Inszenierung? Fälschung?So funktioniert Russlands weltweiter Kampf gegen die Wahrheit

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Putin 070422

Wladimir Putin bei einem Videomeeting mit dem russischen Sicherheitsrat 

Moskau – In dieser Woche hat Russland den größten Fehler seit Kriegsbeginn begangen. Die offizielle Festlegung darauf, dass es die Gräueltaten von Butscha in Wirklichkeit gar nicht gab, wird dem Land noch zu schaffen machen: im Verhältnis zum Westen, innenpolitisch, aber auch weltweit.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow nannte die Bilder eine „inszenierte antirussische Provokation“. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sah „Anzeichen von Videofälschungen“. Dmitri Medwedew, Staatspräsident von 2008 bis 2012, jetzt ein führender Mann in Moskaus Sicherheitsrat, sagte: „Das sind Fälschungen. Sie wurden für Unsummen von Geld ausgeheckt.“

Was bildet sich Russland eigentlich ein?

Im eigenen Land mögen Wladimir Putins Leute ja Übung darin haben, jede Frage von Lüge oder Wahrheit per Machtwort zu entscheiden, wie im Wahrheitsministerium von George Orwell. Der Rest der Welt ist aber noch nicht so weit. Von Fälschungen zu reden ist der erste Reflex jedes Täters im Zeitalter von Deep Fakes: Kann man nicht heutzutage alle digitalen Dokumente manipulieren? In der Ukraine aber geht es jetzt um weit mehr als ein paar Videos oder Fotos. Die Staatsanwaltschaft blickt auf erdrückende und bedrückende physische Beweise, massenhaft.

Hunderte Leichen werden derzeit gerichtsmedizinisch untersucht, im Beisein internationaler Spezialisten. Täglich werden weitere Tote gefunden: in der Kanalisation, in Gräben, in Brunnen. Wer fesselte, misshandelte, verstümmelte sie? Wer schichtete die Leichen nackter Frauen übereinander, um sie auf Autoreifen zu verbrennen? Interviews mit Überlebenden laufen, immer dichter werden die Dokumentationen, mit vielen Gigabytes für jeden einzelnen Fall. Der Bundesnachrichtendienst kann, wie man inzwischen weiß, sogar noch die abgefangene Kommunikation russischer Soldaten hinzufügen: Putins Truppen haben hier und da die Tötung wehrloser Zivilisten auch per Funk besprochen.

Putins Leute entlarven sich selbst

Inszenierung? Fälschung? So redet die auf frischer Tat ertappte kriminelle Supermacht. Putins Leute entlarven sich selbst: als widerwärtige Lügenbande, mit der sich eigentlich niemand mehr zu Gesprächen zusammensetzen will. Das hat Folgen, nicht nur in der EU und in den USA. Indien, bislang auf neutralem Kurs, äußert sich entsetzt. Die Türkei ermahnt Moskau. Japan verweist russische Diplomaten des Landes. Die Vereinten Nationen schlossen diese Woche Russland mit Zweidrittelmehrheit aus dem UN-Menschenrechtsrat aus. Damit fällt ein Blick auf China. Will Staatspräsident Xi Jinping darin fortwahren, Russlands Verbrechen mit einem bloßen Achselzucken zu begleiten?

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Schon seit Kriegsbeginn leitet Chinas Staatsfernsehen immer wieder die Propagandalügen Putins weiter an sein Milliardenpublikum. Mal verbreitete Peking, die Ukraine habe in dutzenden Biowaffen-Labors Viren gezüchtet, die sich speziell gegen Russen wenden. Mal meldeten Chinas Staatsmedien auch, Wolodymyr Selenskyi habe längst sein Land verlassen. Nichts davon stimmte.

Weltweite Allianz zur Verteidigung der Wahrheit

Xi muss aufpassen. Die freien Staaten der Erde könnten auf die Idee kommen, dass ein Regime, das freie Medien ausschließt und objektiv begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, eine Gefahr darstellt - die man bereits mit Handelsbeschränkungen ahnden sollte, bevor der außer Rand und Band geratene Staat einen Krieg beginnt.

Als sich diese Woche die 30 Nato-Außenminister trafen, diskutierten auch vier in Brüssel gern gesehene Gäste aus dem Pazifik mit: die Kollegen aus Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland. Gerade formiert sich, notgedrungen, so etwas wie eine weltweite Allianz zur Verteidigung der Wahrheit. Für Diktatoren aller Couleur ist das keine gute Nachricht. (rnd)

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