Mit 52.000 MitarbeiternSo organisiert eine Post-Leiterin den Paketboom in der Region

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Andrea Kruse vor dem Paketzentrum am Eifeltor

Köln – Wenn man Andrea Kruse fragt, wann der Paket-Boom seinen Anfang genommen hat, gibt sie eine sehr genaue Antwort: Ostern 2010. Damals ist Kruse Niederlassungsleiterin bei der Deutschen Post in Koblenz und eigentlich sind die Zeiten schwer: die Finanz- und Wirtschaftskrise hat Spuren hinterlassen, für den Konzern am deutlichsten zu spüren in der Insolvenz von Karstadt-Quelle – dem damals wichtigsten Kunden im Paketgeschäft.

Doch nach Ostern muss plötzlich unerwartet der Personalbedarf nachjustiert werden. „Wir waren davon ausgegangen, dass die Paketmengen saisonbedingt sinken würden“, sagt Kruse. „Das taten sie aber nicht. Stattdessen begann dieser unglaubliche Paket-Boom.“ Man sei damals „aus dem Tal der Tränen“ gekommen und habe erkannt: „Da entwickelt sich etwas Großes.“ Seitdem ist die täglich verschickte Paketmenge von 2,6 auf 5,9 Millionen im Jahr 2020 gestiegen. Der Onlinehandel boomt und damit auch die Logistik. In der Corona-Pandemie beschleunigte sich das Wachstum noch einmal stark – und beim Bonner Konzern rechnet man damit, dass die Entwicklung nachhaltig sein wird.

Verantwortlich für 52.000 Mitarbeiter

Das zu stemmen ist auch Andrea Kruses Aufgabe. Als Leiterin des Regionalen Geschäftsbereichs West verantwortet die 53-Jährige das Brief- und Paketgeschäft in Rheinland-Pfalz, Hessen, dem Saarland und weiten Teilen Nordrhein-Westfalens. Es ist der größte der vier regionalen Geschäftsbereiche, rund 52.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen unter Kruses Führung.

Ihre Karriere hat Kruse 1989 bei der Deutschen Post begonnen, die damals noch die Bundespost ist. Über die mehr als 30 Jahre arbeitet sie in verschiedensten Führungspositionen in verschiedensten Städten: im Filialbereich, in unterschiedlichen Niederlassungen, im Post-Tower in Bonn. Für das Gespräch ist sie ins Paketzentrum am Eifeltor gekommen und sie sagt: Ja, der Paket-Boom sei die größte Änderung seit sie im Unternehmen ist.

500.000 Pakete die Stunde verarbeitet

Ein Stockwerk und zwei Gänge weiter verwalten rund 130 Mitarbeiter in einer riesigen Halle an Sortierbändern die Sendungen, die später in die Paketzentren der Republik geschickt werden. „Wir können 500.000 Pakete in 24 Stunden verarbeiten“, sagt Sabine Keck, Leiterin des Paketzentrums. Insgesamt arbeiten hier 460 Menschen in mehreren Schichten, die meisten von ihnen Männer, nur 35 Frauen. Sie laden die Pakete aufs Band, bis zu 30.000 Stück die Stunde, packen sie in sogenannte Wechselkoffer, die dann auf LKW durchs Land fahren. Gesteuert werden die Abläufe aus einer Schaltzentrale mithilfe dutzender Visualisierungen, Grafen, Kameras.

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Aus der Schaltzentrale heraus sorgen Betriebslenker und Schrankenkraft für funktionierende Prozesse

Es herrscht Hochbetrieb – so wie schon seit Beginn der Corona-Pandemie: „Wir transportieren momentan permanent Mengen wie im Weihnachtsverkehr“, sagt Kruse „Aktuell ist die Situation besonders herausfordernd, denn einerseits verlieren wir durch die Feiertage Zeit, andererseits nutzen die Kunden die Gelegenheit, noch mehr zu bestellen.“

Das Mengenwachstum im ersten Quartal lag bei 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr, an Ostern waren zu Spitzenzeiten mehr als zehn Millionen Pakete täglich im Netz – im Rekordjahr 2020 lag der tägliche Durchschnittswert bei 5,9 Millionen pro Tag. „Wir arbeiten mehr oder weniger rund um die Uhr. Das Netzwerk muss funktionieren. Dazu brauchen wir genug Personalressourcen, die wir frühzeitig an Bord geholt haben. Das ist wichtig, um die Belastung der Beschäftigten nicht zu hoch werden zu lassen.“

Arbeitsbedingungen haben schlechten Ruf

Die Arbeitsbedingungen in der Paketbranche haben keinen guten Ruf. Hart ist die Arbeit, niedrig sind die Löhne. Kruse sieht hier ein strukturelles Problem. „Die Vorzüge der Logistik finden alle toll – aber sie soll bloß nichts kosten“, sagt sie. Das zeigten zum Beispiel die Diskussionen um Versandkosten – das schwebe über der Branche.

Im Gegensatz zu vielen Konkurrenten setzt die Deutsche Post jedoch kaum auf Subunternehmer. „Die 200.000 Mitarbeiter, die für uns arbeiten, sind unsere Leute und erhalten Tariflohn.“ Das letzte Mal einigte man sich im September mit Verdi auf eine Lohnerhöhung um insgesamt drei Prozent. Außerdem zahlte die Deutsche Post allen Beschäftigten einen Corona-Bonus von 300 Euro.

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Pakete auf dem Weg in den Wechselkoffer

Das Erstarken des Paketgeschäfts sei eine Chance gewesen, so Kruse. „Von 1989 bis 2009 waren wir es gewohnt, zu rationalisieren. Das ist vom Fahrgefühl her nicht immer schön. Aber seit 2010 können wir Wachstum gestalten.“ Gerade jetzt, in der Pandemie, kämen viele neue Mitarbeiter dazu, die in der Krise ihren Job verloren hätten.

„Nicht im Kasernenton“

Mehr Personal in einer Branche, in der zu Pandemiezeiten Homeoffice  unmöglich ist – dazu braucht es Umstellungen. Nur mit Veränderungen im Schichtsystem können in den Paket- und Briefzentren Abstände sichergestellt werden. Neben den Schildern, die man am Eifeltor genau so findet wie überall sonst – Abstand halten, Händewaschen, Einbahnstraße – tragen die Mitarbeiter einen sogenannten Safe Tag.

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Der personalisierte Chip löst ein lautes Piepen aus, wenn man einander zu nahe kommt – und kann im Falle einer auftretenden Corona-Infektion genaue Daten ausspucken, wer zu wem Kontakt hatte und in Quarantäne muss. „Wir sind hinterher, dass möglichst alle sie tragen“, sagt Sabine Keck. „Natürlich gibt es immer jemanden, der das nicht möchte. Da müssen wir dann klärende Gespräche zwecks Nachverfolgung der Kontakte während des Dienstes führen. Denn am Ende hilft es allen.“

Auch Andrea Kruse betont, sie wolle nicht, „dass im Kasernenton gearbeitet wird“: „Führungskräfte müssen erklären können, worum es ihnen geht.“ Wenn sie über ihre Art der Führung spricht, hebt sie zwei Dinge hervor, die ihr wichtig sind: Kommunikation als Basis der Zusammenarbeit, und gut funktionierende, gut dokumentierte Prozesse. Nur so kommen am Ende Millionen Päckchen ans Ziel. 

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