Tour de FranceJonas Vingegaard gewinnt mit stoischer Dominanz

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Jonas Vingegaard, Top-Fahrer von Jumbo-Visma, hat das zweite Jahr in Folge die Tour de France gewonnen. Hier fährt der Tour-Sieger am Arc de Triomphe in Paris vorbei.

Jonas Vingegaard, Top-Fahrer von Jumbo-Visma, hat das zweite Jahr in Folge die Tour de France gewonnen. Hier fährt der Tour-Sieger am Arc de Triomphe in Paris vorbei.

Das Team von Jumbo-Visma feiert die Titelverteidigung Vingegaards. Der Däne setzte die Teamtaktik stoisch und buchstabengetreu um.

Der Weg nach oben führte am Samstag noch einmal durch das dichte Spalier enthusiastischer Menschen, die diesmal, etwa im Anstieg auf den Petit Ballon, noch ein bisschen mehr aus sich heraus hüpften, als es in den vergangenen Wochen von ihren Kollegen in den Pyrenäen oder Alpen bildlich übermittelt wurde. Denn nun war ihr Fahrer allein im Berg und an der Spitze des Feldes, knapp 25 Kilometer vor dem Ziel: Thibaut Pinot, ein Franzose, dessen Heimat die Vogesen sind, jenes fünfte und letzte Gebirge seines Heimatlandes, das die Tour de France gerade jetzt besetzt hat, am vorletzten Tag ihrer 110. Auflage.

Pinot ist ein Angreifer mit Charisma, immer für ein Drama gut, es passte alles zusammen, denn dies ist seine letzte Frankreich-Rundfahrt, nach dem Ende der Saison wird er seine Karriere beenden, im Alter von 33 Jahren. Das Drama diesmal: Pinot schaffte es doch nicht als Erster ins Ziel, weil die großen Favoriten des Rennens sich noch einmal um den Tagessieg balgen wollten. Er wurde Siebter.

Tour de France: Tadej Pogacar hält Wort und gewinnt die 20. Etappe

Und so wird Pinot von einem hetzenden Fünf-Mann-Zug um Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard eingeholt und stehen gelassen, was später auch dem Tour-Gewinner passieren wird. Denn Pogacar, der sprintstarke Angreifer, fühlt sich wieder gut und besser als bei seinen beiden schwachen Tagen in den Alpen, als er am Dienstag und Mittwoch Vingegaard passieren lassen musste und von dem Dänen innerhalb von 48 Stunden über sieben Minuten Zeitverlust aufgebrummt bekam. Zu viel, um selbst noch um den Tour-Triumph mitkämpfen zu können.

Aber schon am Mittwoch versprach Pogacar, dass er die Etappe am Samstag gewinnen wolle – und nun hielt er tatsächlich Wort. Es war ein kleiner Erfolg für den Slowenen im Wettstreit mit Vingegaard, dem Champion der Tour, der in den Vogesen auf Tagesplatz drei ins Ziel kam, zeitgleich mit Pogacar.

Jonas Vingegaard: Mission vollendet

Und so stand ganz oben im Zielbereich von Le Markstein Fellering wieder der Mann im Gelben Trikot im Mittelpunkt, Jonas Vingegaard aus Hillerslev, einer kleinen Gemeinde auf der Insel Fünen. Den Status als Leuchtturm des Feldes verließ Vingegaard natürlich auch am Sonntag nicht, auf der finalen Etappe der Tour, auf der er den Traditionen des Rennens entsprechend sekttrinkend auf seiner Tour d'Honneur gesichtet wurde.

„Ich bin natürlich sehr, sehr glücklich, die Tour gewonnen zu haben, denn dies war mein größtes Ziel in diesem Jahr. Sehr gerne hätte ich natürlich auch in den Vogesen gewonnen, aber das Hauptziel war natürlich, das Gelbe Trikot zu verteidigen.“ Mission vollendet. Und nächstes Jahr? „Werde ich wahrscheinlich versuchen, die Tour erneut zu gewinnen.“

Doppelsieger Jonas Vingegaard

Vingegaard hat die Tour zum zweiten Mal in Folge erfolgreich bestritten. Dank einer Leistung, die vor allem an seinen besten Tagen, jenem Dienstag und Mittwoch in den Alpen, staunende Augen provozierte, bei allen: Zuschauern, Kommentatoren und Experten. Denn er hatte den ohnehin schon nicht über alle Zweifel erhabenen Pogacar im Zeitfahren um 1:38 Minuten distanziert, was dem Slowenen noch zu Rang zwei reichte hinter Vingegaard, der den Eindruck erweckte, von einem unsichtbaren, frisierten Motor nach vorne gepusht worden zu sein.

Vingegaard selbst hatte schon zuvor ausgedrückt, dass er die Skepsis an seinen Leistungen verstehe. Später betonte er, dass er nichts einnehme, was er nicht auch seiner zweijährigen Tochter Frida in den Brei mischen würde. Immerhin war dies eine Stellungnahme zum Thema Doping, doch beendet sie die Zweifel an einer Fahrt über alle im Weg stehenden Berge ohne jede Schwäche? Große Doper wie etwa die Sprinterin Marion Jones oder der aus den Siegerlisten getilgte einstige Radprofi Lance Armstrong dementierten ebenfalls offensiv und passierten zudem hunderte Tests mit negativem Ausgang.

Vingegaard schloss sich im Alter von 20 Jahren einer dänischen Mannschaft aus der zweiten Kategorie an, arbeitete nebenher noch in einer Fischfabrik in Nordjylland und wurde drei Jahre später von Jumbo-Visma entdeckt und verpflichtet, der derzeit besten Mannschaft der Welt. Das war 2019. Zwei Jahre später beendete er die Tour als Zweiter hinter Pogacar, 2022 gewann er sie erstmals dank seiner herausragenden Kletterkapazität in den hohen Bergen, wie diesmal vor Pogacar.

Ausblick auf die Tour de France 2024

2023 reiste Vingegaard mit der erstaunlichen Summe von zehn Siegen zur Tour, so viel schaffen gemeinhin Sprinter in der ersten Jahreshälfte. Pogacar, der sich auch bei den Eintagesklassikern zeigt (und sie, wie etwa die Flandern-Rundfahrt auch gewinnt), kam vor dem Start der Tour vor drei Wochen im Baskenland sogar auf 14 Erfolge.

Sein vorgegebenes Pensum und die erdachte Taktik seines Teams setzt Vingegaard stoisch und buchstabengetreu um. Gelöst und entspannt gibt er sich im Gegensatz zu dem deutlich aufgeschlosseneren Pogacar meist erst hinter der Zielline, wenn ihn seine Frau Trine mit Frida auf dem Arm in Empfang nimmt. Das erweckt den Anschein, als wolle Vingegaard, inzwischen ein Weltstar des Radsports, vor allem in seiner Blase bleiben, bei seiner richtigen und seiner Team-Familie.

Derzeit sieht es so aus, als könne der Radsport nicht nur auf das Duell zwischen Vingegaard und Pogacar zählen. Denn im kommenden Jahr will auch der belgische Weltmeister Remco Evenepoel, 23 Jahre jung, Jagd auf das Gelbe Trikot machen. Und in Spanien wächst der nächste Topmann schon heran, Juan Ayuso, gerade einmal 20, Teil von Pogacars UAE-Emirates-Équipe, ein überragender Kletterer und Zeitfahrer mit bereits vier Karrieresiegen. Thibaut Pinot, der Tour-Dritte von 2014 hingegen wird die Kämpfe der neuen Generation nicht mehr auf dem Rad erleben. Immerhin durfte er sich am Samstag adäquat verabschieden. Im Ziel sagte er: „Das wird vielleicht die schönste Etappe meines Lebens bleiben.“

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