DFB-CoachJulian Nagelsmann kontert Bayern-Boss Eberl – „Da sitzt kein Stachel“

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Bundestrainer Julian Nagelsmann vor einem Spiel.

Bundestrainer Julian Nagelsmann bleibt dem DFB bis mindestens nach der WM 2026 erhalten.

Julian Nagelsmann hat seinen Vertrag beim DFB verlängert. So reagierte der Bundestrainer auf die Kommentare von Bayern-Boss Max Eberl.

Bundestrainer Julian Nagelsmann stand rund sieben Wochen vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland Frage und Antwort bei MagentaTV. In einem rund einstündigen Interview mit Moderator Johannes B. Kerner gab Nagelsmann tiefe Einblicke in seine EM-Kaderplanung und wagte einen Blick über das sportliche Geschehen hinaus. Auch die langwierigen Gerüchte über eine Rückkehr Nagelsmanns zum FC Bayern München ließ der 36-Jährige nicht unkommentiert.

Bei seiner Entscheidung für eine Vertragsverlängerung als Bundestrainer und gegen ein zweites Engagement beim FC Bayern hat Nagelsmann sich nach eigener Aussage nicht von Ressentiments gegen den Rekordmeister leiten lassen. „Ich habe gestern meinen Körper abgetastet, da sitzt kein Stachel“, sagte der DFB-Coach im am Donnerstag veröffentlichten Interview.

Julian Nagelsmann: Entscheidung für DFB war wohlüberlegt

Nagelsmann spielte mit dieser humorvollen Aussage auf Bayern-Sportvorstand Max Eberl an. Dieser hatte die Absage Nagelsmanns für ein Comeback in München auch mit den Erfahrungen der Trennung im März 2023 erklärt. „Und irgendwann hast du halt gemerkt, okay, der Stachel von damals sitzt noch tief. Die Trennung ist noch sehr frisch“, sagte Eberl am vorigen Samstag bei Sky.

Diesem Eindruck wollte Nagelsmann in dem Telekom-Format „BestBesetzung“ widersprechen.  „Es ist in den meisten Fällen normal, dass derjenige, der entlassen wird, sich eine andere Art wünscht als diejenigen, die einen entlassen. Das ist wahrscheinlich bei einem Spieler, wenn ich ihn nicht nominiere, ähnlich. Demnach sitzt da kein Stachel tief“, sagte Nagelsmann.

Die Entscheidung für den DFB sei wohlüberlegt gewesen. „Ich handhabe es so, wie auch bei allen Spieler-Nominierungen, wenn ich die erste Elf auswähle und überlege, wer für das Spiel der richtige Spieler ist, wie ist die richtige Zusammensetzung – dann entscheide ich mich immer für einen Spieler und nicht gegen einen Spieler. Und so ist es jetzt auch. Ich habe mich bewusst für den DFB entschieden“, sagte der Bundestrainer. Neben der Heim-EM sei auch die Perspektive, die Fußball-Nationalmannschaft zur WM 2026 nach Amerika zu führen, ein großer Reiz.

Bayern München: Spätere Rückkehr von Julian Nagelsmann nicht ausgeschlossen

Nagelsmann hatte in der Vorwoche seinen im Sommer auslaufenden Vertrag bis zur WM 2026 verlängert. Der Entscheidung waren wochenlange Diskussionen vorausgegangen. Nagelsmann selbst hatte das Thema mit Aussagen vor den März-Länderspielen in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) ins Rollen gebracht.

Eine Rückkehr zum FC Bayern zu einem späteren Zeitpunkt schloss Nagelsmann ausdrücklich nicht aus. Sein Lebensglück hänge aber nicht von der Arbeit bei bestimmten Vereinen ab. „Ich hatte nicht nur Bayern München und den DFB – es waren noch ein paar andere Clubs da. Ich habe auch die Pflicht, alles abzuwägen. Ich hatte beim DFB immer ein gutes Gefühl und das war immer einer meiner Favoriten“, sagte der 36-Jährige, der die DFB-Auswahl als jüngster Bundestrainer bei einem Turnier betreuen wird.

Rein ökonomisch hätte die Entscheidung anders ausfallen müssen, wie Nagelsmann erklärte. „Jeder kann sich vorstellen, dass man im Verein mehr verdienen kann. Aber das ist nicht meine Triebfeder. Natürlich sind finanzielle Dinge auch wichtig, weil ich auch eine Verantwortung habe, für meine Familie, für mich selbst, für mein Leben. Aber wenn das meine Haupttriebfeder wäre, wäre ich wahrscheinlich eher beim Verein gelandet“, sagte er.

Aleksandar Pavloviv dürfte von Nagelsmann-Verlängerung profitieren

Die Verlängerung von Nagelsmann könnte besonders für Aleksandar Pavlovic einen positiven Effekt schon in diesem Sommer haben. Die Chancen des Jungstars von Bayern München auf ein Debüt in der Nationalmannschaft bei der Heim-EM sind jedenfalls durch die Unterschrift des DFB-Chefcoaches in der vergangenen Woche offenkundig gestiegen.

„Klar ist er gerade jetzt durch die Verlängerung von mir natürlich ein Spieler, der noch mehr in den Fokus rückt, weil wir Richtung WM eine gewisse Perspektive bauen wollen und eine Mannschaft bauen wollen, die auch in der Lage ist, eine gute WM zu spielen“, verriet Nagelsmann.

WM 2026: Julian Nagelsmann plant langfristig

Der Bundestrainer hatte den 19-Jährigen bereits überraschend für die Länderspiele im März nach nur wenigen Profi-Einsätzen für den FC Bayern erstmals für die A-Auswahl nominiert. Pavlovic musste dann aber wegen eines Infekts für die Partien in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) absagen.

Da Nagelsmann nun aber nicht nur die EM in wenigen Wochen, sondern auch das kommende Großereignis in gut zwei Jahren in den USA, Kanada und Mexiko im Blick hat, steigen die Chancen junger Akteure wie Pavlovic, in diesem Sommer wichtige Turnier-Erfahrungen sammeln zu dürfen. „Demnach ist er auch ein Kandidat, der vielleicht auf den EM-Zug noch aufspringen kann“, sagte Nagelsmann.

Leon Goretzka und Mats Hummels haben Außenseiterchancen

Verdienten Altstars wie Leon Goretzka und Mats Hummels machte er hingegen wenig Hoffnungen auf eine EM-Teilnahme. „Ich habe immer gesagt, es ist keine Tür zu, aber generell ist es die Kunst als Trainer, mit Hinblick auf das Turnier eine Mannschaft zu finden, wo jeder Spieler 100 Prozent zur jeweiligen Rolle passt“, kommentierte der 36-Jährige.

Nagelsmann hatte zuletzt unter anderem auf die beiden vermeintlichen Stammkräfte verzichtet. Stattdessen nominierte er mehrere DFB-Neulinge. Im defensiven Mittelfeld beförderte er Leverkusens Robert Andrich zum Nebenmann von Rückkehrer Toni Kroos auf der Goretzka-Position.

Goretzka und Hummels seien „keine schlechten Charaktere“, versicherte Nagelsmann. „Mats spielt eine sehr gute Saison und er ist auch ein sehr guter Innenverteidiger“, lobte der Bundestrainer den BVB-Verteidiger, den er selbst im Oktober gerade für ein erneutes Comeback in die Nationalmannschaft zurückgeholt hatte. Hummels und Gortezka hatten zuletzt für Dortmund und den FC Bayern sehr gute Leistungen gezeigt.

EURO 2024: Julian Nagelsmann gibt Kader im Mai bekannt

Er habe als Trainer die Aufgabe, für die Rolle, die er vorsehe, die passenden Spieler zu finden, sagte Nagelsmann. „Diese Entscheidung muss ich treffen.“ Nach den verpatzten Länderspielen im November gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (2:0) hatte der Bundestrainer einschneidende personelle Maßnahmen vollzogen. Seine EM-Idee sieht eine klare Rollenverteidigung mit Stammkräften und hochmotivierten Herausforderern für jede Postion vor.

Seinen EM-Kader wird Nagelsmann Mitte Mai - wohl kurz vor dem letzten Bundesliga-Spieltag benennen. Vermutlich wird das Aufgebot wie bei den vergangenen Turnieren bis zu 26 Spieler umfassen können. Eine UEFA-Entscheidung dazu steht bevor. Ob er das komplette Kontingent ausschöpft oder auf einen von ihm für eine gute Team- und Trainingssteuerung eigentlich präferierten 23-Mann-Kader setzt, habe er noch nicht entschieden, sagte Nagelsmann.

Bundestrainer fordert offenen Umgang mit Einwanderern

Neben den ausführlichen Einblicken in seine sportlichen Entscheidungen und Gedanken wagte Nagelsmann auch einen Blick über den Fußball hinaus und sprach sich für ein gesellschaftliches Engagement gegen politische Extreme aus. „Ich glaube, dass es richtig ist, dass viele Menschen auf die Straße gehen und demonstrieren gegen rechts. Ich glaube, es ist einfach extrem wichtig, dass alle wählen gehen, dass jeder nicht nur in Kundgebungen seine Meinung äußert, sondern eben auch im Ankreuzen von Stimmzetteln, denn wenn es eine hohe Wahlbeteiligung gibt, wird es immer schwerer, für diese Extremen sich auch durchzusetzen“, analysierte der Bundestrainer im Gespräch mit Kerner.

Der Chefcoach der Nationalmannschaft sprach sich für einen offenen Umgang mit Einwanderern und gegen Ausgrenzung aus. „Jeder, der ins Land kommt, ist dafür verantwortlich, sich zu integrieren in die Gesellschaft, aber auch wir als Gesellschaft sind verantwortlich, die Menschen aufzunehmen, ihnen den Weg in die Gesellschaft zu erleichtern, mit offenen Armen dazustehen“, forderte Nagelsmann.

Julian Nagelsmann berichtet von prägendem Erlebnis in Afrika

Nagelsmann berichtete von einer Reise nach Afrika, wo ihn die Menschen herzlich empfangen hätten. „Das war wunderschön und genau das Gleiche erwarten auch Leute, die zu uns kommen, die dauerhaft bleiben wollen“, sagte er. Die Verantwortung auf die Politik abzuwälzen, sei zu kurz gedacht, mahnte der Fußball-Coach. Jeder sei verantwortlich, seinen Beitrag gegen Extremismus zu leisten. „Ich bin froh, dass es Menschen gibt, die sich dagegen wehren in unserem Land, das ist sehr, sehr wichtig“, sagte Nagelsmann.

Er selbst sei froh, in Deutschland leben zu können und empfinde Stolz, wenn vor den Länderspielen die Nationalhymne erklingt. „Wir leben in einem wunderschönen Land, mit unglaublicher Landschaft, von Nord nach Süd mit unterschiedlichen Bildern, mit tollen Menschen, mit wunderschönen Städten, mit einer hohen Sicherheit. Uns im Land geht es überwiegend sehr, sehr gut“, befand Nagelsmann. Deswegen lasse er sich auch gerne mit der Deutschland-Fahne fotografieren.

Julian Nagelsmann: Tränen bei Nationalhymne erlaubt

Emotionen bei der Hymne sind für ihn ein Ausdruck dieser positiven Haltung zum Heimatland. „Ich bin schon einer der Männergeneration, die auch Weinen zulassen und da darf man schon ein Tränchen verdrücken, wenn die Nationalhymne erklingt“, erklärte Nagelsmann.

Nicht nur als Bundestrainer, sondern auch schon als Fan habe er die Hymne mitgesungen. Das bewahre ihn nun vor einem möglichen Fauxpas an der Seitenlinie. „Gerade das erste Mal war sehr, sehr prägend. Da ist man ein Stück weit nervös, man sagt, den Text kannst du eigentlich, den kennst du schon ganz lange, da kann nichts passieren, das ist schon ganz anderen passiert, dass man einen Texthänger hatte. Ich bin bisher immer gut durchgekommen“, sagte Nagelsmann. (nis mit dpa)

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