Kinderschutz im Kölner KarnevalKein Bützchen auf Kommando

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Die Illustration zeigt einen Paragrafen, auf dem verkleidete Kinder herum Klettern, im Hintergrund ist der Kölner Dom zu sehen.

Eine von 28 Illustrationen aus der „Zartbitter-“Broschüre „Pänzrechte im Karneval“.

Die Fachberatungsstelle „Zartbitter“ und das Kölner Festkomitee erarbeiten bundesweit erstes Präventionskonzept für den Karneval. Wir stellen die Rechte vor, die sich Kölner Kinder dafür wünschen.

Als hätten „Zartbitter“ und das Kölner Festkomitee eine Vorahnung gehabt: Kaum haben die 50 000 Exemplare der Broschüre „Pänzrechte im Karneval“ vergangene Woche die Druckerei verlassen, liefen schon die ersten Bestellungen im Online-Shop der Kölner Fachberatungsstelle gegen sexuellen Missbrauch ein – zunächst nur aus dem Rhein-Sieg-Kreis.

Eklat bei Karnevalssitzung in Sankt Augustin

Es hätte keinen wichtigeren Zeitpunkt geben können für die Aufklärung über den Schutz von Kindern und Jugendlichen in der jecken Zeit als wenige Tage nach dem Eklat bei einer Sitzung in Sankt Augustin. Während der Präsident der örtlichen Prinzengarde ein Mädchen im Grundschulalter mit anzüglichen Kommentaren sexuell belästigt hat– weshalb er zwischenzeitlich sein Amt niederlegen musste.

Die Infobroschüre zum Schutz vor sexueller Belästigung im Karneval, die zu Beginn der Woche auch kostenlos an alle Kölner Grundschulen versandt wurde, ist ein Präventionsmaterial, das Zartbitter auf Bitte des Festkomitees entwickelt hat. Und es ist ein Musterbeispiel für Partizipation und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen. Denn den zugrundeliegenden Kinderrechte-Pass für den Karneval hat das Zartbitter-Team gemeinsam mit Mitwirkenden von einem Drittel der rund drei Dutzend Kölner Kinder- und Jugendtanzguppen erstellt.

Kinderrechte und Grenzen beim Tanztraining und Karnevalfeiern

Mit dabei waren auch Annabell, 12, und Naila, 17, von den „Kölsche Harlequins“. Während eines Workshops haben sie ihre Vorschläge für Rechte und Grenzen eingebracht, die beim Training und beim Karnevalfeiern geachtet werden müssen, damit sie und alle anderen jungen Leute Spaß haben können. „Wir haben über schöne Erlebnisse gesprochen und schlechte, die andere nicht erfahren sollten,“ sagt Annabell.

„Die betrunkenen Männer waren eklig, jetzt weiß ich aber, dass es immer möglich ist, Nein zu sagen. Die Arbeit mit Zartbitter hat uns dazu ermutigt, uns zu wehren, wenn jemand unsere Grenzen verletzt
Naila, 17, Tänzerin der Kölsche Harlequins

Wie etwa die Begegnung von Naila am Elften im Elften mit einer Gruppe betrunkener Männer, die sie aufdringlich dazu aufforderte, mitzuschunkeln. „Das war eklig, jetzt weiß ich aber, dass es immer möglich ist, Nein zu sagen. Die Arbeit mit Zartbitter hat uns dazu ermutigt, uns zu wehren, wenn jemand unsere Grenzen verletzt.“ „Da hat sich viel in unseren Köpfen verändert, auch wenn unser Verein schon vieles richtig umsetzt. Unsere Kostüme haben weniger Ausschnitte, längere Ärmel und Röcke als einige andere“, fügt Annabell an.

Die Zeichnung zeigt ein Kinderdreigestirn mit einem Mädchen als Prinzessin

Kölner Kinder fordern, dass auch Mädchen als Prinzessin und Bäuerin oder Jungen als Jungfrau im Kinderdreigestirn mitmachen können.

Den Verantwortlichen der Harlequins ist laut Kindertanzgruppenleiter Thorsten Herbig die Achtung der Interessen seiner Tänzerinnen ein wichtiges Anliegen. „Weil sie kein Dekomaterial für die Veranstaltungen sein sollen setzen wir auf Natürlichkeit. Dezente Schminke und dezente Hebungen sind bei uns selbstverständlich.“

Kinderschutzkonzepte für Vereine und Jugendzentren

Zwei Jahre arbeitete das Zartbitter-Team an der Entwicklung des Kinderrechte-Passes für den Karneval. Und kann dabei auf die nötige Expertise zurückgreifen: Seit Jahren entwickelt es mit jungen Menschen aus Jugendzentren, Sportvereinen oder Chören Kinderrechte-Pässe im Rahmen von Schutzkonzepten. Dabei geht es darum, dass die Mädchen und Jungen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen Rechte zur Achtung ihrer persönlichen Grenzen oder der ihrer Gleichaltrigen benennen. „Diese werden dann gemäß der partizipativen Arbeitsweise von Kindern und Jugendlichen gewichtet“, so Philipp Büscher, Zartbitter-Geschäftsführer.

Umso größer war die Erleichterung, als das Kölner Festkomitee die dargestellte Kritik an dem Verhalten einiger Erwachsener im Karneval voll und ganz trug“
Ursula Enders, „Zartbitter Köln“-Leiterin

Anschließend werden die Botschaften – auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Einrichtungen abgestimmt – in den Pass aufgenommen. Abschließend unterschreiben ihn die Einrichtungsleitungen und pädagogischen Fachkräfte um zu zeigen: Ich verpflichte mich, mich für Kinderrechte in meinem Verein zu engagieren. Wie bei allen Kinderrechte-Pässen zeichnete auch für den aktuellen „Karneval-Pass“ die Kölner Illustratorin Dorothee Wolters die Vorschläge der Jungen und Mädchen, schuf typische lebensfrohe, aber auch grenzverletzende Szenen. „Es war spannend sie unserem Kooperationspartner, dem Festkomitee, vorzustellen. Wie würde es auf die in einigen Illustrationen dargestellten Übergriffe im Karneval reagieren? Umso größer war die Erleichterung, als das Festkomitee die dargestellte Kritik an dem Verhalten einiger Erwachsener voll und ganz trug“, sagt Zartbitter-Leiterin Ursula Enders.

Damit sich alle Pänz im Kölner Karneval sicher fühlen

„Wir möchten, dass sich alle Jecken im Karneval wohl und sicher fühlen. Das gilt besonders für unsere Pänz. Vielen Menschen ist allerdings nicht klar, wo grenzüberschreitendes Verhalten beginnt. Deshalb haben wir gerne dazu beigetragen, Kinderrechte zu definieren, die die Grundlage dafür sind, dass alle Kinder den Karneval genießen können“, beschreibt Christine Flock, Vizepräsidentin des Kölner Festkomitees, dessen Motivation, an dem Kinderrechte-Pass mitzuwirken.

Die Illustration zeigt drei Mitglieder der Kinder- und Jugendtanzgruppe Kölsche Harlequins, ein Mädchen mit blondem Pferdeschwanz ist hingefallen, ein Junge und ein schwarzes Mädchen helfen ihr wieder auf.

Bei den Kölsche Harlquins wird sich geholfen und niemand ausgeschlossen.

„Alle dürfen mitmachen“ ist das darin niedergeschriebene Lieblingsrecht von Ursula Enders: „Das bedeutet, dass wirklich alle, selbst Immis wie ich, die das soziale Verantwortungsbewusstsein vieler Jungen und Mädchen tief beeindruckt, mitmischen können.“ Alle dürfen mitmachen! ist ein Recht, das auch Naila wichtig ist. Ob mit Rollstuhl oder nicht, in Deutschland geboren oder anderswo, schüchtern oder wild. „Mir ist aufgefallen, dass wenige behinderte junge Menschen, kaum Migrantinnen oder queere Jugendliche im Karneval vorkommen, das muss sich ändern,“ sagt Naila und zeigt stolz auf ein Bild, zu dem sie den Anstoß gab.

„Mir ist aufgefallen, dass wenige behinderte junge Menschen, kaum Migrantinnen oder queere Jugendliche im Kölner Karneval vorkommen, das muss sich ändern“
Naila, 17

Es ist eine von 28 Illustrationen, die das Zartbitter-Team zu dem Kinderrechte-Pass zusammengestellt hat, den künftig alle jungen Tänzerinnen und Tänzer des Kölner Karnevals erhalten sollen. Zusätzlich stellt Zartbitter Eltern, Mitarbeitenden von Karnevalsvereinen, Schulen und Einrichtungen der Jugendhilfe Hintergrundinformationen zu Kinderrechten im Karneval zur Verfügung.

Handlungsplan bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch

Der Kinderrechte-Pass ist ein grundlegender Baustein des Kinderrechte-Schutzkonzeptes, das das Festkomitee mit Unterstützung von Zartbitter etablieren möchte. „Dazu zählt etwa ein interner Präventionsbeauftragter und ein Handlungsplan bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch. Für Kinder, Menschen, die mit ihnen in den Vereinen arbeiten und für Eltern wird es Workshops und Verhaltensleitlinien geben“, sagt Flock. 

Weil alle Pänz auch das Recht haben, sich zu beschweren und selbst ohne das Wissen ihrer Eltern Beratung und Hilfe erhalten sollen, wenn ihre Rechte im Karneval verletzt werden, haben das Festkomitee und Zartbitter jeweils eine E-Mail-Adresse eingerichtet. Unter der können alle Jugendlichen, die grenzverletzendes Verhalten erleben oder beobachten, Hilfe anfordern. „Nun hoffen wir, dass dieses Projekt Strahlkraft entwickeln wird, bundesweit, auf alle Brauchtumsvereine wie Schützen- oder Heimatvereine und Folkloregruppen“, sagt Enders. 

Ausstellung: Die Illustrationen von D. Wolters sind noch bis 14. Februar im Rahmen der Zartbitter-Ausstellung „Kinderschutz im Karneval“ im Parlamentsgebäude des Düsseldorfer Landtags zu sehen..

Fachinformationen: Die Broschüre „Kinderrechte im Karneval“ kann ab sofort im >>Internetshop von Zartbitter online bestellt werden. Weitere Fachinformationen sind auf der >>Homepage zu finden.


Diese Rechte wünschen sich Kölner Pänz im Karneval - Ein Auszug

Infobroschüre „Pänzrechte im Karneval“

Die Infobroschüre „Pänzrechte im Karneval“ kann für 60 Cent im Internetshop von Zartbitter bestellt werden.

  • Mädchen und Jungen haben gleiche Rechte: Im Kölner Karneval dürfen manche Rollen und Aufgaben traditionell nur von Männern übernommen werden. Mädchen sollten aber als Prinzessin und Bäuerin oder Jungen als Jungfrau im Kinderdreigestirn mitmachen können.
  • Kein Bützchen auf Kommando: Im Karneval Bützchen auszutauschen, ist nur okay, wenn alle damit einverstanden sind. Andere gegen ihren Willen ein „Bützchen“ auf die Wange zu drücken, ist kein erlaubter Spaß, sondern sexuelle Belästigung. Niemals dürfen Kinder zu einem Bützchen genötigt werden oder einen abwertenden Spruch erhalten, wenn sie das nicht möchten.
  • Kostüme dürfen keine Angst machen und niemanden verletzen: Kinder und Jugendliche schlüpfen mithilfe ihrer Kostüme in andere Rollen und haben Spaß. Leider wählen einige aber Kostüme, die anderen Angst machen oder deren Gefühle verletzen, wenn sich jemand etwa als brutaler Gangster verkleidet und sich entsprechend wild verhält. Mädchen und Jungen, die in der Familie körperliche Gewalt oder auf der Flucht aus einem Kriegsgebiet erlebt haben, kann das an sehr belastende Erfahrungen erinnern. Andere Kostüme, die zum Beispiel Mädchen verschleiern, erleben junge Menschen, die kulturellen Minderheiten angehören, als Herabsetzung. Über Karnevalskostüme sollten keine Vorurteile gegenüber Menschen aus anderen Kulturen verbreitet werden.
  • Alle dürfen entscheiden, wer sie wie schminkt: Beim Schminken kommt man Kindern oft sehr nah. Deshalb ist es wichtig, dabei körperliche Grenzen zu achten. Mädchen und Jungen haben das Recht, sich mit ihrem Gesicht wohlzufühlen. Es ist respektlos, wenn sie anders geschminkt werden, als sie es wollen.
  • Auch Erwachsene müssen die Privatsphäre von Pänz beachten: Ob es ums Umziehen beim Schulsport geht oder vor dem Auftritt bei einer Karnevalsveranstaltung: Auch Trainer und Trainerinnen müssen das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Privatsphäre ernst nehmen, wie etwa das Recht auf eigene, nach Geschlechtern getrennte Umkleidemöglichkeiten, die nicht eingesehen werden können.
  • Alle Pänz haben das Recht, sich in ihren Uniformen wohlzufühlen: Mädchen und Jungen haben das Recht, sich in ihren Uniformen der Tanzgruppen wohlzufühlen. Sie sollten damit nicht bloßgestellt werden oder sich komisch vorkommen. Viele Mädchen fühlen sich mit den Spitzenhöschen gut bekleidet, andere fühlen sich wohler, wenn sie kurze Leggings tragen.
  • Keine Fotos unter den Rock: Das Fotografieren unter den Rock (Upskirting) ist verboten und strafbar. Karnevalsvereine sollten darauf achten, dass Videos und Fotos das gesamte Tanzmariechen abbilden und nicht den Blick unter den Rock richten. Sie sollten das Posten von Bildern, die die persönlichen Grenzen verletzen, untersagen.
  • Immer lächeln ist anstrengend! Die anspruchsvollen akrobatischen Elemente in einer Karneval-Tanzgruppe sind oft körperlich sehr anstrengend. Auch wenn ein freundlicher Gesichtsausdruck zur Bühnenpräsenz gehört, fällt es den jungen Tanzenden manchmal schwer, ständig zu lächeln. Trainer sollten Verständnis dafür haben, dass man ihrem Gesichtsausdruck gelegentlich die Anstrengung ansieht.
  • Ausstellung: Die Illustrationen von D. Wolters sind noch bis 14. Februar im Rahmen der Zartbitter-Ausstellung „Kinderschutz im Karneval“ im Parlamentsgebäude des Düsseldorfer Landtags zu sehen.
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