NostalgieThe Return of the Mixtape?

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Illustration: Musikkassetten

Kassettenrekorder: Wenn man die Schnellkopiertaste während der Aufnahme drückte, jaulte es kurz auf, als sei jemand Phil Collins auf den Fuß getreten.

Unser Autor räumt ein, dass er sich sehr schwer von alten  Dingen trennen kann. Andererseits gibt er zu, dass das Aufrollen von Kassettenbändern immer schon genervt hat. Was hat es mit unserer Nostalgie auf sich?

Ich bin kein guter Wegschmeißer. Ich kann mich prima wegen eines billigen Witzes wegschmeißen („Mein PC kann nur noch Großbuchstaben“ – „Oh, hast Du die Feststelltaste gedrückt?“ – „Nee, hab‘ ich selber rausgefunden!“), aber nur schlecht Sachen. In unserem Keller steht eine patinöse Kiste voller Kassetten, die in diesen Tagen ein Jubiläum feiern dürften: 25 Jahre ohne Verwendung! Gratulation! Ich bin sicher, dass in den untersten Schichten inzwischen neues Leben entstanden ist. Es sind Mixtapes aus der Frühlingsphase unserer Zweisamkeit darunter. Wahrscheinlich haben sie längst neue, kleine Mixtapes gezeugt.

Ich frage mich, ob die Leute früher schon so beharrlich an altem Zeug festklebten. „Ich schmeiß doch meine Wachsmatrizen nicht weg nur wegen dieser Schellackplatten! Grammophon! Neumodischer Schnickschnack! Ich bleib bei meinem Phonographen!“ (Oder noch früher: „Pfeil und Bogen? Was soll denn an ‘ner Keule schlecht sein?“).

Natürlich glaube ich nicht ernsthaft an ein Kassettencomeback. The Return of the Mixtape? Unwahrscheinlich. Klar gibt es bis heute Restbestände an Kassettenfans, wohingegen Wachsmatrizen und Schellackplatten nur schlecht laufen. Es kann aber nicht mehr lange dauern, bis die schnauzbartzwirbelnde, urbane Biohipster-Szene nach dem Cordsamt-Anzug und dem Resopal-Nierentisch auch das Grammophon wiederentdeckt. Irgendein Berliner Retro-Start-up lötet gewiss schon fleißig Trichter zusammen.

Wenn man die Schnellkopiertaste während der Aufnahme drückte, jaulte es kurz auf, als sei jemand Phil Collins auf den Fuß getreten.
Imre Grimm

Was tun mit unseren Kassetten? Es fehlt ein Abspielgerät. Es nützt ja wenig, sich die Dinger ans Ohr zu halten. Ich besaß früher ein „Telefunken Compact Studio RC 780T“ mit Doppelkassettendeck, Radio und Schnellkopierfunktion für 500 Mark. Wenn man die Schnellkopiertaste während der Aufnahme drückte, jaulte es kurz auf, als sei jemand Phil Collins auf den Fuß getreten. Bei Ebay gibt’s die Dinger gebraucht für 150 Euro. Man kann sich seine Jugend aber nicht zurückkaufen.

Nostalgie ist nur ein anderes Wort für partielle Vergesslichkeit. Erst der beschönigende Weichzeichner der Erinnerung macht aus einem Ärgernis wie Bandsalat ein Happening aus besseren Zeiten. In Wahrheit war es nicht cool, Kassetten mit einem Bleistift manuell zurückzuspulen. Oder für 25 Mark eine Platte zu kaufen, um in den Besitz eines einzigen Liedes zu gelangen. Oder vier Stunden neben dem Radio auf „In The Army Now“ von Status Quo zu warten – UND DANN QUATSCHT DER MODERATOR REIN!

Unfassbar, welche audiophile Not wir Kassettenkinder litten. Was also hält mich davon ab, die Kiste zu entsorgen? Möglicherweise ist es der Wunsch, dem Überfluss aus 100 Millionen sofort verfügbarer Songs, der uns alle zu zappeligen Quengelkindern gemacht hat, etwas entgegenzuhalten. Die Kiste ist ein Denkmal der Demut. Ein Symbol für jene Geduld und musikalische Askese, die wir verloren haben. Und der Tag wird kommen, an dem ich eine der Kassetten mal wieder anhören werde. Ganz bestimmt. Irgendwann. Spätestens in 25 Jahren.

Schönes Wochenende!


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