Zum Jahreswechsel soll die Aktivrente in Kraft treten. Einige Bäcker und Händler wollen das Instrument direkt nutzen und so gegen den Fachkräftemangel angehen.
Aktivrente kommt zum Januar„Für das körperliche Handwerk sehe ich darin keine große Perspektive“

Bäcker Guido Boveleth aus Kirchherten, Obermeister der Bäckerinnung Köln/Rhein-Erft.
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Zum 1. Januar 2026 soll die Aktivrente starten. Ab dann können Beschäftigte, die über das offizielle Renteneintrittsalter hinaus arbeiten, jeden Monat bis zu 2000 Euro steuerfrei dazuverdienen. Das ist nicht nur für das eigene Portemonnaie attraktiv, sondern kann auch ein Teil der Lösung sein, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Roland Ermer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks, nennt die Aktivrente im Gespräch mit der „Bild“-Zeitung „einen Schritt in die richtige Richtung“. Es „sollte belohnt werden, wenn jemand länger im Erwerbsleben bleiben möchte“, Bäckereien wollen das von der Regierung geplante Anreizsystem möglichst bald einführen.
Aktivrente bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten kaum vorstellbar
Doch nicht alle Kollegen teilen diese Einschätzung. „Für das körperliche Handwerk sehe ich darin keine große Perspektive“, sagt Guido Boveleth, Obermeister der Bäcker-Innung Köln/Rhein-Erft-Kreis. Er leitet die gleichnamige Bäckerei in Bedburg in vierter Generation, 34 Mitarbeitende sind in der Backstube und den zwei Verkaufsläden beschäftigt. „Wir machen hier alles von Hand“, erzählt er. Dem Prinzip der Aktivrente wolle er sich nicht verschließen. Doch aus den Erfahrungen in seinem Betrieb sehe er eben auch: „Da, wo wirklich handwerklich gearbeitet wird, sind die Leute mit 60 Jahren verbraucht.“ Diejenigen, die Teig kneten und Bleche schleppen, genauso wie das Personal hinter dem Tresen. „Das ist einfach anstrengend, solange zu stehen“, der Verschleiß im Handwerk sei hoch.
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Boveleth spricht im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ explizit nur für sich. Über die Umsetzungsmöglichkeiten in den regionalen Bäckereien müsse er sich zunächst mit den Kollegen aus der Innung beraten. Ob ein Job für ältere Menschen in deutlich größeren Betrieben seines Gewerks besser machbar scheint, könne er deshalb zu diesem Zeitpunkt nicht so recht einschätzen. Er glaubt, dass sich die Aktivrente eher für Bürojobs oder führende Tätigkeiten anbiete. „Ein Backstubenleiter“, sagt er, „der kann durchaus länger machen.“
Selbstständige profitieren nicht vom Steuerbonus
Selbstständige hingegen profitieren nicht vom Gesetzentwurf, der zum Jahreswechsel in Kraft treten soll. Das sorgt für Kritik: „Gerade für das Handwerk und kleine Betriebe wäre eine vergleichbare Regelung wichtig, um alle Arbeitskräfte einzubeziehen und langfristig wirksame Anreize zu schaffen“, so Ermer. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei besorgniserregend. Das sagt auch der Obermeister der hiesigen Bäcker-Innung: „Auf einer Skala bis zehn stehen wir zwischen sechs und sieben. Wenn jetzt die Babyboomer in Rente gehen, wird es noch schlimmer.“ Die Folge, laut Boveleth: „Sortimentsstreichung. Dann gibt es in den Bäckereien nur noch Einheitsbrei.“
Den Folgen des Fachkräftemangels will man auch in anderen Branchen mit der schnellen Einführung des Steuerbonus Einhalt gebieten. Steven Haarke, beim Handelsverband Deutschland (HDE) verantwortlicher Geschäftsführer im Bereich Arbeit und Soziales, berichtet: „Wir hatten in der Branche trotz hoher Gesamtbeschäftigung zuletzt eine Fachkräftelücke von rund 122.000 offenen Stellen. Aufgrund der demografischen Entwicklung insgesamt ist klar, dass dieses Thema zukünftig besonders im Bereich der qualifizierten Tätigkeiten noch weiter an Relevanz erlangen wird.“ Von der Aktivrente erhoffe man sich, die erfahrenen Arbeitskräfte noch länger in den Unternehmen halten und den Entwicklungen so entgegenwirken zu können.
Start zum Januar könnte knapp werden
Genauso wie die Verantwortlichen der Bäckereien zeigt sich auch Haarke verwundert gegenüber der Sonderreglung für die vielen Selbstständigen im Einzelhandel: „Es ist nicht nachvollziehbar, warum sie nicht von diesem Steuerprivileg profitieren sollen. Dies wäre ebenso wichtig, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und auch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zukünftig zu sichern.“ Er äußerte auch steuerliche Bedenken. Ob sich der Handel pünktlich zum 1. Januar an die Aktivrente wagt, ist noch nicht klar. „Aufgrund der praktischen Komplexität der Umsetzung in den Abrechnungssystemen fordern die Arbeitgeber einen leichten Aufschub“, sagt Haarke.
Noch zögerlicher äußerte sich der Vorsitzende des Deutschen Pflegeverbands, Markus Mai: Die Idee sei gut, der Effekt werde aber „marginal“ bleiben, sagte er der „Bild“-Zeitung. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen mit 70 noch voll in der Pflege tätig sind.“ Es gebe aber viele Frauen, die, zum Beispiel durch Erziehungszeiten, weniger gearbeitet haben und eine geringe Rentenerwartung haben. Die Aktivrente könnte für diese Menschen eine Möglichkeit sein, die niedrige Rente aufzustocken.
Noch liegt der Gesetzentwurf aber zur Beratung im Bundestag. Der Bundesrat muss dem Gesetz zustimmen; die Länder fordern eine finanzielle Kompensation durch den Bund. Das Finanzministerium rechnet mit einem Minus bei den Steuereinnahmen von rund 890 Millionen Euro jährlich. Davon entfallen jeweils rund 42,5 Prozent auf den Bund und die Länder und die restlichen 15 Prozent auf die Kommunen. (mit afp)

