Krieg, Corona, Partei-StreitKann die Ampel-Regierung an den Krisen zerbrechen?

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Lindner Habeck Scholz 0906

Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz harmonieren nicht immer miteinander. 

  • Kurz nach der Bundestagswahl zeigten sich SPD, Grüne und FDP ungewohnt vertraut miteinander.
  • Nun, nach sechs Monaten Regierungskoalition, ist der erste Lack ab und es gibt zunehmend Unstimmigkeiten.
  • Kommt es bald zu dem großen Knall? Eine Analyse.

Berlin – Es ist ein wenig wie bei einer Geburtstagsfeier im Familienkreis, bei der ein Jüngerer am Tisch aufsteht, um salbungsvolle Worte über einen Älteren zu sagen – auch wenn sie natürlich ohnehin schon alle stehen bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP. „Wir haben während der Verhandlungen Olaf Scholz neu kennenglernt“, sagt Christian Lindner. Der FDP-Chef spricht von einer „starken Führungspersönlichkeit“, er lobt Erfahrung und Professionalität von Scholz. Lindner dreht sich zu Scholz und attestiert ihm „ein inneres Geländer“, um aus einer klaren Werthaltung heraus das Land nach vorn zu führen. Scholz öffnet kurz den Mund, als wäre er nicht sicher, ob er jetzt etwas sagen soll. Dann lässt er das Lob einfach stehen.

Es ist sechs Monate her, dass Lindner bei diesem Auftritt sagte, SPD, Grüne und FDP würden einander in dieser im Bund vollkommen neuen Ampelkoalition nicht begrenzen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Es wirkt wie eine Szene aus einer anderen Zeit.

Lindner knöpft sich einen Kabinettskollegen vor

Jetzt, in dieser Juniwoche, will Lindner Grenzen aufzeigen. Er wirkt gereizt beim Pressestatement. „Ich kann nur vor Populismus an dieser Stelle warnen“, sagt er zum Vorschlag aus den Reihen von SPD und Grünen eine Übergewinnsteuer auf Extraprofite von Mineralölkonzernen durch den Ukraine-Krieg einzuführen. Seine Sorge sei, dass es durch eine „willkürliche Steuererhöhung“ für eine einzelne Branche in Deutschland noch teurer werde. Der Finanzminister argumentiert mehrfach mit geballter Faust.

Dann knöpft Lindner sich einen Kabinettskollegen vor. „Ich kann nicht verstehen, dass man angesichts von steigenden Lebensmittelpreisen jetzt politisch noch höhere Preise will“, sagt er, nach den Plänen von Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) für ein Tierwohllabel gefragt – und der Debatte darüber, wie die Landwirte unterstützt werden sollen. „Der Kollege Cem Özdemir ist von mir herzlich gebeten, alles zu unternehmen, um Nahrungsmittel in Deutschland bezahlbar zu halten.“ Lindner klingt jetzt wie einer, der nach einem Streit gleich die Familienfeier verlassen möchte.

Der erste Lack in der Ampel ist ab

Fortschrittskoalition – diesen Namen haben SPD, Grüne und FDP ihrem Ampelbündnis gegeben. Mittlerweile ist vor allem die Stimmung fortschreitend genervt. Mit Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) musste bereits die erste Ministerin zurücktreten. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist erkennbar holprig in ihr Amt gestartet. Von anderen Ministerinnen und Ministern wie Bauministerin Klara Geywitz (SPD) oder Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hört man wenig – oder manchmal auch Irritierendes. Der erste Lack in der Ampel ist ab.

In den Koalitionsverhandlungen waren die Parteien ungewöhnlich verschwiegen und loyal. Spätestens seit den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen versuchen die Parteien auch im Bund viel, um sich gegeneinander zu profilieren. Es gilt das alte Sandkastenmotto: „Machst du mein Förmchen kaputt, mach ich dein Förmchen kaputt.“ Wie ist es dazu gekommen?

Droht bald der große Knall?

Grob gesagt gibt es zwei Arten, wie eine mit Elan gestartete Koalition in die Bredouille geraten kann. Erstens, wenn sie das absehbare nicht gut geplant hat. Und zweitens, wenn sie Probleme hat, einen gemeinsamen Kurs zu finden, wie sie auf das reagiert, was nicht absehbar war.

Dass die Corona-Pandemie sie noch eine ganze Zeit beschäftigen würde, hätten SPD, Grüne und FDP wissen müssen. Dennoch ließen sich auch Sozialdemokraten und Grüne auf eine sehr optimistische Linie ein. Sonst hätten sie die FDP vermutlich auch nicht für das Bündnis gewonnen. Die FDP hat der Koalition beim Infektionsschutzgesetz ihren Stempel aufgedrückt und in hohem Maß Lockerungen durchgesetzt. Profitieren konnte sie davon ihn Wahlen bislang nicht.

Im Herbst könnte eine neue Welle drohen – und schon jetzt wird darüber gestritten, wie dann die Möglichkeiten des Staates zu Einschränkungen aussehen sollen. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen rief die FDP auf, sich in der Corona-Politik zu bewegen – und adressierte dies sehr persönlich an den Parteichef. „Christian Lindner und die FDP dürfen nicht wieder bremsen, wenn es um den Schutz vor Corona im Herbst geht“, sagte sie. FDP-Vize Wolfgang Kubicki konterte und warf Göring-Eckardt eine „angstbasierte Politik“ vor. Künftiges Konfliktpotenzial: enorm.

Scholz‘ unerwartetes Manöver

Auf das Unerwartete, den Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Ukraine, reagierte die Ampelkoalition zunächst kraftvoller, als viele es gedacht hätten. In seiner Rede bei der Sondersitzung des Bundestags Ende Februar sprach Olaf Scholz nicht nur über die Zeitenwende. Er kündigte auch Waffenlieferungen und ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro an.

Es war ein politisches Manöver, mit dem Scholz in den eigenen Reihen viele überraschte. Und das ohne sehr enge Abstimmung mit Finanzminister Christian Lindner nie möglich gewesen wäre. Hier zeigte sich, dass die Achse Olaf Scholz/Christian Lindner, die sich bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags andeutete, funktionieren kann. Sein Plan, als Finanzminister genauso wichtig zu sein wie Vize-Kanzler Robert Habeck von den Grünen, ist aufgegangen.

Kommunikation und Irritation Es gab in der Folge Kritik seitens der Ukraine, aber auch aus den Reihen der Koalition, es gehe in der Frage der Waffenlieferungen nicht schnell genug voran. Aber jenseits der Irritation über die oft als verdruckst empfundenen Kommunikation von Scholz blieb die Koalition hier einigermaßen zusammen.

Während es an der FDP-Basis Unmut über die Sozialdemokraten und Scholz gibt, verteidigte Lindner den Kanzler auf dem FDP-Parteitag. Der Finanzminister war in Washington in Quarantäne, weil er bei seiner Reise dorthin positiv auf Corona getestet worden war. Er musste also per Livestream zu den Delegierten in Berlin sprechen. Der Ton wackelte gelegentlich, das Bild fror schon mal ein. Doch die Botschaft war klar: Lindner sprach erneut von Scholz‘ „innerem Geländer“, auf das man sich verlassen könne.

Die große Finanzfrage

Gefährlich für die Ampel-Koalition sind vor allem die finanz- und wirtschaftspolitischen Folgen des Krieges. Nach Corona muss der Staat hier finanzpolitisch noch einmal in die Vollen gehen. Bei SPD und Grünen, bei denen das Sondervermögen für die Bundeswehr zumindest an den linken Parteiflügeln für einige eine Überwindung bedeutet hat, wächst die Angst, dass am Ende das Geld für die großen sozialpolitischen Projekte fehlt: ein Bürgergeld, das nicht nur anders heißt als Hartz IV, sondern auch eine bessere Absicherung bedeutet, und eine Kindergrundsicherung. Das könnte gerade auf dem linken Flügel der SPD die Fliehkräfte verstärken.

Jeder der Koalitionspartner in der Ampel muss etwas anderes als das, was er ursprünglich vorhatte. Die SPD, die sich lange gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato gestemmt hat, muss die Bundeswehr aufrüsten. Klimaminister Habeck buhlt in Katar um Gas für Deutschland. Der Grünen-Politiker verkauft die Notwendigkeit, etwas anderes tun zu müssen, als geplant, kommunikativ so brillant, dass es Kanzler Olaf Scholz neidisch machen müsste. Wenn Scholz nicht die Erfahrung hätte, dass er vor seinem Wahlsieg Monate im scheinbar aussichtslosen Umfragetief steckte.

Reformen ohne Preisschild

FDP-Chef Lindner muss als Finanzminister kräftig Schulden machen – auch wenn er sie Vermögen nennt. Bei SPD und Grünen wiederum meinen viele, er müsse sich mehr bewegen: Lindner müsse angesichts der Finanznot in der Krise die besonders Reichen stärker belasten. Da will Lindner aber auf keinen Fall mitmachen. Auch die Schuldenbremse will er im kommenden Jahr wieder einhalten. Beim Entwurf für den Haushalt dürfte ihm zunächst helfen, dass die Inflation zu Beginn auch zusätzliches Steuergeld in die Staatskasse bringt. Das Bürgergeld wie auch die Kindergrundsicherung sind Reformen, für die es im Koalitionsvertrag kein Preisschild gibt. Über jeden Euro muss verhandelt werden. Das lastet von nun an auf der Koalition.

Es gibt also einiges an Sprengpotenzial – aber auch Faktoren der Stabilisierung. Während die Grünen sich an ihren guten Umfragewerten erfreuen können, ist die SPD in der Pflicht, den Kanzler zu stützen. Die FDP hat, wie die Sozialdemokraten, in den letzten beiden Landtagswahlen schwere Niederlagen erlitten. Nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen sprachen Spitzengrüne über die FDP bereits mitleidig wie über einen versetzungsgefährdeten Mitschüler. „Es ist für die FDP ungemein schwierig“, sagten sie in der Bundestagsfraktion. Das erhöhe die Reibung.

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Für die FDP könnte paradoxer Weise gerade der Misserfolg ein Grund sein, die Koalition nicht infrage zu stellen. Denn im Fall eines Scheiterns der Ampel könnte die Neuwahl und Schwarz-Grün drohen. Und der Fall in die Bedeutungslosigkeit für die FDP.

Ein Haltepunkt kann aber tatsächlich auch der enge Draht von Scholz und Lindner sein. Der Kanzler sagte bei der Haushaltsdebatte im Bundestag: „Bei allem, was wir heute und auch künftig tun, ist eins klar: Kreditfinanzierte Dauersubventionen sind keine Lösung, zumal wir nächstes Jahr die verfassungsmäßig vorgeschriebene Schuldenbremse wieder beachten werden.“

Es war, wie bei einer Feier in der Familie oder unter Freunden, das Signal an Christian Lindner: Du wirst verstanden.

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