Tour de FranceEin Rennen mit vier Musketieren

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Duell um den Tour-Sieg: Jonas Vingegaard (rechts) gegen Tadej Pogacar. Die beiden Kontrahenten sprinten auf der Zielgerade um den Tagessieg.

Duell um den Tour-Sieg: Jonas Vingegaard (rechts) gegen Tadej Pogacar.

Die Tour de France 2024 bekommt eine ganze besondere Attraktion: Die vier besten Radprofis der Szene kämpfen um das Gelbe Trikot.

 In gut einer Woche, am 25. Oktober, hebt sich der Vorhang, der den Blick frei legt auf die Strecke der Tour de France im kommenden Sommer. Ein paar Details sind schon bekannt, das Rennen beginnt am 29. Juni 2024 in Italien, konkret in Florenz und erreicht Frankreich erst nach ein paar Tagen. Es endet am 21. Juli erstmals seit seiner Gründung im Jahre 1903 in Nizza und nicht in Paris.

Die Vorbereitungen auf die Olympischen Sommerspiele vertreiben sogar das größte Radrennen der Welt aus der Innenstadt. Doch nicht nur deshalb dürfte das Sommerspektakel im Rahmen seiner 111. Auflage ein besonderes werden. Es liegt auch an der Besetzung für die Hauptrollen, denn die verteilen sich gleich auf vier Topstars der Radsport-Szene. Auch das ist sehr ungewöhnlich.

Primoz Roglic (rechts) gewinnt bei der Spanien-Rundfahrt im September eine Etappe vor Remco Evenepoel.

Primoz Roglic (rechts) gewinnt bei der Spanien-Rundfahrt im September eine Etappe vor Remco Evenepoel.

Im Vordergrund dürfte auch im Juli 2024 das Aufeinandertreffen des Dänen Jonas Vingegaard, Tour-Sieger von 2022 und 2023, mit Tadej Pogacar stehen, dem juvenilen Champion von 2020 und 2021. Seit 2021 duellieren sich die beiden auf Frankreichs Landstraßen, sie gelten als prädestiniert für lange Etappen-Rennen und dürften ihren Sport grundsätzlich noch lange prägen, Vingegaard ist 26 Jahre jung, Pogacar ist gerade 25 geworden.

Doch auch ein älterer Anwärter ist wieder mitten im Rennen, Primoz Roglic, noch 33, zuletzt eher als Helfer von Vingegaard in dessen ausgezeichnet besetztem Jumbo-Visma-Team eingeplant. Oder als ein Fahrer, der Vingegaard im Falle von eigenen Ambitionen aus dem Weg geht. Den Giro d'Italia im Mai 2023 etwa bestritt Roglic als Kapitän ohne Vingegaard – und gewann das Rennen. Nach seinem Wechsel zu Bora-hansgrohe wird Roglic 2024 nun als Chef der deutschen Auswahl wieder mit um den Tour-Sieg fahren. „Das ist ein ambitioniertes Ziel, aber ums Podium wollen wir schon fahren“, sagt dazu Ralph Denk, Roglics neuer Teamchef.

Evenepoel musste den Giro verlassen

Wobei Roglic bei seinem Sieg in Italien auch von dem im Giro-Peloton grassierenden Corona-Virus profitierte. Das veranlasste den damit infizierten damaligen Weltmeister Remco Evenepoel, Belgiens große Hoffnung, zum Rückzug im Rosa Trikot. Evenepoel, gerade mal 23, präsentierte sich in Italien in den Bergen und im Zeitfahren in herausragender Verfassung, doch er spürte Symptome und war zum Aufgeben gezwungen. Die Szene grummelte daraufhin, ob der hochbegabte Evenepoel sein Tour-Debüt vielleicht auf 2023 vorverlegen wolle.

Doch davon sah er letztlich ab und hielt sich an den mit Patrick Lefevere, seinem Teamchef bei Soudal-Quick Step, vereinbarten Karriereplan, der vorsah, dass Evenepoel erst 2024 bei der Tour debütiert. Dazu wird es in Florenz kommen, so dass Tour-Direktor Christian Prudhomme also ein Rennen mit vier Musketieren auf der Jagd nach dem Gelben Trikot präsentieren kann. Dem Radsport wird die neue Konkurrenzsituation guttun, denn die Szene blickt auf ein Jahr zurück, das Jumbo-Visma mit erdrückender Dominanz dominiert hat, vor allem bei den dreiwöchigen Rundfahrten, den Grand Tours.

Roglic gewann den Giro, Vingegaard die Tour und der Edelhelfer der beiden, Sepp Kuss aus den USA, wurde von der Teamleitung zum Erfolg bei der Spanien-Rundfahrt, der Vuelta, gepusht. Vor Vingegaard und Roglic. Eine derartige Dominanz schadet dem Geschäft, das auf Abwechslung fixiert ist, auf Spannung und Unvorhersehbarkeit. Lange sah es sogar so aus, als würden sich die Teams von Roglic und Vingegaard mit dem von Evenepoel vereinen, doch diese Fusion zweier herausragender, mit vielen Siegfahrern besetzen Mannschaften ist abgewendet. Und damit auch noch mehr Langeweile im Kampf um die ganz großen Siege.

Zur Verdeutlichung der Klasse der vier großen Anwärter auf den Tour-Sieg 2024 dienen vor allem beeindruckende Statistiken. Pogacar hat in diesem Jahr gleich 17 Rennen gewonnen, darunter Paris-Nizza im Frühjahr, die Flandern-Rundfahrt, das Amstel Gold Race, den Flèche Wallonne und die Lombardei-Rundfahrt am 10. Oktober. Wobei er nach einem Armbruch Ende April gut sechs Wochen pausieren musste. Vingegaard bringt es auf 15 Siege im Jahr 2023, neben der Tour hat er auch noch die Dauphiné-Rundfahrt gewonnen.

Bisher 80 Siege für Roglic

Roglic hat bisher 80 Karriere-Erfolge erreicht, darunter sind drei Vuelta-Triumphe, wobei er 2020 zudem noch Platz zwei in der Tour hinter Pogacar belegte. 2023 schaffte Roglic, wie Vingegaard, 15 erste Plätze, während Evenepoel 13 Mal ganz vorne war. Es ist dieses Sieger-Menü von vier Angreifern, denen Zaudern fremd ist, die das Rennen um das Gelbe Trikot im kommenden Jahr so attraktiv machen dürfte.

Das deutsche Team Bora-hansgrohe, das sich seit geraumer Zeit verstärkt um Erfolge bei Rundfahrten bemüht, ist nach dem Giro-Sieg des Australiers Jay Hindley im Vorjahr erstmals auch mit im Rennen um den Tour-Sieg. Ralph Denk ist der Stolz über seine, wie er sagt „aus Eigenmitteln“ finanzierten Neuverpflichtung Roglic mit fast jedem Satz, den er dazu spricht, anzumerken.

Denn die Anerkennung für diesen Transfer-Coup in der Szene ist groß. Vor allem auch bei Tour-Direktor Prudhomme, dem heimlichen Gewinner der neuen Vier-Kleeblatt-Situation.

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