WandelKaum noch Bargeld in Schweden
"Die Geschwindigkeit, mit der das geschieht, hat uns alle überrascht, und ich verstehe, dass viele Kunden da gar nicht mehr hinterherkommen." Johan Widerström ist Chef der kleinen Kinda-Ydre Sparkasse in Südschweden und spricht ein Thema an, das derzeit viele Schweden, aber auch Urlauber berührt: Die bargeldlose Gesellschaft. Touristen, die jetzt im Sommer nach Schweden fahren, werden schnell merken, dass der von zu Hause gewohnte Umgang mit Münzen und Scheinen im hohen Norden Europas nicht mehr alltäglich ist.
An der Kasse im Coop-Supermarkt in Vaxholm nahe Stockholm kommt die Überraschung, als der Familieneinkauf bar bezahlt werden soll. "Es tut mir leid, wir nehmen kein Bargeld", erklärt die freundliche Kassiererin. Auch in den großen Einkaufszentren ist die Abkehr vom Baren längst kein Einzelfall mehr. "Wir bevorzugen Kreditkarten" prangt in großen Lettern auf Schildern in vielen schwedischen Geschäften.
Dabei spielt es keine Rolle, ob der Kunde nur ein Brötchen oder gleich einen ganzen Backofen kaufen will. Auch der Hinweis, dass Bargeld nur akzeptiert wird, wenn der genaue Betrag gezahlt werden kann, findet man immer häufiger. Wechselgeld ade. Die Stockholmer Nahverkehrsbetriebe akzeptieren keine Barzahlung mehr, selbst eine Zeitung oder eine Kugel Eis werden mittlerweile mit Kreditkarte oder Mobiltelefon bezahlt. Wer sein Auto parken will, braucht entweder ein Handy oder eine Kreditkarte: Die Parkautomaten wurden schon vor einigen Jahren auf das bargeldlose Bezahlen umgerüstet.
"Im Handel laufen heute rund 80 Prozent aller Zahlungen über Kreditkarten ab", sagt Bengt Nilervall von der schwedischen Handelskammer. Und auch die Königliche Technische Hochschule (KTH) kommt in einer neuen Studie zu einem ähnlichen Ergebnis: "Wir benutzen nur noch sehr wenig Bargeld - das Bezahlen damit nimmt rapide ab." Nach KTH-Berechnungen befinden sich weniger als 78 Milliarden Kronen (8,4 Milliarden Euro) im Umlauf. Vor sechs Jahren waren es noch 109 Milliarden.
Waren es bislang hauptsächlich größere Geschäfte, die das Zahlen per Kreditkarte bevorzugten, sind jetzt auch kleinere Händler auf den Wochenmärkten zum bargeldlosen Zahlungsverkehr übergegangen. Das mobile Zahlungssystem "Swish" macht es auch für kleine Beträge möglich, Käufe und Verkäufe bargeldlos abzuwickeln.
Das System wurde vor drei Jahren von den vier größten Banken des Landes entwickelt. Die Telefonnummer des angeschlossenen Händlers in die "Swish"-App eingeben, und der zu zahlende Betrag wird direkt vom eigenen Konto abgebucht und dem Verkäufer gutgeschrieben. Die großen Banken des Landes haben sich bereits vor über fünf Jahren auf das bargeldlose Leben eingestellt. SEB, Nordea und Swedbank akzeptieren in rund 80 Prozent ihrer Filialen weder die Bargeld-Einzahlung noch das Abheben von Guthaben. "Wir haben den Bargeldverkehr gestoppt, weil wir eine Veränderung im Kundenverhalten festgestellt haben", sagt eine Bankensprecherin. Das bekommen auch Touristen zu spüren, die in den Banken immer seltener ihre Euro in schwedische Kronen tauschen können. Sie sind mittlerweile auf die Wechselstuben auf Flughäfen und Bahnhöfen angewiesen.
Auch kleinere Geschäfte auf dem Land leiden unter dem schnellen Übergang zu einer bargeldlosen Gesellschaft. "Wir haben Probleme, Wechselgeld von den Banken zu bekommen", sagt ein frustrierter ICA-Lebensmittelhändler in Mittelschweden, der sich auch darüber beklagt, dass viele Banken seine Tageseinnahmen nicht mehr annehmen wollen.
Die schwedische Zentralbank hat errechnet, dass der Bargeldverkehr die Gesellschaft jährlich einen Milliardenbetrag kostet. Geld müsse am Abend abgerechnet und zu Banken transportiert werden. Das alles verursache Kosten, die beim bargeldlosen Zahlungsverkehr entfallen. Nach Berechnungen der KTH verursachen Bargeldzahlungen Kosten von etwa 0,26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bei Kreditkarten liegen die Kosten bei rund 0,09 Prozent.
"Bargeld ist kein gutes Geschäft", sagt Johan Widerström von der Kinda-Ydre Sparkasse. "Es kostet uns sehr viel Geld, aber vielleicht ist es gut für unser Image, dass wir immer noch Bargeld haben", hofft der Sparkassendirektor.
Banken wollen in Deutschland nicht drängen
Trotz hoher Kosten für Herstellung und Verteilung wollen die deutschen Banken Bargeld im täglichen Zahlungsverkehr nicht zurückdrängen. "Wenn der Kunde mit Bargeld zahlen möchte, sehen wir es nicht als unsere Aufgabe an, ihn davon abzubringen", sagte jetzt der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, Michael Kemmer.
So gebe es auch keinen Rückgang bei der Zahl der Geldautomaten. "Das ist bei uns anders als in den skandinavischen Ländern: Die Leute lieben das Bargeld, sie zahlen gerne noch mit Scheinen und Münzen - das hat in Deutschland eine kulturelle Tradition", stellt Kemmer fest. An Kassen und Automaten werde noch überwiegend bar bezahlt. "Das sind nach aktuellen Zahlen 78 Prozent der Transaktionen, die noch bar abgewickelt werden, und über 50 Prozent des Umsatzes." (dpa)