Der nordrhein-westfälische Arbeitgeberpräsident und Unternehmer Arndt Kirchhoff spricht über die prekäre Lage der Industrie und lobt die Pläne des Kölner OB.
NRW-Arbeitgeberpräsident„Die abschlagsfreie Rente mit 63 muss weg“

NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff im Gespräch im Neven DuMont Haus
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Herr Kirchhoff, von einer Arbeitnehmer-nahen Stiftung ist eine Studie herausgekommen, die sagt, die mediale Darstellung der Lage der deutschen Wirtschaft sei negativer als die Realität. Wie beurteilen Sie das?
Arndt Kirchhoff: Unser Land hat nach wie vor ein gutes Fundament. Innovative Unternehmen, eine hervorragende Universitäts- und Forschungslandschaft, dazu zahlreiche Start-ups, die sich im Zuge der Digitalisierung einen Namen machen. Die tatsächliche Wirtschaftslage insbesondere in der Industrie ist jedoch sehr ernst. In der chemischen Industrie haben wir derzeit eine Auslastung von 70 Prozent, das ist viel zu wenig. In der Metall- und Elektroindustrie ist die Produktion im Vergleich zu 2019 um 23 Prozent eingebrochen. Beides ist dramatisch – und das macht sich deutlich in den Ergebnissen bemerkbar. Und es hat Auswirkungen darauf, ob wir hierzulande die Transformation erfolgreich bewältigen können. Denn wenn die Ergebnisse nicht so sind, wie sie sein müssten und das bei hierzulande schlechten Wettbewerbsbedingungen, bleiben hauptsächlich die dringend notwendigen privaten Investitionen aus.
Sie sprechen von den Bedingungen am Standort Deutschland?
Ja, denn unser Land fällt im internationalen Standortwettbewerb weiter zurück. Verglichen mit unseren europäischen Nachbarländern in Ost und West sind wir schlicht zu teuer, das belegen die Statistiken. Nehmen Sie die Arbeitskosten – und hier im Besonderen den rapiden Anstieg der Lohnzusatzkosten. Wenn wir nicht gegensteuern, sind wir bei den Beiträgen für Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung auf dem Weg von zuletzt noch 40 Prozent, die lange Zeit der Deckel waren, auf 50 Prozent Mitte der 30er Jahre. Das würde für die Unternehmen die Produktion in Deutschland nochmals massiv verteuern. Und unsere Belegschaften in der Industrie merken es im Geldbeutel, weil ihnen vom eigentlich hohen Brutto immer weniger netto bleibt. Das trifft den privaten Konsum empfindlich.
Lob für Burmesters Bürokratie-Pläne
Was sind die einzelnen Ursachen für eine so lange Rezession?
Neben den hohen Kosten hat vieles mit unserer überbordenden Bürokratie zu tun. Auch sie hemmt Investitionen. Da müssen wir uns viel mehr Mühe geben, um Geschwindigkeit aufzunehmen – etwa bei Baugenehmigungen. Wir alle wissen, dass wir viel mehr private Investitionen brauchen. Dafür müssen aber auch mehr neue Flächen ausgewiesen werden, um den Strukturwandel zu beschleunigen. Hier sind wir nicht nur zu langsam, wir machen es einfach nicht. Das ist auch eine Frage der Kommunen und der Regierungspräsidenten, die hier in der Verantwortung stehen. Wir haben auch nicht mehr die Zeit, erst noch auf einen mehrjährigen Plan zu warten. Wenn wir neue Firmen – möglichst mit neuen Technologien oder Dienstleistungen – ansiedeln wollen, dann müssen wir ihnen auch kurzfristig die benötigten Flächen verschaffen. Dies wird nicht immer dort gehen, wo noch alte Industrieanlagen stehen. Die können wir aber auch noch später abreißen und renaturieren. Hier erwarte ich viel mehr Pragmatismus und weniger Ideologie.
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Arndt Kirchhoff ist seit 2016 Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen (Unternehmer NRW). Geboren in Essen, ist er seit 2023 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Kirchhoff Gruppe mit Sitz in Iserlohn. Nach dem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens und des Maschinenbaus an der TU Darmstadt war Arndt G. Kirchhoff zunächst Leiter der zentralen Auftragsabwicklung Deutsche Babcock Werke AG, bevor er 1990 geschäftsführender Gesellschafter der Kirchhoff Gruppe wurde.
Wie finden Sie den Ansatz des neuen Kölner Oberbürgermeisters Torsten Burmester (SPD), ein Bürokratie-begrenzendes Querschnittsgremium zu schaffen?
Das finde ich sehr gut. Wir haben gerade in der öffentlichen Verwaltung oft ein Silo-Denken, wo jeder nur seine Aufgabe und seinen Bereich sieht, ohne über den Tellerrand hinauszuschauen. Das ist sehr langsam und führt zu unglücklichen Prozessen. Bürokratiebegrenzung als Querschnittsthema zu managen, ist daher genau der richtige Ansatz. So machen wir es in Unternehmen ja auch. Man gibt einem Projektleiter ein Thema und sagt: ‚Ihr habt jetzt Vorfahrt.‘ Wir nennen das Matrixorganisation. Im Mittelstand geht das dann ruckzuck.
Wie haben Sie Bärbel Bas’ Aufruf zum Kampf gegen Arbeitgeber auf dem Juso-Bundeskongress aufgenommen?
Das war natürlich völlig daneben. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften haben im Laufe der Jahrzehnte immer wieder bewiesen, dass sie sich mit der Perspektive der jeweils anderen Seite intensiv auseinandersetzen und dann zu tragfähigen und verlässlichen Lösungen kommen können. Damit haben die Sozialpartner bei allen Gegensätzen und unterschiedlichen Interessenlagen viel zur politischen Stabilität im Land beigetragen. Gerade in ruppigen und volatilen Zeiten wie diesen tun wir alle gut daran, an diesem Miteinander als Säule unserer sozialen Marktwirtschaft festzuhalten.
Druck auf Zollpolitik erhöhen
Welche Auswirkungen hat die erratische Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump?
Die sorgt natürlich für große Unsicherheiten. Nachdem hier unsere jahrzehntelange regelbasierte Ordnung immer mehr verlassen wird, wissen die Firmen bei Amerika-Geschäften nicht mehr, wie sie kalkulieren sollen, wenn sie in einem oder zwei Monaten liefern müssen. Das Geschäft wird riskanter, weil keine Verlässlichkeit bei den Zöllen besteht.
Also lasse ich es, Geschäfte abzuschließen?
Natürlich wird teilweise aus Risikogründen auf Geschäfte verzichtet. Das hat für uns massive wirtschaftliche Folgen. Amerikaner und Chinesen sind unsere wichtigsten Handelspartner. Man muss eines wissen: Im Automobilbereich haben beide Länder untereinander einen sehr geringen Handel. Sie verkaufen jeder weniger als ein Prozent ihrer Autos im jeweils anderen Land. Zwar treiben sie sich mit den Zöllen in die Höhe, doch das macht ihnen nur wenig aus. Unsere Autoindustrie dagegen verkauft im zweistelligen Prozentbereich sowohl in den USA als auch in China. Wir sind voll in der Zange.
Wie kommen wir da nun wieder raus?
Wir sollten uns nicht überschätzen, aber wir müssen uns schon wehren. Und das kann auch gelingen. Denn wir verfügen über Technologien in Deutschland, die weder die Chinesen noch die Amerikaner haben. Wäre ich Politiker, würde ich da mal hingucken. Es gibt Produkte in wachsenden Marktsegmenten, bei denen beide Länder von Deutschland abhängig sind. In Amerika und China würde nur wenig stattfinden, wenn Deutschland sagen würde: ‚Wenn ihr hier das macht, dann kriegt ihr dort auch nichts mehr.‘ Das wäre eine Antwort auf Augenhöhe, also ein Level-Playing-Field.
„Rückkehr zu Freihandel ist möglich“
Gibt es eine realistische Chance, zu einem Freihandel zurückzukehren?
Für die ganze Menschheit wäre das vernünftig, und ich halte es auch durchaus für möglich. In Amerika zieht gerade die Inflation auf knapp drei Prozent an. Jetzt wird es langsam ungemütlich für den amerikanischen Verbraucher. Das ist etwas, was Donald Trump gar nicht mag. Der amerikanische Präsident muss sich nun fragen, wo das eigentlich herkommt. Und natürlich liegt es an diversen Zöllen. Ein Beispiel: Die Spediteure in den USA kaufen gerade keine Lkw, weil sie nicht wissen, wie viel und welche Waren etwa aus Deutschland oder China sie noch transportieren dürfen. Daher fahren sie die alten Lkw einfach weiter. Für die betroffenen Unternehmen ist das eine Katastrophe. Und deshalb sehe ich schon die Chance, dass Trump seine Zollpolitik überdenkt. Dass unsere Bundesregierung jetzt viel unterwegs ist, um mit anderen Regionen der Welt Freihandelsabkommen zu schließen, begrüße ich umso mehr.
Der Kanzler ist als Sauerländer Ihr Landsmann. Welches Zeugnis stellen Sie ihm aus?
Als Sauerländer ist er schon mal in der richtigen Umgebung aufgewachsen, mit unseren starken Mittelständlern. Manches hat er mit seiner Regierung gut und auch schnell begonnen. Das gilt etwa für den Investitionsbooster oder zuletzt auch für die Erleichterungen bei den Energiekosten. Das reicht aber noch nicht, um als Standort wieder wettbewerbsfähig zu werden. Gerade im Sozialbereich liegen noch viele dicke Brocken auf dem Tisch. Völlig unstrittig ist: Wir müssen denen helfen, die Hilfe brauchen. Ebenso klar muss aber auch sein: Bei jenen, die arbeiten könnten, aber lieber den Sozialstaat in Anspruch nehmen, müssen die Hilfen drastisch eingeschränkt werden. Und das Lohnabstandsgebot muss wieder hergestellt werden. Die Leute, die jeden Tag früh aufstehen, um arbeiten zu gehen, haben zu wenig mehr als jene, die nicht arbeiten. Das ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.
Wie stehen Sie zur Frührente?
Die abschlagsfreie, sogenannte Rente mit 63 muss weg, denn sie wird ausgerechnet von denen in Anspruch genommen, die wir in unseren Unternehmen noch gut gebrauchen können. Unseren Staat kostet das schätzungsweise 13 bis 15 Milliarden Euro im Jahr. Und es fehlt eine ehrliche Debatte über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit.
Sind Sie auch Anhänger des Teams, das die Abschaffung eines Feiertags favorisiert?
Ja, durchaus. Welcher Feiertag gestrichen wird, ist für mich eher zweitrangig. In den meisten Nachbarländern wird deutlich mehr gearbeitet als in Deutschland. Und wenn ich über den Atlantik schaue: In Mexiko etwa werden sogar fast 1000 Stunden im Jahr mehr gearbeitet. Das wollen wir hier so natürlich nicht. Aber klar ist doch auch: Anstrengungslos wird unser Aufholprozess nicht gelingen. Zu glauben, dass wir uns mit immer weniger Arbeit mehr leisten können, das wird nicht funktionieren. Wir brauchen flexiblere Arbeitszeiten und wir werden uns auch mit dem Gedanken beschäftigen müssen, mehr zu arbeiten.

