BüromarktZwischen Barista und Homeoffice – Hybride Arbeitsmodelle immer gefragter

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann arbeitet aus einem amerikanischen Café.

Ein Mann arbeitet aus einem amerikanischen Café.

Die Arbeitswelten sind im Umbruch. Das erfordert sowohl von Führungskräften als auch von Untergebenen neue Qualitäten.

Jürgen Schlag weiß, was Firmen mit vielen Schreibtischjobs umtreibt. „Ihre größte Frage ist, wie bekomme ich die Menschen wieder ins Büro“, sagt der Geschäftsführer des Büroplaners Designfunktion. Raus aus dem Homeoffice nach drei Corona-Jahren ist aber nicht das, was viele Arbeitnehmer wollen.

Wie dieses Spannungsfeld aufgelöst werden kann, haben Experten in Nürnberg diskutiert. Klar ist, dass Beschäftigte Blut geleckt haben und ihnen vor allem eine hybride Mischung aus Büro- und Heimarbeit einiges wert ist. „Befragte setzen die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten mit fünf Prozent Lohnerhöhung gleich“, sagt der Vizechef des Ifo-Zentrums für Makroökonomik, Matthias Dolls.

Ein Unterteller mit dem Aufdruck „Fika“ liegt neben zwei Zimtschnecken und zwei Bechern mit Kaffee. Fika bedeuteet „Kaffee trinken“ oder „Kaffeepause machen“.

Ein Unterteller mit dem Aufdruck „Fika“: Das bedeutet in Skandinavien „Kaffee trinken“ oder „Kaffeepause machen“.

Das sei ein globaler Durchschnittswert, der sich bei Befragungen in vielen Ländern von 2021 bis heute herauskristalliert habe, sagt der Wirtschaftsforscher. Deutsche Arbeitnehmer ordnen Homeoffice sogar knapp sechs Prozent Lohnerhöhung zu. So etwas gibt man nicht leicht wieder her, wenn man es einmal hat. Das gilt heute für jeden vierten Beschäftigten. Denn so viele arbeiten aktuell teils oder ganz weiter im Homeoffice. Vor der Pandemie war es zum Vergleich nur etwa jeder Zehnte.

Weniger Menschen wollen lange Wege pendeln

Betroffene arbeiten pro Arbeitswoche hierzulande im Schnitt 1,1 Tage im Homeoffice, hat Dolls ermittelt. Das sei so beliebt, dass gut jeder Vierte bereit sei, dafür den Arbeitgeber zu wechseln. Dazu passt eine andere Erkenntnis: Seit 2021 steige die Bereitschaft, für eine Stelle weiter zu pendeln, nachdem sie jahrelang stagniert habe, sagt Wolfgang Dauth vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

„Das gilt aber nur für Berufe, die sich für mobiles Arbeiten eignen“, betont der Arbeitsmarktforscher. Wer nur noch ein paar Arbeitstage pendeln müsse, nehme dafür eben längere Strecken in Kauf. „Für Firmen steigt dadurch das Arbeitskräftepotenzial“, stellt Dauth klar. Mittels Homeoffice-Modellen könnten Firmen auch leichter die Inklusion von Menschen mit Behinderungen vorantreiben. Profitieren würden dabei aber bislang nur Firmen aus der Großstadt, weil sie Homeoffice-Vorreiter seien und Firmen am Land eher konservativ und traditionellen Arbeitswelten verhaftet.

Als Vorreiter sieht sich die Nürnberger Softwarefirma Datev. „Präsenz war vor Corona bei uns der Normalzustand“, sagt Datev-Personalchefin Julia Bangerth. Dann kam pandemiebedingtes Homeoffice und eine überraschende Erkenntnis. „Das funktioniert besser, als wir uns vorgestellt haben“, erzählt die Personalerin. Voriges Jahr dann seien mit dem Auslaufen der Pandemie Ängste im Personal entstanden, wieder fünf Tage die Woche ins Büro zu müssen. „Es war klar, wir brauchen schnell eine Betriebsvereinbarung“, sagt Bangerth und schildert den Weg dorthin.

Bürogebäude zu 30 bis 40 Prozent belegt

Eine pauschale Regelung zur wöchentlichen Dauer von Homeoffice für alle lasse immer Verlierer und Unzufriedene zurück, warnt sie. Die von Datev gefundene Lösung klingt revolutionär. „Das Team entscheidet, nicht die Führungskraft und wir haben das bisher nicht bereut“, sagt Bangerth zu einer Art selbstverwaltetem Homeoffice. Resultat der Freiheit: „Die Anwesenheit nimmt wieder zu und pendelt sich bei 30 bis 40 Prozent Gebäudeauslastung ein“, freut sich die Datev-Personalchefin.

Ein Selbstläufer sei das aber nicht - und selten im ersten Anlauf erfolgreich. „Es braucht neue Kompetenzen im Team und bei Führungskräften“, betont sie. Führen auf Distanz sei eine Herausforderung, bei der Vertrauen gefragt sei, was manchem Vorgesetzten schwer falle. Bei Beschäftigen wiederum sei ein neues Maß an Selbsteinschätzung gefragt. Was erarbeite ich besser zu Hause, was besser im Büro? „Das ist nicht leicht, wenn man 20 Jahre lang gesagt bekommen hat, das ist dein Schreibtisch und hier ist deine Arbeit“, warnt Bangerth.

Datev habe Führungskräfte deshalb nun spezialisiert. Es gebe welche rein für das Fachliche, andere für Team-Belange und dritte für rein Menschliches. „Anfangs wollten alle die fachliche Rolle haben und haben Führungskräfte-Personal belächelt als die, die mit den Leuten Kaffee trinken“, erzählt die Managerin. Das habe sich aber verändert, als der Mehrwert offensichtlich wurde, der auch für Firma und Produktivität in persönlicher Ansprache steckt.

Die Frage sei nicht Homeoffice oder Büroarbeit, sondern die bestmögliche Verknüpfung von beidem, findet auch Büroplaner Schlag. Wie die Arbeitswelt einer Firma aussieht, sei ein wichtiger Teil der Unternehmens-DNA, die von Beschäftigten stark wahrgenommen wird. Büroräume nach dem Vorbild von US-Konzernen wie Google mit Wohlfühlinseln, Barista und Orten zum Treffen zu gestalten sei das eine, Vertrauensarbeitszeiten und Vertrauensarbeitsorte zuzulassen das andere.

Das Problem, innerbetrieblich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu schaffen zwischen Jobs, die Homeoffice-fähig sind und denen, wo das nicht geht, werde künftig auch durch künstliche Intelligenz und Digitalisierung kleiner werden, glaubt Schlag. „In Fertigungsbetrieben wird es künftig möglich sein, Maschinen auch von zu Hause aus zu steuern“, meint er. Büroarbeit werde es aber auch in Zukunft weiterhin geben. (RND)

KStA abonnieren