Kommentar zum G20-GipfelPutins Rückzug in die Isolierstation

Lesezeit 2 Minuten
Russlands Präsident Putin sitzt während einer Videokonferenz am 8. November 2022 in Moskau an einem Tisch.

Russlands Präsident Putin in Moskau (Archivbild)

Der G20-Gipfel wird über Russlands Staatschef reden statt mit ihm – genau darin liegt weltpolitisch eine Chance, kommentiert Matthias Koch.

Vielleicht, orakelte Wladimir Putin Ende Oktober vor internationalen Journalisten, reise er Mitte November zum G20-Gipfel nach Bali. Vielleicht aber auch nicht: „Ich denke noch darüber nach.“ Gastgeber Indonesien hat nun Klarheit geschaffen: Putin bleibt zu Hause.

Über die Gründe für die Absage wird viel spekuliert. Fühlte sich Putin, der Heerscharen von Vorkostern und Leibwächtern beschäftigt, im Trubel eines Gipfels mit 20 Nationen in Bali nicht sicher? Fürchtete er gar, er könne in Moskau im Moment seiner physischen Abwesenheit entmachtet werden? Putins Fernbleiben von G20 ist jedenfalls nicht irgendein Signal. Der russische Präsident hat sich damit soeben für jedermann sichtbar in die weltpolitische Isolierstation verabschiedet. Putins Propagandisten mögen dies alles als unwichtig abtun oder gar als Zeichen für ein grandioses Russland deuten, das es gar nicht nötig hat, zu einem weltweiten Gipfeln den Staatschef zu entsenden.

Putin: Allianz mit Xi Jinping knacken

Tatsächlich aber hat im globalen Spiel der Mächte ein Zug, wie ihn Putin jetzt macht, konkrete Folgen: Der G20-Gipfel wird nun über Putin reden statt mit ihm. Genau darin allerdings liegt weltpolitisch eine Chance. US-Präsident Joe Biden ist bereits fest entschlossen, die Allianz zwischen Putin und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping zumindest teilweise zu knacken: Xi, wirtschaftspolitisch in ungewöhnlichen Schwierigkeiten, könnte hellhörig werden, wenn ihm Biden Handelsvorteile in Aussicht stellt. Für China ist und bleibt die Allianz mit Russland eine zweischneidige Sache.

Einerseits lenkt Putins Krieg den Westen wunderbar ab vom globalen Machtstreben Chinas. Andererseits dürfen die Auswirkungen der Ukraine-Krise ein gewisses Maß nicht übersteigen – denn alles, was in Richtung einer weltweiten Rezession führt, ist schlecht fürs Geschäft, auch in China. Dieser zweite Aspekt scheint in Peking zunehmendes Gewicht zu bekommen. Ein Satz des chinesischen Regierungschefs Li Keqiang, geäußert vor einer Woche in Peking nach Gesprächen mit Bundeskanzler Olaf Scholz, hallt nach: „Wir können uns keine weitere Eskalation leisten.“ Was spricht dagegen, aus diesem Grundgedanken einen G20-Konsens zu zimmern, den am Ende alle Anwesenden unterschreiben?

China und Indien sprechen jeweils für mehr als eine Milliarde Menschen. USA, EU und die demokratischen Staaten des Pazifiks bringen eine ähnliche Zahl auf die Waage – und die größte Wirtschaftskraft. Schon ein begrenztes handelspolitisches Zusammenwirken dieser drei Blöcke könnte ausreichen, Russland auf einen neuen Kurs zu bugsieren. Voraussetzung ist, dass die Welt vorstößt zu einer ebenso überfälligen wie simplen Erkenntnis: Putin stört.

KStA abonnieren