Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Neue TherapieansätzeBayer macht Parkinson-Patienten Hoffnung

6 min
Forscher im Gentechnik-Labor der Bayer-Tochter Viralgen in San Sebastián bei Bilbao.

Bei der Bayer-Tochter Viralgen wird an Gentherapien gearbeitet, die Parkinson nicht nur besser behandelbar machen sollen, sondern womöglich heilbar.

Gen- und Zelltherapien könnten Millionen von Parkinson-Patienten weltweit helfen. Bayer wiederum könnte bei einem Erfolg zu den Top-Pharmakonzernen aufschließen.

Die Standardtherapie gegen Parkinson ist alt, uralt sogar. Seit den 1970er Jahren erhalten Patienten Levodopa, eine Vorstufe des Botenstoffs Dopamin. Der fehlt im Gehirn der Parkinson-Patienten. Seither wurde die Therapie verfeinert, etwa durch Implantate, die elektrische Impulse abgeben, um die Aktivität von Nervenzellen und damit den Dopaminausstoß anzuregen. Aber auch diese sogenannte tiefe Hirnstimulation hat die Situation für Parkinson-Betroffene nicht entscheidend verbessert. Da sei, „als ob wir heute noch mit einem Festnetztelefon mit Wählscheibe telefonieren würden“, sagt Bayer-CEO Bill Anderson. Der Pharmariese will das nun ändern. Fundamental neue Therapieansätze sind bei ersten Patienten getestet worden und die Ergebnisse machen Hoffnung, dass in nicht allzu ferner Zukunft Parkinson nicht nur behandelbar sein wird, sondern heilbar.

Zwei Bayer-Töchter verfolgen unterschiedliche Therapieansätze

Bayer verfolgt dabei zwei unterschiedliche Ansätze. Für beide hat der Konzern in der Vergangenheit US-Know-how zugekauft. Bluerock, ein Spezialist für Zelltherapien, gehört seit 2019 zum Bayer-Konzerngeflecht; Askbio, fokussiert auf Gentherapien, kam 2020 dazu. Beide Töchter operieren weitgehend eigenständig. Bei Bayer spricht man davon, sie arbeiteten „auf Armeslänge“. Will heißen: Der Konzern erdrückt seine Biotech-Töchter nicht, lässt sie an der langen Leine, behält aber immer die Kontrolle. Das scheint sich nun auszuzahlen.

Bei der jährlichen Zusammenkunft der Unternehmensspitzen von Bayers Pharma-Division, Askbio und Bluerock in San Sebastián bei Bilbao verbreitet das Management Optimismus. Sowohl Bluerock als auch Askbio haben in klinischen Tests ermutigende Ergebnisse erzielt. Beide haben daraufhin von der US-Arzneimittelbehörde FDA den begehrten RMAT-Status bekommen, die Erlaubnis für ein beschleunigtes Zulassungsverfahren. Bluerock überspringt mit seiner Parkinson-Therapie Bemdaneprocel nach positiven ersten Tests gar die Phase-II-Erprobung und weitet die Gabe an Parkinson-Patienten direkt auf eine deutlich umfangreichere Phase-III-Studie aus.

Ein „Ersatzreifen“ für die defekte Zelle

Das Besondere daran: Bisherige Parkinson-Therapien haben immer versucht, die Symptome zu bekämpfen, sprich, den Mangel an Dopamin durch Gabe von Levodopa zu kompensieren. Das versetzt die verbliebenen Nervenzellen in die Lage, ihre Produktion an dem Botenstoff zu erhöhen. Es stoppt aber nicht das ursächliche Absterben der Nervenzellen. Irgendwann sind einfach nicht mehr genug Zellen da, die mit Levodopa stimuliert werden könnten. Patienten erleben dann, dass ihr Körper ihnen nicht mehr gehorcht. Lähmungen, das charakteristische Zittern, aber auch Gleichgewichtsstörungen sind Symptome der quälenden Krankheit. Bei Bayer forscht man nun an Wegen, die Ursache, nämlich den Verlust von Zellen, zu stoppen oder die bereits verlorene Zellsubstanz sogar wieder herzustellen.

Wie funktionieren die beiden Therapien nun? Bluerocks Zelltherapie basiert darauf, die abgestorbenen Nervenzellen im Gehirn durch neue, im Labor gezüchtete, zu ersetzen. Die Nervenzellen werden operativ in der betroffenen Hirnregion implantiert und integrieren sich dann in das neuronale Netz des Patienten. Askbio wiederum versucht, genetische Defekte innerhalb bestehender Zellen auszugleichen. Im Fall von Parkinson könnten so Probleme durch beschädigte Genabschnitte, die für das Zellwachstum zuständig sind, durch das Einschleusen funktionierender Gensequenzen kompensiert werden.

Stefan Oelrich, Leiter von Bayers Pharma-Sparte, veranschaulicht den Vorgang. Der hinzugefügte DNA-Abschnitt sei wie ein „Ersatzreifen“ für ein Fahrzeug. Weil der ursprüngliche Reifen beziehungsweise die ursprüngliche Zell-DNA beschädigt sei, springe der Ersatz ein und stelle sicher, dass die Zelle weiter funktioniere.

Die Datenlage ist noch dünn. Gerade einmal an einem Dutzend Patienten wurde das Bluerock-Verfahren bislang erprobt, elf erhielten die Askbio-Spritze, mit der die Ersatz-Gene eingeschleust werden. Rückschläge sind alles andere als unwahrscheinlich. Für Bayer eröffnen die Therapieansätze aber die Chance auf einen riesigen Markt. Zehn Millionen Menschen leiden weltweit an Parkinson. Mit der älter werdenden Erdbevölkerung steigt die Zahl unweigerlich an.

Massenfertigung von Gentherapien steckt noch in der Entwicklung

Bayer kontrolliert mit der in San Sebastián ansässigen Tochter Viralgen zudem auch eine Firma, die über die Technologie verfügt, gentherapeutische Dosen im kommerziellen Maßstab herzustellen. Parallel zu den klinischen Studien arbeiten die Spanier bereits daran, einen stabilen Prozess für die Massenfertigung von Gentherapien zu entwickeln.

Das ist alles andere als trivial. Anders als bei Medikamenten können schon Verunreinigungen auf Partikelebene ganze Chargen kontaminieren. Die Vervielfältigung von Träger-Viren und die Verschmelzung mit den gewünschten DNA-Abschnitten gelingt nur unter ganz bestimmten Bedingungen und ist beispielsweise von Nährstoffversorgung, Temperatur, Druck oder Dichte der Lösung abhängig. Das Know-how liegt ganz entscheidend in der Bewältigung des Herstellungsverfahrens. Bei Bayer geht man so weit zu sagen: „Der Prozess ist das Produkt.“

Bayer-Blockbuster Xarelto und Eylea verlieren ihren Patentschutz

Nicht nur die Millionen Parkinson-Patienten haben eine Kur aus dem Hause Bayer bitter nötig, auch der Konzern ist auf Erfolge aus der Pharma-Sparte angewiesen. Der bisherige Verkaufsschlager, der Blutverdünner Xarelto, verliert ab 2026 seinen Patentschutz. Günstige Nachahmerprodukte werden in kürzester Zeit Milliardenumsätze bei Bayer wegschmelzen lassen. Damit gleiches nicht mit Bayers zweitem Blockbuster, dem Augenmedikament Eylea, passiert, hält der Konzern mit einer neuen Medikation in erhöhter Dosis gegen. Der Vorteil: Die unangenehme Spritze ins Auge muss nicht mehr in monatlichen Abständen erfolgen, sondern nur noch halbjährlich.

Ob Bayers Neulinge, das Nierenmedikament Kerendia und Nubeqa zur Behandlung von Prostatakrebs, die Umsatzrückgänge kompensieren können, ist dennoch alles andere als gewiss. Von den beiden Spitzenmedikamenten abgesehen sei man mit der Pharma-Pipeline von Bayer keineswegs zufrieden, gab das Top-Management unumwunden zu.

Der Bayer-Vorstandsvorsitzende Bill Anderson bei der Hauptversammlung 2025.

Bayer-CEO Bill Anderson hat den Konzern entschlackt, Hierarchieebenen gestrichen und Verantwortung an die operativen Einheiten im Unternehmen verlagert.

Der Erfolgsdruck ist umso höher, da auf dem Bayer-Konzern nach wie vor Schulden von deutlich über 30 Milliarden Euro lasten. Die Aktionäre verzichten noch mindestens bis 2026 auf den Großteil ihrer Dividende, um dem Unternehmen Spielraum bei der Bewältigung der Glyphosat-Klagen in den USA zu geben. Der Börsenkurs ist entsprechend seit Jahren ein Trauerspiel.

Fragen nach dem Marktpotenzial der neuen Parkinson-Therapien weicht das Bayer-Management in San Sebastián konsequent aus. Dass sie das Blatt für Bayer wenden könnten, scheint indes gewiss. Bei Bayer zielt man seit einigen Jahren höher. „First in class or best in class“, lautet die eingängige Formel. Statt die Wirksamkeit von Konkurrenzprodukten einfach nur soweit zu überbieten, dass ein neues Arzneimittel zugelassen wird, will man gänzlich neue Therapien entwickeln. 40 Prozent der Pharma-Pipeline sind der radikalen Neuausrichtung auf solche Kandidaten 2021 zum Opfer gefallen.

Vom schwerfälligen Konzern zum „Unternehmen aus 2000 Start-ups“

Vom Konzerndenken, deutsch, detailversessen, schwerfällig, sei man derweil weggekommen, versichert die Bayer-Führung einhellig. Man habe ein „Unternehmen bestehend aus 2000 Start-ups“ geschaffen, schwärmt etwa Bill Anderson. Entwicklungszyklen seien drastisch verkürzt, Hierarchieebenen gestrichen worden, Verantwortung sei weg von Budgetplanern in der Unternehmensspitze hin zu den operativen Einheiten verlagert worden.

Anderson verkörpert diese neue Beweglichkeit mit jeder Pore seiner Person. Der Top-Manager, der auch die Reise zu wichtigen Teammeetings schon mal unrasiert im T-Shirt antritt statt im Hemd, sich im Sterne-Restaurant, wenn alle am Schaumwein nippen, ein Glas Bier bringen lässt und bei Tisch sein Handy ans Weinglas lehnt, um die Nachspielzeit von Bayer gegen Kopenhagen in der Champions League zu verfolgen, hat kräftig dazu beigetragen, Bayer einen neuen Spirit einzuhauchen. Ob der ausreichen wird, den angeschlagenen Riesen wiederzubeleben, liegt nicht in seiner Hand. Eine neue Firmenkultur erzwingt noch keine Erfolge in klinischen Studien. Vieles deutet aber darauf hin, dass Bayer die richtigen Wetten eingegangen ist, um solche Erfolge zu ermöglichen.