3 Milliarden Euro: So groß war im vergangenen Jahr der Schaden für den Einzelhandel durch Ladendiebstahl. In den Fokus rücken organisierte Banden.
Handel warnt vor BandenImmer mehr Ladendiebstahl – Wenn Supermärkte selbst den Kaffee wegschließen

Ein Mann steckt in einem Supermarkt eine Flasche mit einem alkoholhaltigen Getränk in seinen Rucksack. (Symbolbild)
Copyright: Oliver Berg/dpa
Der Kaffee steht jetzt hinter der Kasse. Weil die Päckchen zu oft geklaut wurden, hat Kristin Köbernik die Reißleine gezogen. Wer eins möchte, muss nun an der Kasse fragen, so als ginge es dabei nicht um Kaffeebohnen, sondern um Zigaretten.
Köbernik ist Inhaberin eines Edeka-Markts im Berliner Stadtteil Wannsee. Dort beobachtet sie etwas, das derzeit viele Einzelhändler in Deutschland umtreibt: Eine Zunahme der Diebstähle. „Das hat überhandgenommen“, erklärt sie ihren Schritt, den Kaffee hinter die Kasse zu verbannen. Köbernik hat Ladendetektive eingesetzt und ihre Mitarbeiter geschult, doch immer wieder fehlen Artikel. Neben Kaffee lassen die Diebe auch gerne Shampoo oder Schokolade mitgehen: „Alles, was sich gut auf der Straße verkaufen lässt.“
Knapp 3 Milliarden Euro Schaden
Ein Trend, der den Handelsverband Deutschland (HDE) alarmiert. „In den letzten beiden Jahren erreichten die Schäden durch Ladendiebstahl in Deutschland neue Rekordhöhen“, sagt ein HDE-Sprecher Stefan Hertel dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). 2024 seien Waren im Wert von knapp 3 Milliarden Euro unbezahlt an den Kassen vorbeigegangen.

Grafik zur Zunahme von Ladendiebstählen
Copyright: dpa
Die Zahlen kommen vom Kölner Handelsforschungsinstitut EHI und beruhen auf einer Einschätzung von befragten Unternehmen. 2023 lag die Schadenssumme demnach noch bei 2,82 Milliarden Euro und ein Jahr davor bei 2,44 Milliarden Euro, wobei bedacht werden muss, dass in dieser Zeit auch die Inflation hoch war. Beim Diebesgut ragen Alkohol, hochwertige Kleidung und Schuhe, Elektroartikel, Tabak, Düfte sowie Kosmetik heraus.
„Gruppen sind so geschickt“
Zwar ging die Zahl der Ladendiebstähle 2024 im Vergleich zum Vorjahr zurück, wie aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) hervorgeht. Allerdings liegt sie damit noch immer höher als vor zehn Jahren. Und das bilde noch nicht einmal die Realität ab, betont Hertel. „Denn viele Händler zeigen längst nicht mehr alle Ladendiebstähle an“, sagt der HDE-Sprecher. Viele seien frustriert, weil die Anzeigen selten zu einer Verurteilung und einer Sanktionierung der Täter führen würden. Dann ersparen sie sich lieber den bürokratischen Aufwand, so Hertel.
Kristin Köbernik tut das schon, allerdings läuft die Anzeige dann in der Regel gegen unbekannt. Manchmal sieht sie sogar via Kamera, wer die Ladendiebstähle begangen hat. „Das ist nicht die Omi von nebenan“, erklärt sie. Sorge bereitet ihr eher etwas anderes: „Das größte Problem ist, dass das so organisiert ist“, sagt sie. „Die Gruppen sind so geschickt, dass wir das oft gar nicht mitkriegen.“
Kopelke: Je organisierter die Täter, desto größer der Schaden
Auch das ist ein Problem, vor dem der Handelsverband warnt. „Insbesondere die immer dreister vorgehenden Banden und gewerbsmäßige Ladendiebe machen der Branche große Sorgen“, sagt HDE-Sprecher Hertel. Sein Verband fordert deshalb ein ganzes Paket an Maßnahmen, um dagegen vorzugehen: Eine höhere Mindeststrafe bei schweren beziehungsweise bandenmäßig organisierten Diebstählen etwa oder eine Bewertung des gewerbsmäßigen Diebstahls als schweren Diebstahl. Polizei und Justiz müssten konsequenter und abschreckender agieren, findet Hertel.
Ladendiebstahl ist und bleibt in Deutschland ein sehr großes Problem und Ärgernis
Jochen Kopelke, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sieht das ähnlich. „Ladendiebstahl ist und bleibt in Deutschland ein sehr großes Problem und Ärgernis“, sagte er dem RND. „Je organisierter die Täter auftreten, desto größer der Schaden.“ Allerdings sei die hohe Zahl an Einstellungen durch die Staatsanwaltschaft erschreckend - selbst bei Mehrfachtätern oder Intensivtätern.
„Oft wird kein öffentliches Interesse als Vorwand aufgeführt“, sagt er. „Ein solcher Vorgang kann in wenigen Tagen erledigt sein, dauert aber oft Monate und endet dann für alle so ärgerlich. Das macht fassungslos und wirkt wie ein Kampf gegen Windmühlen“, kritisiert er. Was es brauche, seien eine sofortige Anklage oder ein sofortiger Strafbefehl sowie das „konsequente Einsperren von Wiederholungstätern“, fordert er.
Welche Rollen spielen Selbstbedienungskassen?
Einzelhändler haben deshalb aufgerüstet und nehmen laut dem Handelsverband jährlich gut 1,5 Milliarden Euro in die Hand, um Diebstahl vorzubeugen. Neben Schulungen für Mitarbeiter geht es dabei um Sicherheitspersonal, um Videoüberwachung und neuerdings auch um KI-gestützte Programme. Auch die Selbstbedienungskassen, deren Zahl in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist, werden bedacht. „Wir sehen den Trend, dass die SB-Zone häufig nachgerüstet wird.
Bei manchen muss man beispielsweise noch den Bon vorhalten“, sagt EHI-Experte Frank Horst. Einen starken Zusammenhang zwischen der Zunahme von SB-Kassen und Diebstählen sieht er nicht. „Selbstbedienungskassen haben insgesamt einen marginalen Einfluss auf Diebstahlzahlen“, sagt er. Allerdings gebe es bei den SB-Kassen höhere Verluste. „Wir gehen davon aus, dass die Diebstahlquote dort um 20 bis 40 Prozent höher ist als bei anderen Kassen“, sagt er.
Auch Kristin Köbernik versucht, sich gegen die Diebstähle zu wehren. Oft sei es aber sowieso zu spät, sagt sie. „In dem Moment, wo wir bemerken, dass sie mit dem Einkaufswagen draußen sind, sind sie schon verschwunden.“