WM-Kolumne „Wir schauen hin“Jetzt haben wir den Salat

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Deutschlands Nationalspieler Joshua Kimmich beugt sich auf dem Spielfeld frustriert nach vorne.

Joshua Kimmich möchte am liebsten gar nicht hinschauen im Spiel gegen Japan.

Das Auftakt-Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Japan ging verloren. Aber im WM-Studio der ARD ging es ohnehin nur am Rande um Fußball.

Ratlos war Thomas Müller nach dem Spiel. „Jetzt haben wir den Salat“, kommentierte der erfahrene Nationalspieler den Ausgang des Spiels gegen Japan. Es ist ein Satz, der zum ganzen bisherigen Verlauf dieser WM und auch zu diesem Auftaktspiel passt. Besser kann man es eigentlich nicht zusammenfassen. 

Es gibt kein richtiges Leben im falschen, dieses berühmte Adorno-Zitat trifft wohl auch auf diese Fußball-WM zu. Ein Turnier, bei dem man als Fußball-Fan ernsthaft darüber nachdenkt, dass es doch eigentlich gut wäre, wenn Deutschland früh rausfliegt, weil ja doch keine rechte Freude aufkommt.

Über Fußball wurde kaum gesprochen

Wie verrückt die Umstände dieses Turniers in Katar sind, zeigt auch, dass in der Stunde vor dem Anpfiff im WM-Studio der ARD eigentlich kaum über Fußball gesprochen wurde, sondern vor allem über das Desaster rund um die One-Love-Binde und alles, was damit zusammenhängt.

„Die Eskalation führt dazu, dass es nicht mehr um den Sport geht“, hatte Oliver Bierhoff die Vorgänge kommentiert. Und damit genau den Kern getroffen, auch wenn er das anders gemeint hatte. Natürlich geht es längst nicht mehr um Fußball. Zum Glück. Es geht um Aufrichtigkeit und Mut.

Moderatorin Jessy Wellmer diskutierte also mit Almuth Schult, Thomas Hitzelsperger und Sami Khedira darüber, ob denn nun ein anderes Zeichen von der Mannschaft zu erwarten sei, wenn schon die Fifa das Tragen der Binde verhindert hatte. Die wurde übrigens von allen als Hauptschuldiger ausgemacht - oder wie Hitzlsperger es sagte: „Ich habe einen großen Hals auf die Fifa.“

Jede Abneigung gegen die Fifa ist natürlich völlig berechtigt, aber man hätte schon auch mal die Frage stellen können, ob es angesichts des echten Mutes der iranischen Mannschaft, die das Mitsingen der Hymne verweigerten und dafür ernsthafte Repressalien zu befürchten haben, nicht angemessen gewesen wäre, als Spieler ein deutliches Zeichen zu setzen.

Ist das schon Haltung?

Ein Zeichen gab es dann, wenn auch eines, über das wiederum heftig im Netz gestritten wurde. Alle deutschen Spieler hielten sich beim offiziellen Mannschaftsfoto die Hand vor den Mund. Die offiziellen Live-Bilder aus dem Stadion zeigten die Geste übrigens nicht, das Erste fing sie aber ein.

Tom Bartels kommentierte die Szene geradezu überschwänglich: „Das ist deutlich. Sehr, sehr gut, dass sie sich dazu durchgerungen haben.“ Aber muss man mittlerweile schon jeden Anflug von Haltung bejubeln? Der DFB feierte sich auf jeden Fall schon mal selbst: „Auch ohne Binde. Unsere Haltung steht“, teilte der Verband auf seiner Homepage mit. Die Zweifel sind nach diesem Tag größer denn je. 

Aber vielleicht war der sportlich enttäuschende Auftritt der Deutschen ja in Wirklichkeit ihr wahres Zeichen: Wir machen hier nur in der Vorrunde mit. Im Spiel gegen Spanien wird sich zeigen, ob sie diesen Plan konsequent verfolgen.

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