Kinderschutzbund Köln„Kinder brauchen Sicherheit in beiden Welten“

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Köln – Man könnte schwören, es sei selbstverständlich, dass Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, Förderung und Fürsorge haben. Dennoch steigt auch in unserer Region die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die vernachlässigt und arm aufwachsen. Deren Sprachrohr ist unter anderem der Kinderschutzbund Köln, der sich für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen einsetzt – und die ihrer Familien. Wie, mit welchen Schwerpunkten und Visionen, erklärt die neue Fachleiterin des Verbands.

Frau Große Perdekamp, hungernde Kinder in Köln, gehören sie zu Ihrem Arbeitsalltag?

Maria Große Perdekamp: Wir erleben immer mehr Kinder, die ohne Frühstück in die Schule gehen und auch die Mittagstisch-Angebote werden gut besucht. Neben der mangelnden Versorgung mit Nahrung ist die schlechte Ernährung ein großes Thema. Einer gesunden Ernährung und gemeinsamen Mahlzeiten wird immer weniger Bedeutung beigemessen.

Was daran liegt, dass sich Eltern das nicht mehr leisten können?

Die wachsende materielle Armut spielt eine Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass sich die traditionelle Familienkultur auflöst. Wir wissen von Haushalten, und das sind keine Ausnahmen, in denen es keine Esstische gibt.

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Gewalt gegen Kinder und Jugendliceh geht uns alle an

Da isst jeder wann und was er will auf der Couch. Mit dem Verzicht auf gemeinsame Mahlzeiten einher geht der Mangel an Familienbeziehungen. Gespräche sind wichtig, damit sich Kinder geborgen und unterstützt fühlen.

Aus welchen Gründen löst sich die Familienkultur auf?

Das hat mit veränderten Einstellungen zu tun und mit strukturellen Ursachen, wie familienun-freundlichen Arbeitsbedingungen oder mangelnden Betreuungsmöglichkeiten – weshalb die Zahl der Schlüsselkinder wächst, Kinder, die sich nach der Schule alleine versorgen müssen, weil beide Eltern oder der alleinerziehende Elternteil auf einen Fulltime-Job angewiesen ist. Da ist die Verlockung, zur Chips-Tüte statt zur Brotdose zu greifen, groß.

„Erziehung ist eine wahnsinnig komplexe Aufgabe“

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Gewalt gegen Kinder finden in der realen wie der virtuellen Welt statt

Kinderarmut in einem reichen Land wie Deutschland lässt sich nicht nur am Einkommen festmachen.

Ein erweitertes Verständnis von Armut sollte materielle Faktoren genauso einbeziehen wie gesellschaftliche Benachteiligungen. Denn den Betroffenen mangelt es an Teilhabe- und Entwicklungschancen.

Studien zeigen: Das Leben in einer einkommensarmen Familie führt häufig zu einem Mangel an Bildung.

Im Zusammenhang mit Kinderarmut sprechen wir vom Phänomen der vererbten Bildung. Kinder aus bildungsfernen Familien haben kaum Chancen, Zugang zu Bildung zu erhalten, da das System in der Regel undurchlässig ist. Nach wie vor fließt das meiste Geld in Gymnasien und Universitäten. Statt es in die frühe Förderung und Unterstützung in Grundschulen zu investieren, um dort frühzeitig die Benachteiligung auszugleichen.

Je niedriger der soziale Status und das finanzielle Einkommen der Eltern, desto häufiger erfahren Kinder Gewalt, sagen Experten.

Ein Großteil der Gewalt innerhalb von Familien ist Ausnahmesituationen geschuldet, meist aufgrund von sozialen Spannungen und Stress – bedingt durch prekäre Arbeitsverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Trennungen, einem unsicheren Aufenthaltsstatus oder einer chronischen Erkrankung. Ein Risiko besteht auch, wenn den Eltern gute Vorbilder fehlen – weil sie zum Beispiel als Kind selbst Gewalt erleben mussten. So ist Gewalt in den meisten Fällen keine Frage der Überzeugung, sondern ein Ergebnis der Überforderung. Betroffene Kinder und deren Familien brauchen dringend Hilfe.

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Die ihnen der Kinderschutzbund in welcher Form bietet?

Hilfen für Kinder und Eltern in schweren Familienkrisen, insbesondere wenn Kinder von Gewalt betroffen sind, aber auch die Prävention zählen zu unseren Kernaufgaben. Wir unterstützen und beraten Eltern jeglicher Bildungs- oder Einkommenschicht, kostenfrei und möglichst frühzeitig in Fragen zur Entwicklung und Erziehung ihrer Kinder. Wir bieten Einzelberatungen an, Gruppenangebote und therapeutische Hilfen. Wir beziehen die Eltern als die wichtigsten Bezugspersonen ein und überlegen gemeinsam, wie Probleme gelöst werden können. Auch Lehrer, Erzieher und Mitarbeiter des Jugendamts können wichtige Kooperationspartner sein.

Die größte Herausforderung in puncto Erziehungsfragen?

Erziehung ist eine wahnsinnig komplexe und manchmal auch schwierige Aufgabe. Eine große Herausforderung sehe ich im Bereich Mediennutzung und Kinderschutz im Internet – ein Thema mit dem viele Eltern überfordert sind, auch weil sie, was das Wissen um und den Umgang mit den neuen Medien betrifft, von ihren Kindern überholt werden. Das macht Eltern ohnmächtig ...

.. und birgt die Gefahr, dass diese Eltern ihre Kinder nicht ausreichend schützen können?

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Auch vor häuslicher Gewalt sollen die "Frühen Hilfen" präventiv schützen

Wer nicht weiß, wie das Netz, wie soziale Medien und PC-Spiele funktionieren, dem wird es schwerfallen, seinem Kind einen angemessenen Umgang damit zu vermitteln. Sexuelle Belästigung, Mobbing und andere Risiken des Internets sind für Kinder wie für viele Eltern schwer einzuschätzen. Wenn Eltern das Phänomen Cyber-Mobbing, also Ausgrenzung im Netz fremd ist, werden sie nicht adäquat darauf reagieren können, wenn das eigene Kind davon betroffen ist. Die neuen Medien verlangen klare Nutzungsregeln und Austausch. Kinder brauchen Beistand und Sicherheit in beiden Welten, der realen wie der virtuellen.

Sehen Sie diesbezüglich nur die Eltern in der Pflicht?

Wie bei allen Erziehungs- und Schutzaufgaben ist es uns wichtig, die Verantwortung nicht allein bei den einzelnen Familien zu verorten. Unterstützung und Schutz der Kinder ist andererseits aber auch nicht allein Aufgabe der Profis: Es ist eine Gesellschaftsaufgabe. Ein afrikanisches Sprichwort besagt so treffend: Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.

Was kann jeder Einzelne tun, um der Gewalt gegen Kinder zu begegnen?

Das ist zunächst eine Haltungsfrage: Wie wichtig ist mir, dass Kinder in unserem Land gewaltfrei aufwachsen? Dass sie gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können? Glaube ich, Familien sind alleinverantwortlich oder finde ich es wichtig, dass sie unterstützt werden? Dann könnte ich zum Beispiel in meiner Funktion als Wählerin Einfluss nehmen. Als Arbeitgeberin könnte ich bevorzugt Alleinerziehende einstellen. Und als Privatperson aufmerksam sein für Situationen, in denen Kinder Schutz brauchen.

Und ich könnte mich ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel beim Kinderschutzbund.

Bei uns ist jede helfende Hand willkommen. Aktuell suchen wir Helfer für die Kinderwillkommensbesuche bei Kalker Eltern.

Maria Große Perdekamp - Fachliche Leiterin des Kinderschutzbundes Köln

Die neue Fachliche Leiterin des Kölner Kinderschutzbundes Maria Große Perdekamp

Die neue Fachliche Leiterin des Kölner Kinderschutzbundes Maria Große Perdekamp

Seit Beginn des Jahres ist Maria  Große Perdekamp, 53,  Fachliche Leiterin des Kinderschutzbundes/Kinderschutzzentrums Köln. Sie löst Renate Blum-Maurice ab, die zuvor 29 Jahre die Leitung innehatte.  Maria Große Perdekamp ist Diplom-Heilpädagogin und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. Sie hat viele Jahre in der Essener Erziehungsberatung gearbeitet - vor Ort als auch digital in der Onlineberatung.  Mit dem Verständnis, „dass es  wichtig ist, die sich verändernden Lebenswelten von Kindern und Familien in Bezug auf digitale Medien zu verstehen und unsere  Angebote darauf auszurichten“, möchte sie die Arbeit des Kinderschutz-Zentrums weiterentwickeln. Daneben wird sie die  frühen Hilfen für den Schutz und die Unterstützung von Kindern  weiterführen – geplant ist zudem ein neues Projekt für  Kinder mit Schul-Schwierigkeiten in Kalk. Traditionell wird sich Große Perdekamp die Leitungsverantwortung mit Geschäftsführerin  Barbara Zaabe teilen. (kro)

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