde. „Ukrainische Spezialkräfte sind in der Lage, solche Aktionen innerhalb Russlands durchzuführen, wie mehrere Fälle bereits gezeigt haben.“

Nach Informationen der „New York Times“ soll mindestens ein Luftschlag von Spezialkräften koordiniert worden sein, die sich in unmittelbarer Nähe der russischen Stützpunkte aufgehalten haben. „Der Angriff ist eine enorme Demütigung für die russische Armee“, meint Racz. Das russische Verteidigungsministerium beschrieb die eingesetzten Waffen als „Drohnen aus der Sowjetzeit“. Ex-General Mick Ryan hält es für möglich, dass es sich dabei um Hochgeschwindigkeits-Aufklärungsdrohnen vom Typ Tu-141 handelt, die eine Reichweite von 1000 Kilometern haben und für solche Angriffe geeignet seien.

Ukraine wechselt in den Angriffsmodus

Die Regierung in Kiew geht davon aus, dass von den angegriffenen russischen Flughäfen auch die Kampfbomber in Richtung Ukraine starten. Seit Oktober hatte Russland die gesamte Ukraine in acht Angriffswellen mit einem Raketenhagel überzogen und die zivile Infrastruktur vielerorts weitestgehend zerstört. „Die Ukraine ergreift jetzt aktive Maßnahmen, um russische Raketenangriffe auf ihre Bürger und ihre zivile Infrastruktur zu verhindern“, sagt Ryan.

„Es ist keine Eskalation“, so der Militärexperte. Er sieht darin „eine militärische Maßnahme für die Ukraine, um die humanitären Folgen der brutalen Drohnen- und Raketenangriffe Russlands zu begrenzen“. Die Angriffe auf russische Luftwaffenstützpunkt seien daher ein legitimes Kriegsziel der Ukrainer – und es werden nicht die letzten Militärschläge gewesen sein.

Russland könnte nun Maßnahmen ergreifen

Russland verschärft nun seine Sicherheitsmaßnahmen, sagt DGAP-Experte Racz, und verlegt seine wichtigsten Bomber weiter von der Ukraine weg. „Das wird die Zahl russischer Bombenangriffe gegen die Ukraine verringern.“ Sie warfen zwar keine Bomben über der Ukraine ab, schossen aber ähnlich wie eine Abschussrampe Marschflugkörpern auf das Nachbarland. „Jetzt müssen sie weiter von der Ukraine entfernt stationiert werden, was präzise Angriffe erschweren wird“, so Razc zu den strategischen Konsequenzen.

Es ist für Russland ein Skandal, dass die Luftverteidigung in einem so schlechten Zustand ist.
Andras Racz, Militärexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik

Ex-General Ryan rechnet damit, dass die Angriffe tief im Landesinneren Russlands bei der Öffentlichkeit Bestürzung hervorrufen werden. Viele Russen hatten bisher geglaubt, vom Krieg nicht betroffen zu sein. Dies ändere sich jetzt. Russland-Experte Racz sieht bisher aber keine Panik, wohl aber einen „enormen Prestigeverlust“. Es sei für Russland ein Skandal, dass die Luftverteidigung in einem so schlechten Zustand ist und die Bevölkerung merke inzwischen, dass der Krieg an der eigenen Haustür angekommen sei.

Der Militär-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) berichtet, dass die Wut bei russischen Militärbeobachtern groß ist. „Russische Militärblogger kritisierten die russische Armee dafür, dass sie die Drohnenangriffe auf die Luftwaffenstützpunkte nicht vorhergesehen und verhindert haben“, so das ISW.

Sie riefen zu „erheblichen Vergeltungsschlägen“ gegen die Ukraine auf. Nur wenige Stunden nach den Angriffen auf russische Flughäfen startete Russland eine neue Raketenwelle gegen die Ukraine. Sowohl von Schiffen aus dem Schwarzen Meer als auch von Bombern im russischen Luftraum sind Raketen auf die Ukraine abgefeuert worden. Nach ukrainischen Angaben sind mindestens zwei Menschen ums Leben gekommen.

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