Kommentar zur NationalmannschaftDie DFB-Elf braucht einen anderen Trainer, um den freien Fall zu stoppen

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Bundestrainer Hansi Flick testet und testet – und kommt mit der DFB-Elf doch nicht weiter. Im Gegenteil.

Bundestrainer Hansi Flick testet und testet – und kommt mit der DFB-Elf doch nicht weiter. Im Gegenteil.

Die Perspektive der deutschen Elf ist ein Jahr vor der Heim-EM eine trübe, denn keine Maßnahme des Bundestrainers funktioniert. 

Man muss Hansi Flicks Wirken sehr grundsätzlich hinterfragen. Denn angesichts übervoller Kalender und schwindender Gelegenheiten leistet sich kein Trainer im Weltfußball mehr den fragwürdigen Luxus, im Vorlauf großer Turniere jede noch so absurde Formation zu testen. Dass der Bundestrainer am Dienstagabend etwa die Gelegenheit verstreichen ließ, seine potentesten Mittelfeldspieler İlkay Gündoğan und Joshua Kimmich gemeinsam auf dem Platz zu haben, um das bisschen Weltklasse im deutschen Kader zu aktivieren, war ein weiteres Beispiel für Flicks verfehlte Teststrategie. Doch die Liste ist lang. 

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Angesichts der erneut aberwitzig zusammengewürfelten Aufstellungen der vergangenen Tage gelang es Flick immerhin vergleichsweise leicht, die Resultate in den Hintergrund treten zu lassen: Man werde sich nun einmal mehr zur Analyse zurückziehen. Bis zur Europameisterschaft werde man nun dafür sorgen, dass sich eine Mannschaft findet.

DFB-Elf: Es fehlt das, was an eine Mannschaft erinnert

Das ist eine schöne Erzählung. Doch schwindet der Glaube. Nach dem trüben Auftritt in Gelsenkirchen blieb allenfalls die Erkenntnis, dass in den vergangenen Tagen keine Erkenntnisse von Wert gesammelt wurden. Auf die eine dysfunktionale Aufstellung folgte zuverlässig die nächste, und es grenzt schon an ein Wunder, dass es Flick derzeit stets gelingt, die deutschen Spieler jeweils so zu formieren, dass der missglückte Test aus der einen Partie in keinem Kontext zum nächsten Rückschlag steht.

Mit dem Titel „Die Mannschaft“ hat man beim DFB zwar ein nerviges Marketingkonstrukt abgeschafft, was ein Schritt in die richtige Richtung war. Doch hat man auf dem Platz nebenher gleich alles verschwinden lassen, was an eine Mannschaft erinnert. Beliebige Spieler in ständig wechselnden Konstellationen und Formationen auflaufen zu lassen, hat die deutsche Elf an einen Punkt gebracht, an dem Kolumbien wie eine Weltklasse-Mannschaft aussah. Dabei hatte der Gegner, der Deutschland am Dienstag beherrschte und glatt 2:0 besiegte, sogar die WM in Katar verpasst. 

Flick probiert Dinge, die im Leben nicht funktionieren

Flicks Neigung, Dinge zu probieren, die niemals funktionieren, statt pragmatische Lösungen zu finden, erinnert dramatisch an den späten Joachim Löw, dem man ebenfalls viel zu lange abgenommen hatte, dass er schon wisse, was er da tue. Löw hatte die WM gewonnen, Flick mit dem FC Bayern alle Titel in einem Jahr. Das verstellte den Blick auf die Unfähigkeit, eine Mannschaft zu stabilisieren.

Nun gestattet man Flick eine noch dramatischere Phase. Im Vergleich zu den Auftritten bei der WM in Katar befindet sich die deutsche Elf im freien Fall. Und die Folgen werden andere sein: Im vergangenen November warf Flick eine WM weg, die ohnehin niemand wollte. Nun aber geht es um eine Heim-EM. Dieser Verantwortung muss sich Flick bewusst sein. Derzeit erweckt er nicht den Eindruck, dieser Verantwortung gerecht werden zu können. 

Immerhin nahm er nicht Rudi Völlers Vorlage auf, die Qualität der Spieler reiche nicht. Es war ein naheliegender Reflex des Alt-Bundestrainers: Zu sehr hat er Flick gestützt, um ihn nun infrage zu stellen. Grundsätzlich ist es ein richtiger Gedanke: Wenn man die vermutete Qualität nachhaltig nicht zeigen kann, muss man die Qualitätsfrage stellen. Doch erstens wird man bis zur EM keine anderen Spieler herbeizaubern können. Und zweitens standen auch am Dienstag zu viele deutsche Fußballer auf dem Platz, die unter vernünftigen Umständen die Fähigkeiten haben, einen Gegner wie Kolumbien zu beherrschen. Da muss man nur bei İlkay Gündoğan nachhorchen, einem der erfolgreichsten Spieler unserer Zeit.

Vor EM: Wirre Tests und Ausladungen helfen nicht

Dass am Ende ein 0:2 stand, verschärfte den Negativlauf der DFB-Auswahl, die nun von den vergangenen 15 Spielen vier gewonnen hat: gegen den Oman, Costa Rica, Peru und Italiens Ersatztruppe. Einen derartigen Lauf durchbricht man weder mit wirren Tests noch mit der Ankündigung, den einen oder anderen Spieler für die Spiele im Herbst nicht mehr einzuladen.

Das wird nicht genügen, um eine adäquate Gastgebermannschaft für die EM im kommenden Jahr zu formen. Die DFB-Elf braucht nun einen Trainer mit klarem Plan, Gestaltungswillen und Führungsanspruch. Und dem Talent, aus vielen eines zu machen. Hansi Flick hat in den jüngsten drei Partien einmal mehr bewiesen, dass er dieser Mann nicht ist.

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