KindertheaterDas Casamax braucht dringend Spenden

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Franziska Schmid als Azmi, der seine Heimatverloren hat.

Köln – Azmi hat seine Heimat verloren, seine Vergangenheit, Zukunft und ein bisschen auch sein Jetzt. Der 16-jährige Teenager ist müde von der langen, einsamen Flucht. Müde vom Alltag in einem Land, von dem es in seiner Heimat hieß, er sei dort sicher. Müde von Enno, seinem Mitschüler, der seine Heimat vor solchen wie Azmi schützen möchte – vor Fremden, „denen, halt, die einfach abgehauen sind aus ihrem Land, um zu nehmen, was ihnen nicht zusteht“.

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Franziska Schmid als Lehrer Winter.

Allein die Kurzfassung des Theaterstücks „Heimat AT“, mit dem Franziska Schmid als Einzeldarstellerin für das Kölner Kinder- und Jugendtheater Casamax in Klassenzimmer, Jugendzentren, Vereinsheime reist, gibt stark zu denken. Und hat damit seinen Zweck erfüllt.

Heimat, Fremde, Ankommen

„Es soll junge Menschen zum Nachdenken darüber anregen, was Heimat bedeutet und das Gegenteil davon, was Menschen voneinander fernhält und was sie zusammenbringt, ob man ein neues Zuhause finden kann und was es dafür braucht“, sagt Dramaturgin Ragna Kirck, die mit Hille Marks das Casamax betreibt.

Schon lange beschäftigt die beiden Theaterfrauen das Themenfeld „Heimat, Fremde, Ankommen“ – und die Frage, ob sich Menschen verschiedener Kulturen eine Heimat teilen können – oder ob Teilen vielleicht doch besser in der Bibel aufgehoben ist?

Als Ragna Kirck schließlich erlebt, dass „Zuwanderung“ in der Grundschule ihrer Tochter, die von einigen geflüchteten Kindern oder solchen, die ihre alte Heimat nicht in Deutschland haben, besucht wird, überhaupt nicht thematisiert wird, ist beiden schnell klar, ein Theaterstück schreiben zu müssen – „das Schülerinnen und Schüler dazu bewegt, miteinander ins Reden und Nachdenken zu kommen“, sagt Kirck.

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Franziska Schmid als Enno, ein Schüler, der seine Heimat gegen Fremde verteidigt.

Wo der Lärm beruhigt

„Wir kennen uns nicht, aber ich muss Dir meine Geschichte erzählen, Du musst gar nichts erzählen, weil Du schon hier bist, schon immer!“, sinniert der müde, aber rastlose Azmi im Stück. „Meine Heimat ist laut, aber der Lärm macht mich ruhig. Hier ist es leise, das macht zu wach.“

Azmi, der seine schützende Heimat verloren hat, redet in kurzen Sätzen, wählt einfache Worte, spricht auf den Punkt – weil er zu sehr beschäftigt ist mit dem Denken, dem Anpassen und sich Zur-Wehr-setzen – gegen Enno zum Beispiel, der seine Heimat auf Azmis Kosten verteidigt. Überfremdung, Volksfeind, Schmarotzer, Fischfutter – diese Worte hat Azmi von Enno gelernt. „Ich wäre besser ohne eure Sprache geblieben“, sagt Azmi später, „ich habe es versucht. Ich habe versucht, nichts zu sagen. Still sein. Unsichtbar zu werden. Nicht da zu sein. Verschwinden. Habe ich auf der Flucht gelernt. Nur so kommst Du durch. Aber Enno hat mich immer angeguckt. »Die müssen alle zurück!«“ Ein wie auch immer geartetes, ungutes Ende braut sich zusammen, das die Theaterbesucher mit jeder Faser ihres Körpers spüren, aber nicht benennen können. Und auch die handelnden Figuren im Stück können es nicht aufhalten.

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Azmi hat keine Kraft mehr, sich zu verteidigen.

Herr Winter, ein resignierter Lehrer, ein wenig hilflos und kurz vor der Pension stehend, sah die Probleme aufziehen, wusste aber nicht, wie er sie lösen soll – „Die hören doch eh nicht auf mich.“ Was macht man da?, dachte er noch kurz – und delegierte die Sache flugs an Frank, den Basketballtrainer – „Das ist ein junger, cooler Typ, zu dem schauen die doch auf!“

Neugierig auf Menschen machen

Auch Frank erkennt das Problem, weiß genau: Man müsste etwas tun. Nur, was macht man da? „Ich kann doch nicht in zwei Minuten die Welt retten, die sollen das mal untereinander regeln!“ Hinterher sind – wie immer – alle schlauer. Und auch wieder nicht. Denn das Ende bleibt offen, ein Patentrezept aus: „Die Zeit ist um, so ganz haben wir die Lösung noch nicht gefunden. Es wäre ja auch zu schön, wenn wir hier in einer Stunde auf Ideen kommen, die die gesamte Menschheit seit Jahren nicht hat“, sagt Franziska Schmid – und entlässt die jungen Schülerinnen und Schüler mit der unausgesprochenen Aufforderung, ein eigenes Ende zu finden. Und Lösungen. Die im besten Fall fair, neugierig auf und interessiert an anderen Menschen sind.

„Wie bei all unseren Stücken arbeiten wir nicht mit dem moralischen Zeigefinger oder Lösungsvorschlägen, vielmehr möchten wir das Verantwortungsgefühl für das eigene Handeln unserer jungen Besucher stärken“, sagt Hille Marks.

Tod und Geschlechterklischees

Ein Blick in die Programmhefte des Casamax seit seiner Gründung als Kinder- und Jugendtheater im Jahr 2003 zeigt: Hier werden auch die Kleinsten nicht mit anspruchsvollen Themen verschont. Im aktuellen Spielplan geht es um Cybermobbing und Demenz, Demokratie und Plastikmüll, Tod und Geschlechterklischees. Kurz: Es geht um gesellschaftsrelevante Themen, die den Jungen und Mädchen spielerisch ans Herz gelegt werden. „Mit dem Ziel, dass das Theater schon den jüngsten Zuschauern verschiedene Gesellschaftsformen darlegt und zeigt, auf wie viel verschiedene Arten und Weisen man zusammenleben kann“, ergänzt Marks.

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Franziska Schmid als Azmi.

Dass die Jugend in dem familiären Sülzer Hinterhoftheater sehr ernst genommen wird, beweist auch die Tatsache, dass das Ensemble regelmäßig Schülerinnen und Schüler als Experten zu den Proben einlädt, um deren Antworten und Reaktionen anschließend in die Text- und Szenenentwicklung einfließen zu lassen. Hille Marks: „Wir möchten mit der Theaterarbeit Kindern, ihren Eltern und auch Großeltern ermöglichen, über unsere Gesellschaft nachzudenken und uns gegenseitig daran zu erinnern, dass die nicht selbstverständlich so gegeben ist: Wir alle, egal ob drei, 30 oder 60 Jahre alt, sind aufgerufen, sie zu schützen und weiter zu entwickeln.“

Rollende Thaterbühne

Von diesem Geist getragen, begibt sich das Casamax-Ensemble immer wieder selbst an „fremde Orte“, in Klassenzimmer, Vereinsheime oder Jugendzentren der Region. Um auch denjenigen Kindern und Jugendlichen Theater- oder Workshopbesuche zu ermöglichen, die aus welchem Grund auch immer in der kulturellen Teilhabe eingeschränkt sind. Zum Beispiel, weil sie heimatlos sind.

Wenn man Azmi so rast- und mutlos durch das Klassenzimmer schreiten sieht, fragt man sich, was Heimat heute noch bedeutet. Ist der Begriff, in Zeiten, in denen Millionen Menschen gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen und anderswo kaum willkommen sind, zum Arbeitstitel verkommen? Hat er ausgedient? Oder ist Heimat tief in jedem von uns zu finden – und damit genug für alle da?

Damit der heimelig-familiäre Hinterhof an der Berrenrather Straße 127 auch künftig die Heimat des von „wir helfen“ geförderten gemeinnützigen Vereins bleiben kann, ist das Casamax-Team auf weitere Spenden angewiesen.

„Heimat A.T.“ ist am 15.2., 10.30 Uhr, 16.2.,17 Uhr und am 31.3. , 16 Uhr im Casamax zu sehen.

www.casamax-theater.de

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