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GamescomWarum junge Gamer für Sicherheitsbehörden und Bundeswehr so interessant sind

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Ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) macht mit Besuchern der Gamescom das BND-Computerspiel «BND Legenden». Mit einem Stand auf der Computerspielemesse (20.-24. August 2025) will der BND um Mitarbeiter werben.

Ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) spielt mit Besuchern der Gamescom das Computerspiel „BND Legenden“.

Im Getümmel der Gamescom hat der Bundesnachrichtendienst einen Stand aufgebaut, nicht weit davon präsentiert sich die Bundeswehr. Ihr Ziel: Gamer für sich gewinnen.

Raus aus der Deckung und ran an die jungen Leute: Deutsche Sicherheitsbehörden suchen nach Nachwuchskräften und setzen dabei auf die Gaming-Welt. Bei der Gamescom in Köln zeigen sich die Bundeswehr und der Bundesnachrichtendienst (BND) mit Messeständen, wo sie Werbegespräche mit Messebesuchern führen – dabei stoßen sie auf Interesse, aber auch Kritik.

Der BND geht neue Wege: Im eigenen Computerspiel „BND-Legenden: Operation Blackbox“ arbeitet der Spieler für den Geheimdienst als Spionin auf virtueller Mission in einen Unrechtsstaat.

BND wirbt Gamer an

Der Titel des Spiels ist eine Anspielung auf die Arbeit „unter Legende“, also mit falschem Namen und erfundenem Lebenslauf. Außerdem sei es ein Hinweis, dass der BND seine Arbeit nicht im Detail öffentlichkeitswirksam zeigen könne, sagt BND-Sprecherin Julia Linner. „Für viele war er bislang eine Blackbox, diese wollen wir ein bisschen mehr öffnen.“

Aber warum überhaupt ein Messestand in aller Öffentlichkeit? Wie andere Arbeitgeber auch sei man auf der Suche nach Fachkräften, sagt Linner. Die Gamescom ist für die Personalsuche aus Sicht des BND ein guter Ort. „Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen den Leuten, die wir gern in unseren Reihen hätten, und den Besucherinnen und Besuchern der Gamescom: Beide sind technikaffin, sie schlüpfen gern in verschiedene Rollen, nehmen andere Identitäten an, begeben sich auf Missionen und decken Zusammenhänge auf.“ 100 Quadratmeter groß ist der Stand, 40 Mitarbeiter werden eingesetzt. Sie tragen blaue Poloshirts mit dem weißen BND-Schriftzug darauf. Einen mittleren sechsstelligen Euro-Betrag kostet der Messeauftritt, inklusive der Kosten für das Game, das man in etwa 20 Minuten durchspielen kann.

Bundeswehr lockt mit Hubschrauber-Simulation

Nur ein paar Schritte weiter befindet sich der Stand der Bundeswehr. Die deutsche Armee lädt an verschiedenen Stationen zum Mitmachen ein: Die Besucher können am Computer virtuell mit einem Panzer fahren und an einem Simulator einen Hubschrauber fliegen.

Der 26-jährige Adrian Novak (Name geändert) war früher selbst Soldat bei der Bundeswehr und ist leidenschaftlicher Gamer. Der Koblenzer erzählt, wie die Technikbegeisterung Jugendliche zum Militär bringt: „Ich finde Technologie toll. Diese Leidenschaft hat mich sowohl für die Bundeswehr als auch beim Zocken motiviert. Und das ist auch deren Marketingtaktik: 16-Jährige mit cooler Militärtechnik anwerben, die gar nicht wissen, wie der Alltag bei der Bundeswehr wirklich aussieht.“ Mit Rüstpanzern oder militärischen Strahlenschutzanzügen zu arbeiten, fühle sich im ersten Moment beeindruckend an, sagt Novak.

Messestand-Leiter Marco Mann sieht den Stand als wichtigen Baustein in der Personalgewinnung. „Wir sind da, wo sich die Zielgruppe befindet.“ Ein Stück weit ersetze man das Küchentisch-Gespräch in vergangenen Wehrpflicht-Zeiten – als also Wehrpflichtige ihren Freunden und ihrer Familie von ihren Erfahrungen bei der Bundeswehr berichteten. So blieb die Armee in der Breite der Gesellschaft ein Thema. Doch viele junge Menschen hätten heute keine Berührungspunkte mit der Bundeswehr – der Gamescomstand wolle deshalb zeigen, dass sie ein attraktiver Arbeitgeber sei.

Einheit der Elektronischen Kampfführung ist auch vor Ort

Gerade das sieht der ehemalige Soldat Novak kritisch. Denn die Bundeswehr vermittle bei solchen Veranstaltungen ein verzerrtes Bild des Soldatenalltags, sagt er. Jugendliche seien schnell von der Technik begeistert, durchdrängen die Realität im Kasernenalltag oder von Auslandseinsätzen aber nicht. Ein junger Besucher am Gamescom-Auftritt der Bundeswehr zeigt sich angetan. Er kommentiert, der Stand sei halt „irgendwie cool“.

Für mehr Gaming-Angebote hat ein Soldat ein einfaches Spiel mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz weiterentwickelt, die Bundeswehr-Einheit der Elektronischen Kampfführung ist ebenfalls vor Ort. 150 Quadratmeter groß ist der Gamescom-Stand - 50 Quadratmeter größer als vergangenes Jahr. Seit 2009 ist die Armee auf der Gamescom. Eine Statistik, wie viele Neueinstellungen auf den Erstkontakt bei der Messe zurückzuführen sind, gibt es nicht.

Doch der Stand zieht einige Besucher an. Ein junges Paar sagt, sie wollten „nur mal gucken“ und ein Mann mittleren Alters erinnert sich etwas nostalgisch an seine Zeit als Wehrdienstleistender - als heutige Nachwuchskraft kommt er wohl nicht mehr infrage. Ein anderer Mann trägt einen Jutebeutel mit der Werbeaufschrift für das Egoshooter-Spiel „Call of Duty: Black Ops 7“ über der Schulter. Er wirkt eher gelangweilt.

Egoshooter-Fans für die Bundeswehr?

Viele Spiele, die bei der Gamescom vorgestellt werden, sind brutal. Es spritzt Blut und ein Gegner nach dem nächsten muss erschlagen oder erschossen werden. Ein großer Teil der Besucher hat Gefallen an solchen Games. Ex-Soldat Adrian Novak gehört nicht dazu: „Egoshooter habe ich nie besonders gern gespielt, eher Wirtschaftssimulatoren. Aber ein echtes Maschinengewehr in der Hand zu halten fühlte sich im ersten Moment schon toll an, und mächtig.“

Dass die Armee ausgerechnet bei der Computerspiele-Messe die Werbetrommel rührt, stößt auf Kritik. „Die Bundeswehr hat auf der Gamescom nichts zu suchen“, sagt Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). „Gamer simulieren bei Killerspielen das Töten in wechselnden Rollen, beim Spielen werden sie für das Töten des Feindes mit Bonuspunkten belohnt“, sagt Grässlin. „Im Falle einer Verpflichtung für die Bundeswehr könnte es passieren, dass aus dem virtuellen Spiel mit der Waffe brutale Realität auf dem Schlachtfeld wird.“ Er halte diesen Weg der Personalgewinnung für falsch.

„Die Bundeswehr gehört nicht auf eine Messe, wo es um Jugendkultur geht“

Auch das Evangelische Jungendreferat Köln, das auf der Messe die evangelische Kirche vertritt, sieht den Armee-Auftritt kritisch: „Die Bundeswehr gehört nicht auf eine Messe, wo es um Jugendkultur geht. Und so eine Messe ist die Gamescom“, sagt Daniel Drewes, der das Jugendreferat leitet sowie mit der Kampagne „Unter 18 nie!“ gegen Rekrutierungsprogramme der Bundeswehr an Schulen mobilisiert hat.

„Wenn man das Militär aus dem Alltag raushaben möchte, ist es problematisch, dass die Bundeswehr auf der Gamescom auftritt“, sagt Christian Reuter. Der Informatiker-Professor forscht in Darmstadt zu Friedensprozessen, Sicherheitstechnik und Digitalisierung im Militär. „Allerdings kann das Anwerben von Gamern auf der Gamescom sinnvoll für die Bundeswehr sein, weil sie damit eine relevante, junge, technikaffine Zielgruppe erreicht.“

Den Standpunkt eines großen Fachkräftepotentials für das Militär teilt auch der Branchenverband Game. „Die Gamerinnen und Gamer bringen ganz viele Kompetenzen mit, die man heute in der Berufswelt braucht: Sie sind digital, gut in der Kommunikation, können gut im Team arbeiten und sind stressresistent“, sagt Verbandsgeschäftsführer Felix Falk. „Selbst wenn sie 30 Mal in einem Level scheitern, bleiben sie dran und schaffen es beim 31. Mal.“

Der Digitalverband Bitkom misst dem Gaming seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine „eine ganz neue Bedeutung“ bei und weist darauf hin, dass talentierte Gamer für das ukrainische Militär rekrutiert werden, um Drohnen zu steuern. Auch bei der Bundeswehr seien Fähigkeiten von Gamern gefragt, etwa der Umgang mit Joystick und Controller, Reaktionsschnelligkeit und Multitasking. Diese Fähigkeiten könnten durch Videospiele geschult werden, heißt es vom Verband.

Neues Computerspiel bekämpft Extremismus

Nebenschauplatz beim NRW-Verfassungsschutz auf der Gamescom: Statt wie die Bundeswehr und der BND mit Computerspielen Sicherheitspersonal anzuwerben, hat die Behörde zwei Games für Extremismusprävention entwickelt. „Wer ist Bilal“ soll Gamer für Islamismus sensibilisieren, NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat das Spiel am Mittwoch auf der Gamescom vorgestellt. Der Vorgänger „Leons Identität“ von 2020 klärt über Rechtsextremismus auf und hat mittlerweile rund 350.000 Downloads. (mit dpa)