Kommentar zu Lionel MessiNoch ein Sieg bis zur Ewigkeit

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
Lionel Messi hat Argentiniens zweifachen Torschützen Julián Álvarez im Arm; Messi war der überragende Spieler beim 3:0 im WM-Halbfinale über Kroatien, hier feiert er das 2:0.

Der Meister und sein Werkzeug: Julián Álvarez erzielte am Dienstag zwei Tore, Messi war jeweils beteiligt.

Lionel Messi zeigte beim 3:0 über Kroatien im WM-Halbfinale das Spiel seines Lebens – und ist dennoch nicht am Ziel seiner Träume. 

Lionel Messi brauchte keine großen Worte nach Argentiniens 3:0 über Kroatien. Einmal mehr hatte er Taten sprechen lassen und seiner Mannschaft mit dem Elfmetertor zum 1:0 und einem sagenhaften Dribbling vor dem 3:0 den Weg ins Endspiel geebnet. Auch das 2:0 hatte Messi eingeleitet, alles war Messi an diesem Abend. „Was ich sagen kann, ist, dass ich das sehr genieße“, erklärte Argentiniens Kapitän später und wirkte mit seinem Lächeln, als wolle er sein Umfeld beruhigen.

Es kann nicht leicht sein, als Fußballmessias unter Menschen zu wandeln. Doch Messi nimmt seine Rolle an. „Alles schön und gut. Das Wichtigste aber ist, dass wir als Mannschaft unser Ziel erreichen, welches das Schönste von allen ist“, befand er. Messi weiß, dass es nicht genug ist. Der Titel muss her, um diese Geschichte zu Ende zu erzählen, die vor allem die seine ist.

Messis Elfmetertreffer beseitigt alle Zweifel seiner Mannschaft

Kroatien dominierte zu Beginn Mittelfeld und Ballbesitz. Messi griff sich in dieser Phase mehrfach an den Oberschenkel, und man fragte sich, was wohl in den Köpfen seiner Mitspieler vor sich ging. Doch bevor Zweifel einsickern konnten, kam das 1:0 durch Messis Elfmeter. Die Führung gab Argentinien Zuversicht und Richtung. Kroatiens Spiel kollabierte.

Hätte ihr Ansatz länger funktioniert – vielleicht hätten sie eine Chance gehabt gegen eine argentinische Mannschaft, die seit der Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien im K.-o.-Modus spielt und ihr seit Jahren bewährtes Spiel zeigt: solidarisches Verteidigen, maximale Disziplin, totaler Einsatz. „Wir wissen in jedem Moment, was wir zu tun haben“, beschreibt Messi. Trainer Scaloni weinte, als er seinen Superstar nach dem Schlusspfiff in die Arme schloss. Und Messi lächelte sein stilles Lächeln, als wolle er sagen: Weine nicht. Alles ist gut.

Julian Alvarez feiert mit seinem Kapitän Lionel Messi Argentiniens Treffer zum 2:0 beim 3:0 Sieg im WM-Halbfinale über Kroatien.

Lionel Messi freut sich mit dem jungen Stürmer Julian Alvarez über Argentiniens 2:0.

Messi hat sein Spiel darauf angepasst, dass er nun in einem 35 Jahre alten Körper unterwegs ist. Er nimmt mehr Einfluss aus der Tiefe als früher, leitet ein, bereitet vor. Noch immer trifft er zuverlässig, doch seine aberwitzigen Torquoten früherer Jahre sind Geschichte. Er ist etwas anderes jetzt, während Cristiano Ronaldo mit zunehmender Verzweiflung versucht, der Cristiano Ronaldo zu bleiben, der er immer war: ein Torjäger mit herausragender Physis. Das ist unmöglich. Messi dagegen hat sich neu erfunden und ist der aktuellen argentinischen Mannschaft mit ihren speziellen Talenten und Qualitäten der perfekte Dirigent. Alles passt zusammen.

Die Argentinier wissen das, und sie vollziehen ihren Plan voller Stolz. Doch vor allem eint sie der Glaube an Lionel Messi. Ihre Tore in der 34. und 39. Minute am Dienstag schienen aus dem Nichts zu kommen. Doch wenn eine Mannschaft immer wieder gegen den scheinbaren Trend eines Spiels in Führung geht, kann daran nichts Zufälliges sein. Seine Kollegen helfen Messi dabei, ihnen den Titel zu bescheren. Es ist die perfekte Symbiose. „Messi wird uns die WM bringen“, so singen es Argentiniens Fans seit Ewigkeiten, als richteten sie Bittgebete an eine höhere Macht. Die Grenzen verschwimmen traditionell in Argentinien. Es gibt Menschen dort, die feiern Weihnachten am 30. Oktober, an Diego Maradonas Geburtstag. Es wird abzuwarten sein, wie Argentinien im Fall des Titelgewinns künftig den 24. Juni begehen wird.

Es ist ausgeschlossen, dass Messi die Last dieser kollektiven Hoffnung nicht spürt. Doch auf dem Platz befreit er sich davon wie von seinen Gegenspielern. Am Dienstagabend sah sein Spiel aus, als folge er nur noch seiner Intuition. Er schwebte, frei von Angst und Zweifeln.

Bei Argentiniens letztem WM-Triumph vor 36 Jahren in Mexiko war es Diego Maradona, der seine Mannschaft beinahe allein trug. Vor dem Finale hatte Maradona fünf Tore und vier Vorlagen gesammelt, Messi steht jetzt bei fünf und drei.

Doch noch immer liegt ein Sieg zwischen ihm und der Ewigkeit. Angesichts eines Weltmeisters Lionel Messi würde sich der Fußball einer neuen Debatte ausgesetzt sehen. Auf die Frage, ob nun Pelé der Größte aller Zeiten sei oder Maradona, gäbe es eine neue Antwort: Messi.

KStA abonnieren