Aktuelle Studie bestätigt: Gewaltschutz sollte wichtiger als Sorge- und Umgangsrecht und gesetzlich verankert sein.
Häusliche Gewalt„Justiz muss Kinder besser schützen“

Kinder als Opfer häuslicher Gewalt finden vor Gericht oft kaum Glaube und Gehör.
Copyright: Imago Images/Petra Schneider
Kinder haben ein national wie international verbrieftes Recht auf ein Leben ohne Gewalt – doch dieses würde hierzulande durch familienrechtliche Verfahren unterlaufen, mahnt der Verein „Frauenhauskoordinierung e. V.“ (FHK) in einer aktuellen Erklärung – und fordert die Politik dazu auf, „Kinder endlich konsequent zu schützen und den Vorrang von Gewaltschutz vor Sorge- und Umgangsrecht gesetzlich zu verankern.“
Denn: Kinder verdienen einen besonderen Schutz, Fürsorge und Teilhabe. Doch die Realität sieht, wie viele Kinderrechtlerinnen und -rechtler schon seit langer Zeit monieren, für viele junge Menschen in Deutschland anders aus: Immer noch müssen sie und damit auch ihre Mütter häufig Kontakt zu gewalttätigen Vätern halten, weil Gerichte und Jugendämter das Umgangsrecht selbst bei nachgewiesener Gewalt nach wie vor priorisieren.
Fortgesetzte Machtausübung
„Kinder erleben Gewalt nicht nur als direkte Opfer, sondern auch als Zeuginnen und Zeugen häuslicher Gewalt. Sie werden damit zum Instrument fortgesetzter Machtausübung. Trotz Gewalt gegenüber der Mutter, werden Väter weiterhin als fürsorgliche Bezugspersonen für die Kinder angesehen“, moniert die Geschäftsführerin des Vereins Sibylle Schreiber. Kinderschutz müsse stattdessen im Zentrum jeder familiengerichtlichen Entscheidung stehen.
In einer Studie von Wolfgang Hammer, die Ende vergangenen Jahres unter dem Titel „Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren“erschienen ist, werteten der Hamburger Soziologe und sein Team 154 familienrechtliche Fälle aus, die lokale, regionale und bundesweite Medien unabhängig voneinander recherchiert hatten.
Kinder zum Umgang mit gewalttätigem Vater gezwungen
Die bittere Bilanz: In 19 der untersuchten Fälle wurden Mütter und Kinder im Zusammenhang mit Sorge- und Umgangsrechtsverfahren getötet. Zudem seien in der „überwältigenden Mehrheit der Fälle“ Narrative wie die sogenannte Eltern-Kind-Entfremdung genutzt worden, um Müttern das Sorgerecht zu entziehen oder den Umgang mit dem gewalttätigen Vater unter Zwang und oft gegen den Willen der Kinder durchzusetzen.
Familiengerichte und Jugendämter, die eigentlich dem Schutz von Kindern verpflichtet sind, durch die Priorisierung von Umgangs- und Sorgerechten dazu beitragen, dass Kinder und ihre Mütter weiter gefährdet werden und als Gewaltopfer vor Gericht kein Gehör finden
Das zeige, so Hammer, dass „Familiengerichte und Jugendämter, die eigentlich dem Schutz von Kindern verpflichtet sind, durch die Priorisierung von Umgangs- und Sorgerechten dazu beitragen, dass Kinder und ihre Mütter weiter gefährdet werden und als Gewaltopfer vor Gericht kein Gehör finden.“
Fehlannahmen in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren
Als Hauptursachen nennen die Studienautoren, dass die in Verfahren von Jugendämtern und Familiengerichten involvierten Fachleute nicht oder nur eingeschränkt über wissenschaftsbasierte Fachkenntnisse verfügten oder diese nicht anwenden. Stattdessen würden sie häufig auf pseudowissenschaftliche Grundannahmen wie das „Parental Alienation Syndrome“ (PAS), was übersetzt so viel wie elterliches Entfremdungssyndrom bedeutet, zurückgreifen.
Dieses unwissenschaftliche Konzept unterstellt betreuenden Elternteilen nach einer Trennung – meist Müttern –, aus egoistischen Motiven dem anderen Elternteil den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern einzuschränken oder ihn zu verwehren und dadurch die Kinder zu gefährden. Gemäß der Logik des PAS-Konzepts würden Verweise auf psychische oder physische Gewalt nur vorgetragen, um den anderen Elternteil aus dem Umgangs- und Sorgerecht herauszuhalten – eine Annahme, die wissenschaftlich nicht belegt ist und auch nicht mit statistischen Daten zur Häufigkeit von häuslicher und sexualisierter Gewalt gegen Kinder übereinstimmt.
Schutzlos ausgelieferte Kinder
Aufgrund dieser PAS-Vorannahme, so Hammer, „erleben Mütter und Kinder eine Fortsetzung des Macht- und Kontrollverhaltens von Vätern durch die Institutionen, die sie eigentlich schützen müssen. Die bestehende Praxis in Familiengerichten und Jugendämtern gefährdet konkret Kinder und Mütter und im Großen das Vertrauen in unsere rechtsstaatlichen Institutionen und gefährdet damit letztlich den Bestand unserer Demokratie.“
Der Verein „Frauenhauskoordinierung e. V.“ appelliert deshalb an die neue Bundesregierung, das Thema endlich zu priorisieren und die angekündigten gesetzlichen Verbesserungen zum Schutz von Müttern und Kindern direkt anzugehen. Nach wie vor würden klare gesetzliche Vorgaben dafür fehlen, wie Gewalt systematisch erkannt und in Verfahren vorrangig berücksichtigt wird.
Gewaltschutz vor Elternrecht
„Solange Gerichte und Jugendämter auf Einigung und Mediation drängen, statt Gewalt als Ausschlusskriterium für das Sorge- und Umgangsrecht zu begreifen, bleiben Kinder und ihre Mütter schutzlos. Wir fordern: Gewaltschutz muss endlich vor Elternrecht stehen“, so Sibylle Schreiber, „denn jedes Kind hat ein Recht auf Schutz und Unversehrtheit. Die Politik muss jetzt handeln und das Familienrecht grundlegend reformieren, damit Kinder nicht länger gefährlichen Situationen ausgesetzt sind.“