Helge Schneider über KI„Wenn ich mal so eine Maschine sehe, mache ich die kaputt“

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Illustration: Ein Hammer und Scherben

Helge Schneider: „Die KI ist ja überhaupt nicht humanistisch. Wie soll eine Künstliche Intelligenz auf ein Lebewesen eingehen können?“

Helge Schneider schickt seinen Ermittler Yves Schneider wieder auf Verbrecherjagd. Ein Interview, warum die KI ihn nicht ersetzen kann.

Herr Schneider, im Moment reden alle von Künstlicher Intelligenz und ihren scheinbar schon magischen Fähigkeiten. Wie blicken Sie auf die gesteigerten Aktivitäten von KI?

Ich habe damit schon seit Jahren gerechnet. Aber nicht in diesem plumpen Ausmaß, wie es zurzeit zu beobachten ist. Wenn Sie zum Beispiel weltweit journalistische Arbeiten anschauen, wird Ihnen auffallen, dass so mancher Text schon von einer KI geschrieben wird. Das finde ich unmöglich. Ich sage mal so, das macht man nicht. KI ist schließlich auch dumm, muss man dazu sagen.

Aber sie kann in bestimmten Bereichen auch eine Hilfe sein.

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Bei Krankheiten vielleicht, in der Krebstherapie zum Beispiel. Sicherlich kann man KI dort als Hilfe einsetzen, wie man auch bei Operationen oder im Autobau Roboter benutzt. Aber schöner ist es doch, wenn Menschen das machen. Wenn der Mensch allerdings – etwa bei Operationen – mehr zittert als ein Roboter, bedeutet es natürlich einen Vorteil, technische Hilfe zu haben.

Künstliche Intelligenz kann auch mithilfe von Datenanalysen zum Beispiel bei der Früherkennung von Krebs helfen.

Sie meinen empirische Daten? Ja, der mathematische Teil der Künstlichen Intelligenz ist wahrscheinlich unschlagbar. Aber die Mathematik ist nicht von der Künstlichen Intelligenz erfunden worden, sondern vom Menschen. Das müssen wir auch mal sagen.

Aber die KI ist in Ihren Augen zumindest im mathematischen Bereich ein Gewinn?

Das Problem ist halt, dass die Künstliche Intelligenz keinen moralischen Kompass hat. Die KI ist ja überhaupt nicht humanistisch. Wie soll eine Künstliche Intelligenz auf ein Lebewesen eingehen können? Das geht nicht. Nur auf eine andere Künstliche Intelligenz.

Der Musiker Helge Schneider lächelt in seiner Wohnung.

Helge Schneider: nach wie vor höchst aktiv.

Es gibt mittlerweile fast perfekt gefälschte Videos, etwa wenn der ZDF-Nachrichtensprecher Christian Sievers angeblich für irgendwelche Geldanlagen wirbt. Bereitet Ihnen eine solche Entwicklung Angst?

Ich habe überhaupt keine Angst, weil die Künstliche Intelligenz mich nicht ersetzen kann. Das ist schon mal klar. Nicht nur, weil ich das nicht will. Sie kann es wirklich nicht.

Warum nicht?

Weil die Künstliche Intelligenz nicht so weit gehen kann wie ich. Etwa wenn ich Menschen zum Lachen bringe. Dazu ist Künstliche Intelligenz zu dumm. Denn das, was ich mache, dafür muss man wirklich absolut hyperintelligent sein und weit über einer Künstlichen Intelligenz stehen. Das hat nichts mit Mathematik zu tun, sondern mit einer ultraschnellen Version des Umdenkens. Und Fantasie hat die Künstliche Intelligenz auch nicht.

Sind Sie sicher?

Ja, Künstliche Intelligenz kann keine Fantasie haben. Sie kann nur das herbeifantasieren, was sie kennt, und daraus vielleicht einen fantasieähnlichen Zustand ableiten. Wobei, wenn ich darüber nachdenke: Vielleicht könnte die KI mit ihrem mathematischen Instinkt doch Fantasie entwickeln. Aber da muss ich sagen, hört der Spaß auf. Wenn ich mal so eine Maschine sehe, mache ich die kaputt.

In Ihrem neuen Buch „Stepptanz“, dem siebten Krimi mit Kommissar Yves Schneider als Ermittler, tauchen Mischwesen auf: halb Mensch, halb Technik und Künstliche Intelligenz. Sie nennen diese hybriden Wesen kurz Hybs.

Das ist aber nicht die Gegenwart, ich habe es im Buch nicht ausdrücklich erklärt, aber die Handlung spielt in der Zukunft.

Das wird an manchen Stellen deutlich, etwa wenn Sie schreiben, dass es kaum noch Benziner gibt und Benzin teuer aus Indien importiert werden muss. Diese Hybs sterben oft einen gewaltsamen Tod. Haben Sie so viel Gewalt im Kopf?

Wenn man einen solchen Krimi schreibt, kommt man in seinen Gedanken zwangsläufig zu dem Punkt, an dem man plötzlich der Täter ist. Der lässt sich dann mit seiner Fantasie, die keine Grenzen kennt, schlimme Sachen einfallen. Aber ich wollte auch nicht zu weit gehen. Es gibt dann schon ein Ende dessen, was man sich vorstellen und ertragen kann. Dieser Krimi, diese Fantasien sollen auch ein Spiegel dessen sein, was wir in der Öffentlichkeit, im Fernsehen, in den sozialen Medien ständig geboten bekommen.

Sie meinen die schrecklichen Bilder, die wir ständig auf allen Kanälen sehen?

Ja, und wir sehen sie tagtäglich. Unseren Kindern werden grausamste Bilder übers Handy zugeschickt, und sie schauen sich das alles zudem in den sozialen Medien an. Insofern ist das, was ich geschrieben habe, noch lange nicht so grausam wie die Realität. Das muss man sich mal vorstellen: Obwohl alles in meinem Buch schon so spektakulär absurd ist, so absurd wie die Wirklichkeit ist es nicht.

Die Hybs bestehen aus Teilen einer Schaufensterpuppe, menschlichem Gewebe, menschlichen Körperteilen, Elektronik und Gehacktem. Denken Sie, die Zukunft könnte wirklich so aussehen wie in Ihrem Krimi?

Wer weiß, wie es weitergeht mit den Körperteilen des Menschen? Wer weiß, wie genau die Zukunft aussieht? Wenn in „Stepptanz“ zum Beispiel steht, dass in den Hybridwesen Gehacktes steckt, könnte es ja sein, dass es gar nicht das Gehackte ist, das wir heute kennen. Sondern, dass das Gehackte aus Leinöl, Tofu, Plastik, Kunststoff oder was auch immer besteht. Mir ist bewusst, dass der Mensch sich mit der Zeit ändert. Das ist Evolution, wenn sich der Körper des Menschen mit der Zeit ändert, auch innen ändert.

Was meinen Sie damit konkret?

Sehen Sie, ich bin 68 Jahre alt. Ich kann veganes Essen nicht vertragen. Meine Kinder aber essen vegan und können es gut verdauen. Verstehen Sie? Das heißt, menschliche Körper gewöhnen sich an alles. Essen wir in 30 Jahren Kunststoff? Wir wissen es noch nicht. Denken Sie an meine Worte!

Wir treffen uns am besten in 30 Jahren wieder.

Eisen isst man ja schon. (lacht)

Noch mal kurz zurück zu Ihren hybriden Wesen: Von der Grundidee her werden solche Wesen ja schon entwickelt. So gibt es mittlerweile in Berlin ein Bordell mit KI-unterstützten Sexpuppen aus Silikon. Wir haben künstliche Delfine, die innen reinste Technik sind, aber aussehen, sich bewegen und sogar anfühlen wie echte Tiere. Und das alles wird ja wahrscheinlich erst der Anfang sein.

Es gibt auch Fischdrohnen und künstliche weiße Gänse, um die Tierwelt zu erforschen. Da kann man wirklich tolle Sachen kaufen, die kosten aber leider einen Haufen Geld.

Und es gibt mittlerweile Menschen, die lieber Beziehungen zu Chatbots führen. Die leben dann ihr Leben mit Künstlicher Intelligenz.

Das kann ich mir nicht vorstellen. Warum das denn?

Unter anderem deshalb, weil Künstliche Intelligenz, die in einer „sozialen Beziehung“ auf den jeweiligen Menschen abgestimmt ist, nicht so anstrengend, wechselhaft und fordernd ist wie Menschen, mit denen man sich trifft oder mit denen man telefoniert. Wäre so etwas für Sie erstrebenswert?

Überhaupt nicht. Aber es existieren ja offenbar Menschen, die eine solche soziale Beziehung zu Maschinen bewusst eingehen. Es gibt aber auch ganz viele Menschen, die unbewusst mit Chatbots kommunizieren und dadurch aufs Glatteis geführt werden. Bots können also auch kriminell sein. Das ist schon eine merkwürdige Welt, in der wir leben.

Der Mörder in Ihrem Krimi – man erfährt gleich zu Beginn, dass er Morde begeht – heißt Klaus und ist Chirurg. Er ist der Schöpfer der hybriden Wesen. Was ist das für ein Typ?

Der ist sehr selbstgerecht. Klaus denkt, was er macht, ist gut. Er weiß, dass er für seine Idee, hybride Wesen zu erschaffen, einen bösen Charakter haben muss. Aber er fühlt sich deswegen nicht schlecht. Doch Moral interessiert ihn nicht mehr. Das ist übrigens auch ein Zeichen unserer Zeit.

Selbstgerechtigkeit?

Selbstgerechtigkeit. Schlechtigkeit.

Was macht diese Selbstgerechtigkeit aus?

Viele Menschen sind bei dem, was sie tun oder in den sozialen Medien schreiben, wie in einem Tunnel. Sie denken gar nicht groß darüber nach, ob ihr Tun richtig oder falsch ist, sondern sie sind einfach nur erfüllt von dem Gedanken, das wird jetzt so und so gemacht. Dabei gibt es kein Zurück, es gibt kein Vertun. Und der andere Mensch existiert eigentlich gar nicht. Der wird nicht ernst genommen, ihm wird nicht zugehört.

Ist demnach unsere frühere Debattenkultur, die auf Zuhören und Respekt gründete, nicht mehr vorhanden?

Die ist vollkommen zerstört – durch Social Media. Früher traf man sich in einer Kneipe, sonntags zum Stammtisch – ich nicht, aber viele andere – und hat diskutiert, sich unterhalten, sich auch mal gestritten und ist dann wieder nach Hause gegangen. Man hat sich geduzt, sich beim Reden in die Augen geschaut, und manchmal haben sich in dieser Gesprächssituation von Angesicht zu Angesicht auch Knoten gelöst.

Und heute?

Heute passiert das alles anonym, und jeder hat etwas zu sagen. Jeder scheint Experte für alles zu sein. Alle denken, sie hätten mit ihrer Äußerung auch etwas erfüllt. Und der Plan geht auf. Im Grunde genommen ist die Menschheit völlig abgelenkt mit diesen Spielchen. So fällt es niemandem mehr auf, dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer. Darüber kannst du kilometerlange Gedichte schreiben.

Wenn es nichts mehr zu lachen gäbe, wäre die Welt selbstmordgefährdet
Helge Schneider

Ihre Sicht auf die Gegenwart scheint sehr pessimistisch zu sein. Können Sie mit Ihrer Kunst, Ihren Büchern, Ihrer Musik etwas Positives beitragen, etwas ändern?

Ändern? Weiß ich nicht. Ich kann Menschen zum Lachen bringen. Lachen ist eine Art Naturgewalt. Lachen hilft, auch mit den schlimmen Dingen in unserem Leben klarzukommen. Nicht, indem man über die Situation lacht, sondern indem wir die Kraft aus dem Lachen nehmen. Wenn es nichts mehr zu lachen gäbe, wäre die Welt selbstmordgefährdet.

Von Ihnen erwartet man stets, dass immer alles lustig ist. Haben Sie manchmal ein Problem damit, nicht ernst genommen zu werden?

Nö, habe ich nicht. Das kenne ich.

Aber Künstliche Intelligenz zum Beispiel ist ja ein ernstes Thema.

Ja, sobald jemand KI sagt, ist das Thema ernst. Wenn ich mich umsehe, wie viele Menschen immer abhängiger von ihren Handys, von Künstlicher Intelligenz werden, finde ich das bedenklich. Manchmal kommt es mir vor, als werden wir alle zugekleistert mit Werbung und mit Begriffen. Und wer eine andere Meinung vertritt und da nicht mitgeht, gilt als doof. Die Individualität ist mittlerweile ganz schön eingeschränkt.

Was würden Sie denn ändern?

Was kann ich klitzekleiner Clown denn ändern? Es gab mal eine Zeit, da waren die Leute aktiv und haben zum Beispiel unabhängige Kulturzentren gegründet oder kleine Läden, in denen Livemusik gespielt wurde – kleine Kulturnischen, Kulturecken. Das ist heute alles von der Technik, von der Werbung, vom Geldverdienen überrollt worden. Irgendwann sind viele dieser Kulturecken geschlossen worden. Wo sollen sich die jungen Leute heute eigentlich treffen? In der U-Bahn-Station? Vor der Tankstelle? Das ist wirklich keine gute Entwicklung. Ich kann nur sagen: „Hoffentlich ändert sich da was!“


Helge Schneider: Jazzmusiker, Schriftsteller, Filmemacher

Man kennt ihn als einen der größten Komiker des Landes. Helge Schneider hat wunderbaren Klamauk im Kopf. Im Interview aber begegnet er einem als reflektierter, ruhiger und ernster Gesprächspartner. So äußert er sich sehr nachdenklich über das Thema Künstliche Intelligenz.

KI spielt auch in seinem neuen Krimi eine große Rolle. In „Stepptanz“ (Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 22 Euro) geht es um einen Serienkiller, der seine Opfer zu neuen hybriden Wesen verarbeitet. Diese bestehen nicht nur zu einem Teil aus Hackfleisch, sondern auch aus vielen Drähten, Elektronik – und eben Künstlicher Intelligenz. Schneider schreibt seinen siebten Krimi mit seinem Kommissar Schneider in der Hauptrolle aus der Perspektive unterschiedlicher Personen. Dabei ist einiges an Gewalt, aber mindestens genauso viel anarchischer Humor im Spiel.

Schneider ist in erster Linie ein begnadeter Jazzmusiker. Geboren 1955 in Mülheim an der Ruhr verband er schon früh Jazzmusik mit Klamauk und Komik. Bekannt wurde er einem breiten Publikum spätestens mit seinem Song „Katzeklo“, das bekanntermaßen die Katze froh macht.

Dieses Lied hatte er 1994 bei „Wetten, dass?...?“ gespielt, danach stieg sein Bekanntheitsgrad enorm an. Zuvor hatte er aber schon in Filmen gespielt und unter anderem unter seinem Beinamen „Die singende Herrentorte“ einen nicht unbedeutenden Namen in der Musikszene. Auf dem Höhepunkt seines kommerziellen Erfolgs veröffentlichte er Mitte der Neunzigerjahre das Doppelalbum „Es gibt Reis, Baby“ und seinen Kinofilm „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“.

Für sein neues Buch hat er auch Zeichnungen angefertigt. Neben seinen Arbeiten als Musiker, Schauspieler, Schriftsteller und Hörspielautor hat er auch als bildender Künstler ein Werk geschaffen.


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